Siegfried Kühn
Kühn verbringt die Kriegjahre bei der Großmutter in Ölschen (Schlesien). Mit den Eltern nach West-Berlin geflohen, siedelt er 1950 in die DDR über. Arbeit im Bergbau, 1952-55 Ausbildung zum Bergbau-Ingenieur, als der er bis 1958 tätig ist. Danach Regie-Studium an der Deutschen Hochschule für Filmkunst in Potsdam-Babelsberg, 1959-64 in Moskau an der Filmhochschule VGIK bei Sergej A. Gerasimov.
Anschließend Spielfilm-Debüt im Mosfilm-Studio mit "Oni ne proidut". 1965/66 Regisseur am Satire-Theater in Moskau. 1966 Rückkehr in die DDR, Aspirantur bei Benno Besson am Deutschen Theater. 1967 entsteht der Dokumentarfilm "Das rote Plakat", der erst 1973 herauskommt. 1968/69 im DEFA-Studio für Spielfilme als Assistent von Günter Reisch bei "Jungfer, sie gefällt mir".
1969 debütiert Kühn bei der DEFA mit "Im Spannungsfeld", der das aktuelle Thema der "wissenschaftlich-technischen Revolution" aufgreift. "Zeit der Störche" – nach einer Erzählung von Herbert Otto – handelt von der Liebe zwischen einem Ölbohr-Arbeiter (Winfried Glatzeder) und einer Lehrerin (Heidemarie Wenzel).
Als einer der wichtigsten DEFA-Filme der 1970er Jahre hat sich "Das zweite Leben des Friedrich Wilhelm Georg Platow" erwiesen, den Kühn 1972/73 nach einem Szenarium von Helmut Baierl dreht. Platow (Fritz Marquardt), ein älterer Bahnwärter, soll wegen der Elektrifizierung seiner Strecke aufs Nebengleis verschoben werden. Doch er geht – anstelle seines bequemen Sohnes – zur Weiterbildung auf die Reichsbahnschule und beginnt damit nicht nur beruflich ein neues Leben. Die Komödie, die inhaltlich und stilistisch (Kamera: Roland Dressel) mit unterschiedlichen Mitteln spielt, wird als unprofessionell angefeindet und kommt nur versteckt ins Kino.
Kühns Adaption von Goethes Roman "Die Wahlverwandtschaften" – nach einem Szenarium seiner damaligen Frau Regine Kühn – betont neben der psychologisch-naturwissenschaftlich angelegten Modellsituation der Vorlage auch den sozialen Bezug der doppelten Paarbeziehung. Nach der misslungenen Hochstapler-Komödie "Unterwegs nach Atlantis" (Szenarium: Günter Kunert) nimmt Kühn mehrere Genrewechsel vor. Es entstehen der Gegenwartsfilm "Don Juan, Karl-Liebknecht-Str. 78" (1979/80), die Verfilmung der Gottfried Keller-Novelle "Romeo und Julia auf dem Dorfe" und die Liebesgeschichte "Der Traum vom Elch".
Seine eigenen Erlebnisse bei der "Oma-Mutter" während des Krieges verarbeitend, kann Kühn 1986 in der Komödie "Kindheit" an "Das zweite Leben des Friedrich Wilhelm Georg Platow" anknüpfen, u.a. auch durch die Besetzung des Platow-Darstellers Marquardt als Schweinedompteur in einem Wanderzirkus.
Ein internationaler Erfolg wird – nach einem Buch von Regine Kühn – "Die Schauspielerin" über eine arische Frau, die in der Nazi-Zeit ihre Karriere aufgibt und aus Liebe ans Jüdische Theater wechselt; die Hauptdarstellerin Corinna Harfouch erhält in Karlovy Vary den Grand Prix als Beste Darstellerin. Nach diesem zweiten Karriere-Höhepunkt gerät Kühn mit seinem langjährigen Projekt Karl Mickels antistalinistischen Stoff "Volks Entscheid" zu verfilmen, in die Wirren der Wende: die Dreharbeiten werden Ende 1989 abgebrochen.
Danach realisiert Kühn nur noch die depressive Krebsgeschichte "Heute sterben immer nur die andern" (1990) mit seiner Lebensgefährtin, der Schauspielerin Katrin Saß in der Hauptrolle, und die Ausbruchsgeschichte "Die Lügnerin" (1992), die Regine Kühn für Katharina Thalbach geschrieben hat.
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