X-Portschlager: X-Filme im Ausland

Jenseits von Hollywood
Quelle: X-Filme Creative Pool, DIF
Franka Potente in "Lola rennt"
 

Der Erfolg deutscher Filme im Ausland ist nach 1945 sehr überschaubar geblieben: Zwar gab es in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder Arbeiten, die international für Aufsehen sorgten, so beispielsweise der Neue Deutsche Film der 1960er Jahre, die großen bundesrepublikanischen Melodramen Fassbinders oder prämierte Ausnahmeproduktionen wie etwa "Die Blechtrommel", "Der Himmel über Berlin" und "Nirgendwo in Afrika". Zumeist aber musste sich das deutsche Kino mit Achtungserfolgen auf Festivals zufrieden geben. Umso größer war die Begeisterung angesichts von "Lola rennt", der nicht nur die ausländische Kritik überzeugte, sondern sich ein internationales Publikum erspielte: "Everything is breathless in the hyperkinetic new German film 'Run Lola Run', an audacious, invigorating novelty", bemerkte Peter Stack am 25. Juni 1999 im "San Francisco Chronicle", und ebenso atemlos reihte ein Großteil der US-Kritik die Superlative aneinander.

 
 

 

The New Fräuleinwunder

Quelle: X-Filme Creative Pool, DIF
Franka Potente und Moritz Bleibtreu in "Lola rennt"
 

Denn zu diesem Zeitpunkt hatte Tom Tykwers "enjoyable glib and refreshingly terse exercise in big beat and constant motion" (J. Hoberman: "So Long a Go-Go". In: The Village Voice, 16.06.1999) längst auf den Festivals in Toronto und Sundance reüssiert und mit Sony Pictures Classic einen amerikanischen Verleih gefunden, der das postmoderne Fräuleinwunder Lola ebenso klug wie gezielt an ein junges und urbanes Publikum vermarktete: Mit seiner rothaarigen Protagonistin sorgte der X-Film insbesondere in den USA für ein neues Deutschlandbild im Kino, und statt Brauhaus und Dirndl gab es nun den "radical chic" einer im Umbruch befindlichen Berliner Republik zu entdecken. Doch auch wenn die temporeiche Verbindung von Nouvelle Vague, Euro-Techno und Franka Potentes Dauerlauf ungeahnte Resonanz fand, war "Lola rennt" nicht die erste X-Filme-Produktion, die ausländische Kritiker über eine mögliche Renaissance des deutschen Films nachdenken ließ.

Internationale Qualitäten

Quelle: X-Filme Creative Pool, DIF
Christiane Paul und Jürgen Vogel in "Das Leben ist eine Baustelle"
 

Schon 1998 bewegte Wolfgang Beckers "Das Leben ist eine Baustelle" – der international unter den Titeln "Life Is All You Get" bzw. "Life Is a Construction Site" verliehen wurde – zu folgender Einschätzung: "The first of the current resurgence of German films to make it into distribution in the UK, "Life" has to measure up against recent British hits in Europe. It may lack "Trainspotting"'s modishness, and Becker’s theme of future angst precludes a consistent feelgood factor (in fact, "Life" leaves us none the wiser about its characters’ futures, ending with them skating on what we take to be thin ice). But as a wholly engaging European comedy romance with a serious core, it’s the full monty." (Richard Falcon, Sight & Sound, August 1998, p. 48). Wenn Falcon den Film in seiner positiven Kritik letztlich gleichauf mit großen internationalen Erfolgen des britischen Kinos sieht, dann gibt dies zwangsläufig Anlass zu folgender Überlegung: Welche Qualitäten machen Beckers Film für ein ausländisches Publikum interessant? Und sind dies Qualitäten, die möglicherweise richtungsweisend für ein international erfolgreiches deutsches Kino sein könnten?

Exportfähig dank Realismus

Quelle: X-Filme Creative Pool, DIF
Jürgen Vogel in "Das Leben ist eine Baustelle"
 

Aus Falcons Sicht markiert "Das Leben ist eine Baustelle" durchaus einen Wandel in der deutschen Filmlandschaft: "When Becker was awarded the Federal German film prize for "Life", his film was seen as a return to the German Autorenfilm of the 70's and predictably, he was mentioned in the same breath as Fassbinder. But despite the film's underlying critical melancholy, this seems wide of the mark. Becker's own reference points are Loach and Mike Leigh, both British film-makers whose films increasingly serve as the benchmarks for those hoping to put 'real life' on the screen. This is especially true in Germany, where recent non-exportable hits such as "Knocking on Heaven’s Door" have been pastiches of US genres" (Richard Falcon, Sight & Sound, August 1998, p. 48). Wenn Falcon in seiner letzten Bemerkung "Knockin" on Heaven"s Door" – immerhin ein immenser Inlandserfolg – für nicht exporttauglich erklärt, dann stellt dies eine Produktionsstrategie in Frage, die seit den 60er Jahren in Deutschland immer wieder Anwender fand: das Bestreben, die Hegemonie Hollywoods durch das Kopieren seiner Sujets und Erzählformen brechen zu wollen.

