Kindheit

DDR 1986/1987 Spielfilm

Inhalt

Ein 9-jähriger Junge erlebt das letzte Kriegsjahr in einem schlesischen Dorf bei seiner phantasiereichen, liebevollen Großmutter und dem eher stillen Großvater. Dieser stirbt nach einem Unfall.

 

Als ein Wanderzirkus im Dorf auftaucht, scheint die Großmutter wie von einem Zauber verwandelt, während die Ortsgewaltigen den Zirkusdirektor Nardini fast wie einen Fremdrassigen mit Misstrauen betrachten, weil er sich aller Einordnung entzieht. Das erste nächtliches Gespräch der Großmutter mit dem Zirkusmann wird zur unausgesprochenen Liebeserklärung. Der Junge beobachtet heimlich die nächtlichen Abenteuer mit dem Zirkusmann, doch seine Solidarität siegt über die Eifersucht, als er von einem geplanten Anschlag der Ortsnazis gegen das Liebesnest der beiden hört. Nardini muss fort, aber Großmutter und Enkel folgen ihm in ein neues Leben.

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Heinz17herne
Heinz17herne
Hochseilartisten auf Motorrädern hoch über dem Marktplatz von Krakau. Mit spektakulären Szenen der DDR-Truppe „Geschwister Weisheit“ beginnt Siegfried Kühns stark autobiographische Hommage an seine „Omamutter“ Anna-Maria Josephine Seipold, „Kindheit“, bei der er seine ersten zehn Lebensjahre verbracht hat, auf einem Bauernhof in einem niederschlesischen Dorf unweit der Oder. Der am 25. August 1987 gleichzeitig in den beiden Berliner Kinos „Babylon“ und „International“ uraufgeführte und am 20. Mai 1990 im Deutschen Fernsehfunk erstausgestrahlte Film, vom staatlichen Progress-Verleih als „antifaschistisch“ promotet und entsprechend publicityträchtig republikweit in den „A-Kinos“ eingesetzt, beginnt in der Endphase des Zweiten Weltkriegs. 1944 spielt sich das Kriegsgeschehen weit im Osten und weit im Westen ab, noch kann Ortsbauernführer Riedel das große Wort führen in brauner Uniform mit rot-schwarzer Hakenkreuzbinde.

Der neunjährige Ich-Erzähler Alfons lebt unbeschwert bei den Großeltern, dem eher mürrischen Großvater und der herzensguten Großmutter (die sehr jung besetzte Carmen-Maja Antoni glänzt in ihrer ersten Leinwand-Hauptrolle), welche stets um ausgleichende Gerechtigkeit bemüht ist und dem Lausbuben manchen Streich durchgehen lässt. Mit der garstigen, auf Alfons schlecht zu sprechenden Tante Hede und der lieben, nicht weiter auffallenden Tante Mieke leben weitere Familienangehörige auf dem Hof, die zusammen mit dem polnischen Kriegsgefangenen Johann die an der Front kämpfenden Männer in der Landwirtschaft ersetzen müssen.

Mit Johann versteht sich Alfons besonders gut, baut mit ihm eine „Brücke übers Meer“, zu welchem flugs der Misthaufen erklärt wird – und Omamutter nimmt ihren Enkel, dessen Mutter in seinem Leben keine Rolle spielt und sich nur äußerst selten kurz blicken lässt, auf die Schulter, um mit ihm übers Meer zu segeln und, schon die zweite halsbrecherische Szene, wenn man den Krakauer Prolog einbezieht, höchste Berggipfel (auf dem Dachfirst des Hofes) zu erklimmen.

Die Spätfolgen eines Lausbubenstreichs werden dem Großvater zum Verhängnis: aus der Stadt zurückkommend, wo sich dieser mit einer weitaus Jüngeren vergnügt hat, schläft er auf dem Bock des Pferdewagens ein. Alfons greift in die Zügel – und das Fuhrwerk landet samt Ladung im Graben. Von diesem Unfall wird sich der Großvater nicht mehr erholen, schweigt aber beharrlich zur Ursache, damit Johann seinen Seitensprung nicht verpetzt. Den Rest gibt ihm, dass nun Johann seinen Platz am Tisch einnimmt. Als seine Mutter zu Großvaters Beerdigung erscheint, läuft Alfons weg.

Zirkuswagen rollen durchs Dorf. Enrico Nardini, ein Italiener, der seit dreißig Jahren in Deutschland lebt, macht mit einer spektakulären Messerwerfer-Nummer auf sich und seine aus nur einer Handvoll Artisten bestehende Truppe aufmerksam. Bei der sich die offenbar von Nardini sogleich faszinierte Omamutter todesmutig als Partnerin an der Scheunenwand zur Verfügung stellt. Was aus den Bildern des Kameramannes Peter Ziesche naturgemäß nicht ersichtlich wird: Carmen-Maja Antoni musste in den darauffolgenden Drehtagen mit einem dicken Kopfverband herumlaufen, denn der Messerwerfer vom renommierten DDR-Staatszirkus Berolina versenkte einen seiner Dolche in ihrem linken Ohr!

