Jüdischer Humor und Antisemitismus

Quelle: DIF
Ernst Lubitsch in "Der Blusenkönig" (1917)
 

"Es ist oft gesagt worden,", bemerkte Ernst Lubitsch 1916, als auch sein "Schuhpalast Pinkus" entstand, "daß an Filmen im jüdischen Milieu Anstoß genommen wird. Das ist ja ein ganz unglaublicher Standpunkt. Wenn der Fall eintritt, daß solch ein Film Mißfallen erregt, dann liegt das einzig und allein an einer Darstellung, der das Wesen des jüdischen Humors entweder nicht liegt, dann aber soll der Künstler seine Hand von dieser Aufgabe lassen, oder aber an einer maßlosen Übertreibung, die jede künstlerische Leistung beinträchtigt und ihrer Wirkung schädlich ist. Der jüdische Humor ist, wo er auch erscheinen mag, sympathisch und künstlerisch, und er spielt allüberall eine so große Rolle, daß es lächerlich wäre, wollte man ihn im Kino entbehren."

 

Antisemitismus vor 1933

Lubitsch erklärt damit nicht nur seine persönliche Haltung als Schauspieler und Regisseur, als prominenter "Vertreter des deutschen Filmlustspiels", sondern gibt ebenso eine gesellschaftliche Erfahrung wieder. Geboren 1892 in Berlin kennt er den Antisemitismus in Deutschland, der lange vor der Machtübergabe an die Nazis 1933 eine gesellschaftliche Realität gewesen ist. In Lubitschs Geburtsjahr beispielsweise verpflichtete sich die Deutschkonservative Partei "zum Kampf gegen den vielfach sich vordrängenden und zersetzenden jüdischen Einfluss auf unser Volksleben”. Und schon 13 Jahre zuvor hatte der einflussreiche Historiker Heinrich von Treitschke jenen Satz geprägt, der von der Stimmung im Kaiserreich kündete und in Nazideutschland eine mörderische Standardparole werden sollte: "Bis in die Kreise der höchsten Bildung hinauf, unter Männern, die jeden Gedanken kirchlicher Unduldsamkeit oder nationalen Hochmuths mit Abscheu von sich weisen würden, ertönt es heute wie aus einem Munde: die Juden sind unser Unglück!" Die Hetze gegen jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger verstärkte sich nach dem Ende des Ersten Weltkriegs – in der rassistischen Logik der antisemitischen Propaganda wurden Juden als Träger niederer Charakter- und "Rassen"-Eigenschaften diffamiert. Einher ging diese Propaganda u.a. mit einer Verleumdung von Linken und Demokraten, die in der jungen Weimarer Republik progressive Ideen vertraten. Man sprach von der "Judenrepublik" und von der modernen Metropole Berlin als dem "marxistischen, verjudeten Berlin". Die Deutschnationale Volkspartei (DNVP) verpflichtete sich in ihrem Parteiprogramm von 1920 zum Kampf gegen die "Vorherrschaft des Judentums in Regierung und Öffentlichkeit", und der Deutschvölkische Schutz- und Trutzbund brachte im selben Jahre über 7 Millionen Flugblätter mit rassistischen und antisemitischen Parolen unter die Leute.

Das Herrnfeld-Theater und Ernst Lubitsch

Quelle: DIF
Siegfried Arno und Erika Glässner in "Familientag im Hause Prellstein" (1927)
 