Kennzeichen D

Quelle: X-Filme Creative Pool, DIF
Franka Potente in "Lola rennt"
 

Filme wie "Das Leben ist eine Baustelle" und "Lola rennt" widerlegen diese Annahme eindrucksvoll. Sie nutzen das Spannungsfeld zwischen Autorenfilm und Genrekino für ihre originären Erzählungen, die sie publikumswirksam vor einem dezidiert "deutschen" Hintergrund inszenieren. Was Beckers bisweilen poetischen Sozialrealismus und Tykwers exaltierten Hyper-Realismus bei aller Unterschiedlichkeit eint, ist also die wirkungsvolle Standortbestimmung: Ort der Handlung ist unmissverständlich Deutschland, und dies verleiht den Figuren und ihren Konflikten eine Nuancierung, die sich im lokal unspezifischen Genre-Surrogat nicht erreichen lässt. Daraus ergibt sich gerade für ein internationales Publikum der Reiz, anhand einer universal nachvollziehbaren Geschichte charakteristische Eigenheiten und Merkmale einer anderen Lebenswelt zu entdecken.

Spreewaldgurken für die Welt

Quelle: X-Filme Creative Pool, DIF
Daniel Brühl in "Good Bye, Lenin!"
 

An derartigen Eigenheiten besonders reich ist natürlich Wolfgang Beckers "Good Bye, Lenin!" mit seiner effektvollen Re-Inszenierung der untergegangenen DDR. Dana Iordanova sieht den Film in ihrem Essay "East of Eden" in einer Linie mit Beckers und Tykwers anderen "Berlin-Filmen": "Then came the films set in the Berlin, such as Tom Tykwer’s "Run Lola Run" (1998) or Wolfgang Becker’s local hit, co written by Tykwer, "Life Is All You Get" (1997). East Berlin had changed. The once run-down Prenzlauer Berg (location of DEFA’s 1979 cult classic "Solo Sunny", now became the center of cool, with GDR nostalgia spawning renovated retro premises where – as seen in "Good Bye, Lenin!" – young girls wear Russian nurse uniforms as a fashion statement. But "Good Bye, Lenin!" has a unique place in this Berlin series because of the film’s radical revision of the Wall’s narrative standing: in most other Berlin films the Wall is the problem; here it is its absence that causes complications" (Dana Iordanova, "East of Eden", Sight & Sound, August 2003, p. 27).

Quelle: X-Filme Creative Pool, DIF
Katrin Saß in "Good Bye, Lenin!"
 

Zum Interesse vieler internationaler Kritiken für die – zumeist als kurios empfundene – Ost-Kulisse mit ihrem spezifischen Warenangebot mischt sich trotz grundsätzlicher Begeisterung gelegentlich Kritik am apolitischen Konzept der "Ostalgie": "What "Goodbye, Levin!" never quite deals with is the wrong-headedness of its heroine. Imagine a film named "Goodbye, Hitler!" in which a loving son tries to protect his cherished mother from news of the fall of the Third Reich" (Roger Ebert, Chicago Sun-Times, 26.03.2004). Dieser Einschätzung widerspricht ein Autor der "Washington Post", der dem Film durchaus ideologische Kritikfähigkeit attestiert: "Yet beneath the family saga and easy digs at the tackiness of Western consumer culture, Becker presents a serious critique of authoritarianism and propaganda. Alex and Denis essentially create a new regime for Christiane, using nothing but lies and videotape. This aspect of the film recalls Jerzy Skolimowksi's similarly themed (if more trenchant) "Moonlighting", a masterly 1982 tale of Polish workers in London, secluded by their boss from any knowledge of the crackdown on Solidarity occurring at home" (Mark Jenkins, "Hello, Good Bye", Washington Post, 19.03.2004).

Man spricht Film

Quelle: X-Filme Creative Pool, DIF
Daniel Brühl in "Good Bye, Lenin!"
 

Ähnlich sieht es J. Hoberman: ""Good Bye, Lenin!" is overlong and a bit tiresome but it"s actually about something – not so much ostalgie as the conditions that create it. That Communism itself was a fake facade makes Alex' imaginary motherland the simulation of a simulation. There's a haunting quality to his bittersweet realization that "the DDR I created for her became the one I would have wished for"" (J. Hoberman, Village Voice, 25.02. – 02.03.2004). Richard Falcon schließlich bescheinigt dem X-Film in seiner Kritik die Exporttauglichkeit: ""Good Bye, Lenin!" could have remained at the level of farce and contented itself with riding the current wave of partly fetishistic "ostalgie" among an audience who may have been children in the GDR and grown to maturity in post-unification Germany. Instead it becomes increasingly emotionally intricate without sacrificing humour or accessibility to non-German audiences" (Richard Falcon, Sight & Sound, September 2003, p. 52). So hat X-Filme Creative Pool mit drei inhaltlich und formal äußerst unterschiedlichen Filmen – die interessanterweise alle drei in Berlin spielen – dem deutschen Kino vielleicht tatsächlich einen vielversprechenden Weg zum internationalen Publikum eröffnet: Die universelle Sprache des Films nutzen, um das Eigene zu betonen.