Die Entstehung des deutschen Tonfilms

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Die erste Vierelektrodenröhre, verwendet beim ersten Tonfilmversuch der Tri-Ergon im Jahr 1923
 

Ton und Bild gehörten in der Geschichte des Film bereits früh zusammen. Filmvorführungen waren auch in der Stummfilm-Ära durchaus mit Tönen verbunden. Schon in den ersten Jahren des Films, seit Mitte der 1890er Jahre, begleiteten Varieté-Orchester jene frühen Streifen, die damals noch als Teil eines Bühnenprogramms aufgeführt wurden. Bis in die späten 1920er Jahre blieb der Klang steter Begleiter der Kinovorführung – ob nun durch Klaviere, durch Kammermusik-Ensembles oder durch die in den 1910er Jahren entwickelten Kino-Orgeln. Und doch sollte die Durchsetzung des Tonfilms, einer synchronen Verbindung des Bildes mit einem dazugehörigen Ton, erst gut 30 Jahre nach der Erfindung des Films gelingen.

 

Singende Bilder: "The Jazz Singer" und Vitaphone

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Das TRI-Ergon-Team: Jo Engl, Joseph Massolle, Hans Vogt (v.l.n.r.)
 

Die Revolution im Verhältnis zwischen Bild und Ton, der Siegeszug des Tonfilms, begann Ende der 1920er Jahre – ein erster Höhepunkt dieser radikalen Veränderung kann auf den 6. Oktober des Jahres 1927 datiert werden. An diesem Tag wurde in New York die Uraufführung des Warner-Bros.-Films "The Jazz Singer" als Premiere des ersten "sprechenden Films" (Talkie) gefeiert. Lippensynchron sprach hier der bekannte Varieté-Star Al Jolson die berühmten Worte "You ain"t heard nothin’ yet!". Ermöglicht wurde die neue Gleichzeitigkeit von Bild und Ton durch das von Warner Bros. und Western Electric entwickelte Vitaphone-System: Bei diesem Nadeltonverfahren wurde der Filmprojektor mit Schallplatten verbunden, die durch eine Nadel abgetastet wurden. Der gefeierte Nadelton jedoch blieb nur ein paar Jahre in Gebrauch, so auch 1928 bei "The Singing Fool", bevor er durch ein anderes, erfolgreicheres Prinzip ersetzt wurde: durch das Lichtton-Verfahren, das Anfang der 1930er Jahre die weltweite Verbreitung des Tonfilms ermöglichen sollte und das schon zehn Jahre zuvor in Deutschland zum Einsatz gekommen war.

Erste (Fehl-)Versuche: Das Lichtton-Verfahren und Tri-Ergon

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"Die Eisenkiste": Der erste TRI-Ergon-Tonfilmprojektor 1922
 

Seit 1918 arbeiteten die drei deutschen Techniker Joseph Engl, Joseph Masolle und Hans Vogt an der Entwicklung eines Lichtton-Verfahrens, das sie Tri-Ergon (Werk der Drei) nannten. Bereits 1921/22 zeigte das Verfahren, eine mit einem Lichtstrahl abzutastende Tonrandspur mit dem laufenden Filmstreifen zu verbinden, erste Erfolge. Noch jedoch hielten sich Investoren zurück. 1923 gingen die Patente an die von schweizer Finanziers gegründete Tri-Ergon AG in Zürich über, bevor sich 1925 der deutsche Filmkonzern Ufa zur Kooperation entschloss. Der Tonfilmpionier Guido Bagier wurde zum künstlerischen Leiter der Tri-Ergon-Abteilung der Ufa ernannt, und in einem eigens dafür eingerichteten Filmatelier in Berlin-Weißensee stellte diese schließlich ihren ersten Tonkurzfilm her: "Das Mädchen mit den Schwefelhölzern". Doch die Premiere des knapp 20-minütigen Films am 20. Dezember 1925 geriet zur Katastrophe: Während der Aufführung im Berliner Mozartsaal versagte der Ton, die geladenen Gäste quittierten die Panne mit Gelächter und Protest. Der bald folgenden Legende nach hätte ausländische Sabotage "den deutschen Tonfilm erledigt". Die Ufa jedenfalls zog sich nach diesem Rückschlag aus dem Lichtton-Projekt zurück. Erst Jahre später, nach dem Erfolg des technisch unpraktischeren Nadelton-Verfahrens von Vitaphone, konnte sich die u.a. auf Tri-Ergon basierende Lichtton-Technik durchsetzen. In Deutschland und Europa sollte dabei nicht die Ufa, sondern die Tobis den entscheidenden Beitrag leisten.