Diese Erfahrung des Antisemitismus führte innerhalb der jüdischen Bevölkerung zu einer kritischen Auseinandersetzung mit komödiantischen Selbstdarstellungen. Um die Jahrhundertwende feierte der Theaterstil der Brüder David Donat Herrnfeld und Anton Herrnfeld in Berlin so große Erfolge, dass sie 1906 ihr berühmt gewordenes Herrnfeld-Theater in einem eigenen Theaterhaus mit ca. 800 Plätzen vorführten. Als das Herrnfeld-Stück "Endlich allein" 1913 von Max Mack verfilmt wurde, spielten die zwei Brüder die Hauptrollen.Die Komik des Herrnfeld-Theaters beruhte vor allem auf stereotypen Figurenzeichnungen, die – wie der Geschäftsmann Simon Dalles, der pfiffige Dovidl Grün oder der Konfektionslehrling Moritz – als Selbstkarikaturen jüdischen Lebens rezipiert wurden. Neben begeisterten Rezensionen z.B. von Kurt Tucholsky warnten Organe wie die vom Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens herausgegebene Zeitschrift "Im deutschen Reich" vor der Unterfütterung von antisemitischen Klischees: "Die Antisemitenpresse macht deshalb für jedes Stück der Direktoren Anton und Donat Herrnfeld Reklame", betont die Zeitschrift des Centralvereins 1902. Eine "Helfershelferschaft für den Antisemitismus" kritisierte das Israelitische Familienblatt 1904, mit der sich "das Herrnfeldtheater auch ebenso das Lob der Antisemitenblätter wie die Antisemitenblätter die Inserate der Gebrüder Herrnfeld" verdienten. Die Jüdische Rundschau befürchtete 1908, "das geistlose Gezappel" auf der Bühne werde bei "diesen blonden Reckengestalten" im Publikum den Eindruck erwecken, "das Berliner Judentum sei aber auch wirklich keinen Schuß Pulver wert".Auch die vom Herrnfeld-Theater sicher nicht unbeeinflussten Lubitsch-Komödien "Der Stolz der Firma" und "Schuhpalast Pinkus" stehen mit selbstironischen Darstellungen der von Lubitsch gespielten Hauptfiguren Sally Pinkus und Siegmund Lachmann in diesem Spannungsverhältnis: Auf der einen Seite steht die Frage, ob der offensive Umgang mit Klischees Futter für den existenten Antisemitismus bietet – so wie z.B. auch Lubitsch und seine Figuren im Nationalsozialismus als Inbegriff "des Jüdischen", als "entartet" rassistisch denunziert wurden. Andererseits bleibt zu bedenken, ob die Selbstironie der Theaterstücke und Filme nicht auch als ein moderner und selbstbewußter Umgang mit jüdischen Traditionen zu verstehen ist, mit jenen Strategien und Konventionen, die als "jüdischer Humor" diskutiert worden sind. "Mit jüdischen Witzen haben diese Filme gemeinsam," schrieb die Filmkritikerin Frieda Grafe, "daß Lubitsch in ihnen sich selbst statt anderer zum Gespött macht."

Traditionsreiche Selbstironie oder zeitgemäße Diffamierung?

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"Familientag im Hause Prellstein" (1927): Szene mit Anton Herrnfeld (2.v.l.) und Erika Glässner
 

Die Brisanz und Komplexität dieser Frage spiegelt sich auf besondere Weise in den Reaktionen auf die Verfilmung der erstmals 1905 aufgeführten Herrnfeld-Komödie "Familientag im Hause Prellstein" von 1927 wider. Regie führte Hans Steinhoff, die Hauptrollen spielten populäre Komiker jüdischen Glaubens wie Paul Morgan, Siegfried Arno, Ilka Grüning und Szöke Szakall; auch Anton Herrnfeld selbst übernahm eine Rolle.Einerseits wurde die Geschichte um Samuel »Sami« Bambus, seine Gattin Flora, geborene Birnbaum, und deren Cousin Prellstein von dem Kritiker Georg Herzberg 1927 als eine gelungene, keineswegs diskriminierende Variante einer "Herrnfeldiade" verstanden. Herzberg sah "Familientag im Hause Prellstein" als einen "sauberen Film" im urbanen Milieu, "über den man ein paarmal herzlich lachen kann und der von den Kinobesuchern, unbelehrbare Antisemiten ausgenommen, sicherlich als angenehme Abwechslung gegenüber Rhein, Operette und Heidelberg empfunden wird."Im selben Jahr aber war andererseits im Reichsfilmblatt eine Kritik zu lesen, die den Film durchaus im Rekurs auf antisemitische Stereotype als "Milieu-Studie" deutete: "Eine Studie amüsant, nicht mehr; ein Film von kleinen, kleinlichen Menschen, denen Begriffe wie Schicksal, Tragik, Weltanschauung fern und fremd sind. (...) Sehr aufschlußreich Paul Morgan und Siegfried Arno als echte jüdische Typen." Die Leistung des Regisseurs wird daher zwar gewürdigt, doch könne auch sie nicht darüber hinweg täuschen, dass dies eine Bemühung "um eine Sache ist, die – keine ist."

Die Diskussionen um das Spannungsverhältnis zwischen jüdischem Humor und antisemitischen Stereotypen auf der Bühne und im Film halten bis heute an. Und sie sind nicht nur filmhistorisch sowie für das Verständnis der deutschen Geschichte von Bedeutung: An diesen Diskussionen lässt sich zugleich die prinzipielle Problematik der Wirkungsmacht von Stereotypen und dominanten Fiktionen verfolgen.