Der Untergang
Der Untergang
Georg Seeßlen, epd Film, Nr. 10, 01.10.2004
Mit einem Drehbuch des Produzenten Bernd Eichinger, zwei prominenten, viel beachteten Vorlagen, einem Budget von 14 Millionen Euro und erheblichem Mediengeräusch ist Hitler jetzt im Kino angekommen. Was leistet "Der Untergang", ein Film, der für sich einen "authentischen", historisch zertifizierten Blick auf die letzten Tage des Nazi-Regimes reklamiert, wirklich?
"Der Untergang", wer wüsste das inzwischen nicht, schildert die letzten Tage von Hitler und seinen Getreuen im bombardierten Berlin, den körperlichen und geistigen Verfall des "Führers", den Verlust der Wahrnehmung der militärischen Wirklichkeit, die Fortdauer von Gewalt und Rachsucht, die Vorbereitungen auf den Selbstmord, die Formulierung grausiger politischer Testamente, die Hochzeit von Eva Braun und Adolf Hitler, die Ermordung der Kinder von Joseph und Magda Goebbels. Und draußen wird geschossen, gestorben, gehungert und verbrannt. Bernd Eichinger legte seinem Drehbuch die Erinnerungen der Sekretärin Traudl Junge und die historische Darstellung von Joachim C. Fest zu Grunde. Und Regisseur Oliver Hirschbiegel verwendet als Abbildungsmethode eine nur leicht stilisierte Form des psychologischen Realismus: Wir sind, so suggeriert das, "dabei", in einem kohärenten Repräsentationsraum, der auf allen Ebenen seine enge Verbindung mit dem historischen Vor-Bild beweisen will, vom Ausstattungsdetail über das Handzittern des Führers bis zum Wortlaut letzter Gespräche.
In diesem offensichtlich geschickt gewählten Rahmen "funktioniert" der Film, er hat seine starken Momente: Bruno Ganz, der als Hitler seine letzte vegetarische Mahlzeit löffelt, die Ermordung der Kinder durch Magda Goebbels, eine Bild-Stafette von Nahaufnahmen von Händen, die sich berühren oder eben nicht, und so fort. "Der Untergang" entwickelt hier Anteilnahme und dort Empörung, riskiert kaum den Bruch guten Geschmacks. Man kann das als Kompliment für Drehbuch, Regie, Schauspieler und Technik ansehen. Erst wenn einen der Film mit der Koda von Traudl Junges Flucht entlässt, kommt man wieder zu sich. Der Film hat uns sicher geführt, auch über die eine oder andere Bilder-Falle. Aber wohin hat er uns geführt, abgesehen von der erleichterten Feststellung: Doch, das geht, den Menschen Hitler zeigen?
Die Fiktion kann ein Instrument sein, hinter die Masken der historischen Evidenz zu gelangen, in ein Inneres der Beziehungen von Macht und Begierde. Der Trick dazu ist eine Verschiebung des Subjekts, die Reflexion im "privaten" Widerschein der Geschichte, der enthält, was die Inszenierung der Macht und die Realisierung des Widerstands verbergen müssen. Der Umweg über die Fiktion ist, sehen wir von Propaganda, "Belehrung" und exploitation ab, ein dem Experiment verwandtes Gedankenspiel zwischen Situation, Interesse, Ideologie und Verhalten. Nun ist aber "Der Untergang" in seinem Bemühen, eine Art Eins-zu-Eins-Umsetzung der Quellen zu schaffen, das Gegenteil einer solchen Reflexion, schon weil sich das Unternehmen gleich zweimal an eine anerkannte Form der Authentizität bindet, nämlich einmal an die Augenzeugen-Authentizität von Traudl Junges Bericht (bewährt schon in der Vorbereitung von Georg Wilhelm Pabsts Film "Der letzte Akt" aus dem Jahr 1955, später in André Hellers Film und als Buch präsent), die eine passable "unschuldige" Perspektive abgibt (nah beim Führer und doch nicht Teil seiner Verbrechen), und auf der anderen Seite die nicht minder bewährte Historizität von Joachim C. Fest .
