Winterreise
filmportal.de TV-Tipp zu "Winterreise"
Es ist fast schon ein Klischee, den Schauspieler Josef Bierbichler als "Naturgewalt" zu bezeichnen – doch welches Wort passt besser auf die Wucht, die er als Eisenwarenhändler Franz Brenninger entfaltet, wenn er aufs Wüsteste über die "Arschlochpost" (zumeist Mahnungen) schimpft, die er täglich erhält, die "Scheißkinder", die ihn sehen wollen, sowie über den Rest einer Welt, die nur noch aus Zumutungen besteht. Wenn er die Fenster aufreißt und schreit: "Ich brauch Luft!". Und dann die völlig gegensätzlichen, doch nicht weniger intensiven Momente, in denen er etwa auf einer Autofahrt das Schubert-Lied von den "Nebensonnen" singt, das aus dem zutiefst melancholischen Liederzyklus stammt, dessen Titel auch der Film trägt: "Winterreise".
Sein Franz Brenninger ist ein alternder Mann, dessen beste Zeiten vorbei sind. Jetzt gehen die Geschäfte schlecht, seine Welt wird immer unübersichtlicher, außerdem erblindet seine Frau. Und Brenninger hat seine "Phasen", von himmelhoch jauchzend bis zu Tode betrübt - und immer wieder rasend vor Wut. Als eines Tages Post aus Afrika kommt und ihm ein paar hunderttausend Dollar verheißt für eine lächerliche Transaktion auf seinem Konto, geht er naiv wie ein Kind darauf ein. Er besorgt also 50.000 Euro, die er "als Sicherheit" hinterlegen soll - und verliert alles. Doch Brenninger ist fest entschlossen, sein Geld wiederzuholen, und reist nach Kenia. Mit ihm kommt als eine Art Schutzengel die junge Kurdin Laila, die für ihn dolmetschen soll.
Wer aber jetzt eine turbulente Verbrecherjagd mit Happy End erwartet, liegt falsch. Denn Regisseur Hans Steinbichler, der zuvor mit "Hierankl" Aufsehen erregte, lässt seinen Protagonisten konsequent seinen eigenen Weg gehen – und der kann nicht in eine heile Welt führen. Steinbichler zeichnet das Porträt eines Verlorenen in einer heillosen Welt. Und doch findet er einen warmherzigen und humorvollen Blick in all die Abgründe.
So sehr der Film von Bierbichler beherrscht wird - der dafür hochverdient mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnet wurde - so wenig glaubwürdig wäre Brenningers Welt ohne die großartigen Mitspieler von Hanna Schygulla über Sibel Kekilli bis André Hennicke.
"Winterreise" ist ein echter Glanzpunkt des jüngsten deutschen Films, wild und sanft, direkt und hintergründig, und bewegend, ohne pathetisch zu sein.