Die Zirkusvorführungen sind putzig, etwa Nardinis Dressurnummer mit dem Wildschwein Jolanthe, aber auch gefährlich: Als eine Sirene lautstark vor einem Fliegerangriff der Alliierten warnt, ist der ansonsten friedliche Löwe so irritiert, dass er seinem liebsten Spielkameraden, einem Kaninchen, den Garaus macht. Da muss Alfons aus Omamutters Stall für Ersatz sorgen. Als es im Schutzkeller zu einer gewalttätigen Auseinandersetzung mit Nardini, welcher die Kriegslage der Deutschen sehr realistisch als ausweglos einschätzt, und dem Ortsbauernführer sowie dem Bürgermeister kommt, der den Italiener wegen Defätismus verhaften will, rettet die Omamutter Letzterem das Leben. Beide kommen sich in der Folge näher, als es im Dorf, aber auch von der dauerempörten Tante Hede als schicklich empfunden wird.

An Leib und Leben soll es Nardini gehen, weil er dem Obernazi des Ortes für dessen Feier für das hübsche Sümmchen von tausend Reichsmark nicht Jolanthe verkauft hat, sondern deren Schwester. Der flüchtet in die Wälder und wird von der Omamutter nicht nur mit Lebensmitteln versorgt. Von fanatischen Bauernjungen verraten, wollen Riedel, Schräter und Genossen den „Zigeuner“ ausräuchern und zünden mit ihren Fackeln das Zirkuslager an. Doch Nardini entkommt, kann Omamutter aber nicht dazu überreden, für ihn den Hof und damit auch die Familie aufzugeben.

Der Krieg rückt näher, die Nervosität der Nazis bekommt paranoiahafte Züge. Auf vermeintliche Spitzel wie den Dachdecker lässt Riedel mit zu Hilfe gerufenen Wehrmachtssoldaten regelrechte Treibjagden veranstalten. Und Omamutter, die seit Nardinis Flucht wie versteinert wirkt, entschließt sich, mit Alfons und einem Wagen voller Sachen, die Wertgegenstände werden in der Erde vor der anrückenden Sowjetarmee vergraben, die Oder zu überqueren. Nach knapp neunzig Minuten sieht man dem Planwagen auf einer Anhöhe nach, in der Ferne die Blitze und das Donnergrollen des Krieges...

„Kindheit“ ist zuallererst eine zarter Liebesfilm mit den beiden herausragenden Protagonisten Carmen Maja Antoni und Fritz Marquardt, deren auch gemeinsame Bühnenerfahrung beinahe in jeder Einstellung erkennbar ist. Die einstige Doyenne des Berliner Ensembles sollte Jahre später in der Verfilmung der Erwin Strittmatter-Trilogie „Der Laden“ erneut in eine solche Großmutter-Rolle schlüpfen. „Kindheit“ ist zugleich aber auch eine tragikomische, vielfach sogar unbeschwert-heitere Lausbubengeschichte mitten im Zweiten Weltkrieg, auch wenn natürlich nicht jedes Detail autobiographisch sein kann. Die mit der Flucht und Vertreibung der Deutschen aus dem Osten ein striktes Tabu-Thema in der DDR zumindest anschneidet.

Eine bedeutende Rolle kommt der Musik zu. Neben längeren Auszügen aus Pergolesis „Stabat Mater“ sollte Hans-Jürgen Wenzel, mit dem Regisseur in langjähriger Zusammenarbeit eng verbunden, eine neue Filmmusik komponieren. Was aus gesundheitlichen Gründen misslang, sodass Kühn auf dessen „Platow“-Musik zurückgriff – ein Geniestreich, wie sich im Nachhinein zeigte. Die Besetzung ist erstklassig wie eigentlich in allen Kühn-Filmen. Als Alfons wurde ein schier unglaubliches Naturtalent gefunden. Doch Marc Poser erging es wie vielen Kinderstars: er hat sein großes Potential, das in „Kindheit“ zum Ausdruck kommt, nach der Pubertät nicht ausschöpfen können und keine Schauspielerkarriere gemacht.

Der Verband der Film- und Fernsehschaffenden der DDR vergab 1987 zwei Kritikerpreise „Die große Klappe“ für den besten Film und die beste Darstellerin (Carmen-Maja Antoni), während im Jahr darauf beim 5. Nationalen Spielfilmfestival der DDR in Karl-Marx-Stadt neben dem Preis für die beste weibliche Hauptrolle (Carmen-Maja Antoni) auch der Preis für den besten Nebendarsteller (Hermann Beyer) heraussprang.

Pitt Herrmann

Credits

Alle Credits

Regie-Assistenz

Assistenz-Regie

Drehbuch

Dramaturgie

Kamera

Bauten

Bau-Ausführung

Kostüme

Schnitt

Mischung

Darsteller

Sprecher

Produktionsleitung

Aufnahmeleitung

Länge:
2408 m, 88 min
Format:
35mm, 1:1,66
Bild/Ton:
Orwocolor, Ton
Aufführung:

Uraufführung (DD): 25.08.1987, Berlin, International

Titel

  • Originaltitel (DD) Kindheit

Fassungen

Original

Länge:
2408 m, 88 min
Format:
35mm, 1:1,66
Bild/Ton:
Orwocolor, Ton
Aufführung:

Uraufführung (DD): 25.08.1987, Berlin, International

Auszeichnungen

Nationales Spielfilmfestival der DDR 1988
  • Bester Nebendarsteller
  • Beste Hauptdarstellerin