Ein Syndikat für den Tonfilm: Die Tobis

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Das Tobis-Logo
 

Am 30. August 1928 wurde in Berlin die Tobis als Ton-Bild-Syndikat AG gegründet. Sie ging aus der Tri-Ergon Musik AG hervor – auf Drängen der Deutschen Tonfilm AG, die auf eine Standardisierung der europäischen Tonfilmtechnik abzielte. Die bedeutendsten europäischen Patenthalter und Firmen der Elektroindustrie sollten zu einer Zusammenarbeit bewegt werden, um so der US-Konkurrenz mit ihren Tonfilmen und Techniken entgegenzutreten. Der Tonfilm, genauer: der "Sprechfilm", war eindeutig im Kommen. Darum galt es, die Absatzmärkte für den neuen Film zu sichern und die in der Tobis vereinten Tonfilm-Patente praktisch auszuwerten.Im Gegensatz zur Ufa war also die Tobis, die sich bald mehrheitlich im Besitz des niederländischen Küchenmeister-Konzerns befand, schon in ihrer Gründungsphase auf internationale Kooperation ausgerichtet. Und eine weitere entscheidende Verbindung gelang 1929. Mit der ursprünglichen Konkurrenz Klangfilm GmbH wurde ein Kartellvertrag geschlossen, der den Markt unter den beiden Firmen aufteilte. Zudem sah ein gesonderter Vertrag zwischen Ufa und Klangfilm die Durchführung einer eigenen Tonfilmproduktion vor – so stand von nun an die Tobis als Filmproduzent in direkter Konkurrenz zur großen Ufa.

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Marlene Dietrich in "Ich küsse ihre Hand, Madame" (1928)
 

Doch nicht nur aus diesem Grund wurde 1929 zu einem bedeutenden Jahr sowohl der Tobis- als auch der deutschen Tonfilm-Geschichte: Nach dem Tri-Ergon-Film "Ein Tag Film" feierte am 16. Januar 1929 der Film "Ich küsse Ihre Hand, Madame" mit einer von Richard Tauber gesungenen Liedeinlage die Premiere des Tobis-Systems. Knapp zwei Monate später kam es zur Uraufführung von Walther Ruttmanns gut 40-minütigem Tobis-Film "Melodie der Welt", des bis dahin längsten deutschen Tonfilms. Carmine Gallones knapp zweistündige Tobis-Produktion "Das Land ohne Frauen" wurde bei ihrer Premiere am 30. September im Film-Kurier als "der erste abendfüllende deutsche Tonfilm" begrüßt.So kam es, dass die Tobis einerseits als filmproduzierender Konzern agierte und andererseits gemeinsam mit Klangfilm doppelt vom Aufstieg des Tonfilms profitierte, weil sie ihre Technik anderen Produktionsfirmen wie z.B. der Ufa anbot: Unter dem Namen "System Tobis-Klangfilm" wurden die Aufzeichnungsverfahren vermarktet; die Wiedergabegeräte wurden unter dem Namen "System Klangfilm-Tobis" angeboten. In der turbulenten Aufbruchszeit des Tonfilms, die der Filmtheoretiker und -kritiker Rudolf Arnheim 1929 als "Tonfilm-Verwirrung" bezeichnete, sicherte sich das Tobis-Klangfilm-Kartell auf diese Weise die besten Überlebenschancen.

Die Zukunft wird gesichert: der "Tonfilmfrieden"

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"Der Schuß im Tonfilmatelier" (1930)
 

Das Jahr 1930 brachte Klarheit für die nationale und internationale Entwicklung des Tonfilms. Erfolge und Entscheidungen stellten die Weichen für die Zukunft. Filme wie "Die singende Stadt" und "Der Schuß im Tonfilmatelier", von Erich Kästner für seine "tonfilmgerechten Sujets" gelobt, nutzten gekonnt die neuen Möglichkeiten. Zeitgleich entstanden Tonfilmklassiker wie "Der blaue Engel" und "Die Drei von der Tankstelle", der zum erfolgreichsten Film der Saison avancierte. Im April 1930 meldete die Industrie und Handelskammer zu Berlin: "Der Tonfilm hat sich inzwischen restlos durchgesetzt."

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Oskar Karlweis und Lilian Harvey in "Die Drei von der Tankstelle" (1930)
 

Doch der Erfolg brachte auch neue Zerwürfnisse auf internationaler Ebene mit sich. Weltweit tobten Tonfilm-Patentstreitigkeiten, die den Zugriff auf die einzelnen Teile des Weltmarktes betrafen und auf einem Internationalen Kongress in Paris beigelegt werden sollten. Dies gelang mit den Beschlüssen vom 22. Juli 1930, die als "Pariser Tonfilmfrieden" in die Geschichte eingingen. Die Tobis-Klangfilm-Gruppe und Vertreter der US-Tonfilmindustrie einigten sich darin auf eine Aufteilung der Interessengebiete: Der deutschen Gruppe wurden die Absatzmärkte Deutschland, Österreich, Schweiz, die Niederlande sowie Skandinavien und die Balkanstaaten zugesprochen, den US-Firmen der amerikanische Markt übertragen. In den übrigen Ländern durften beide Seiten tätig werden. Erst damit war die Grundlage geschaffen, auf der sich, so Guido Bagier, "die Zukunft des Films" weltweit verbreiten konnten.