Doch mit dieser doppelten "Authentizität" verhält sich "Der Untergang" eher wie eine Doku-Soap-Opera denn wie ein historisch-moralisches Experiment. Es ist alles "erschreckend echt", und diese scheinbar standpunktlos offene "Echtheit" kommt als Erfüllung aller Vorstellungen und zugleich als Vermeidung aller bis dahin aufgezeichneten Fehler über uns: Hitler nicht dämonisieren! Hitler nicht karikieren! Hitler nicht vermenscheln! Nicht auf die Inszenierungen und Selbstinszenierungen hereinfallen, die uns die Quellen des Nationalsozialismus hinterlassen haben! Hitler nicht als "Verrückten" charakterisieren, Hitler nicht als Nichtverrückten darstellen! Und weil der Film auf der anderen Seite handwerklich auch jenseits seines historischen Sujets funktioniert, als Melodram, als Thriller, sogar als Kriegsfilm mit seiner Typologie, mag "Der Untergang" ein Gefühl der "Richtigkeit" hinterlassen. Nur die Frage nach der Erkenntnis, nach dem, was über diese "gepflegte" Tautologie hinausgeht, kann er nicht beantworten.
Pabsts Film "Der letzte Akt" versuchte sich am Prozess der cineastischen Entmythisierung: Hitler, von Albin Skoda als Mensch dargestellt, der ohne sein Instrument, sein Massen-Echo nur noch jämmerlich erscheint. "Der Untergang" mag auch so etwas wie ein Remake von "Der letzte Akt" sein, nur dass der eine Film einen Diskurs zu beginnen trachtet, der andere ihn beenden will. Vielleicht muss jede Generation ihr eigenes Hitler-Bild in ihre Kultur einschreiben, und Bruno Ganz, der den Führer tatsächlich jenseits von Dämonie, Spießer-Erbärmlichkeit und Karikatur (oder in perfekter Balance von alledem) als das Paradox des Unmenschlichkeit produzierenden Menschen gibt, liefert das Hitler-Bild für die Post-Postmoderne, die sich weder mit Abstraktionen noch mit Analysen, weder mit doppelten Codierungen noch mit psychologischen Brechungen abfindet, sondern distanzloses Dabeisein verlangt. Hitler für die Kinder von CNN, Big Brother und Political Correctness.
Die meisten Hitler-Filme beinhalten, explizit oder nicht, Faschismus-Theorien, ökonomische, sexuelle, massenpsychologische Erklärungsmuster, die über den Plot hinausgehen und unter ihm rumoren. Nicht so "Der Untergang". Er enthält stattdessen das Diktum des Blickwechsels. Der Faschismus vom Ende her gesehen erscheint als Menschheitstragödie. Und der Mythos der Authentizität gebiert eine ganze andere, hinter der Maske der Echtheit verborgene Fantasie: "Der Untergang" der Reichshauptstadt als Wiederkehr des blutigen Endes der Nibelungen (ganz direkt inszeniert der Film eine Szene eingeschlossener deutscher Soldaten als Replik der Metzelei am Hof des Hunnenkönigs), das Drei-Akt-Schema von Verdammnis, Opfer und Erlösung, die Rettung der Heldin an der Hand jenes Jungen, der gerade noch mit der Panzerfaust tötete und von Hitler persönlich ausgezeichnet wurde, der archaisch-mythische – von der Historie entfernte – Tod von Magda und Joseph Goebbels, die sonderbaren Sympathieverteilungen in der Entourage des Führers (der Kriegsverbrecher Speer wird geradezu zum humanistischen Helden): All dies und vieles mehr in der Tiefenschicht des Filmes wird sich womöglich zukünftigen Psycho-Historikern als eine heftigere Kehrtwendung erschließen, als es uns im Augenblick gewahr ist. "Der Untergang" schildert das Ende des Krieges nicht als Befreiung, sondern als tragische Abfolge von Selbstzerstörung, Opfer und Wiedergeburt. Das ist eine große Lüge, selbst wenn sie aus lauter kleinen Wahrheiten zusammengesetzt ist. Der Faschismus hat keinen Untergang, der Faschismus ist Untergang. Von jenem Anfang an, dessen Ausblendung das Ende in falschem Schicksalsglanz leuchten lässt.