Betrogen bis zum jüngsten Tag

DDR 1956/1957 Spielfilm

Erinnerung an "Betrogen bis zum jüngsten Tag"


Fred Gehler, Film und Fernsehen, Berlin/DDR, Nr. 1, 1985


"Der Mensch ist das Untier und Übertier", schreibt Friedrich Nietzsche in "Wille zur Macht", …der höhere Mensch ist der Unmensch und Übermensch: so gehört es zusammen. Mit jedem Wachstum des Menschen in die Größe und Höhe wächst er auch in das Tiefe und Furchtbare: man soll das Eine nicht wollen ohne das Andere" – oder vielmehr: je gründlicher man das Eine will, um so gründlicher erreicht man das Andere." Es ist nicht mißzuverstehen. Im Klartext dieser Denkkonstruktion: Barbarei und Bestialität gehören zum innersten Wesen des "Übermenschen", der auch identisch ist mit der prachtvollen, "nach Beute und Sieg lüstern schweifenden blonden Bestie". Franz Fühmanns 1955 geschriebene Novelle und ihre schon kurz darauf erfolgte filmische Adaption durch Kurt Jung-Alsen zeigen an einem exemplarischen Fall das Schweifen der Bestie, die Amoral des Übermenschen. Eine unerhörte Begebenheit entblättert den Mythos des Untiers. (…)

Der Film macht die Schändung der Begriffe "Kameradschaft", "Kameraden" durchsichtig. Mythischer Nebel umhüllt sie: eine verschworene Gemeinschaft. Zusammenhalten in "Treu und Glauben"; einer steht für den anderen; alle für .einen, etcetera. Rituale solcher Kameraderie; der Schwur, das Gelöbnis. Am Lagerfeuer, bei Rum und sentimental-pathetischen Gesängen erneuert sich ständig diese "Gemeinschaft". Die nächste, höhere Stufe des Begriffs "Kameraden": "Soldaten des Führers". Eine Prostitution der Sprache: dahinter verbirgt sich die tumbe "Gefolgschaft". Lick, Wagner und Paulun sind Komplizen geworden. Ein Abbild der größeren Komplizenschaft, der "Wehrmacht" im Solde des Nazismus-Imperialismus. Um sie zu erhalten, bedarf es eines "Ehren"-Modells, das unmittelbar eine Kopie Chikagoer Ringvereine oder der Mafia ist. Im gegenseitigen Belauern und Mißtrauen wird die Katze aus dem Sack gelassen: "Du bist mit "drin"". Als sich Paulun verzweifelt wehrt – "Ich bin doch kein Verräter" -, kann die Schlußfolgerung nur lauten: "Wir können Dich also umlegen, wenn Du schlappmachst?" Und als er am Ende endgültig "schlappmacht", er angesichts von Exekutionen (als "Vergeltungsaktion" bemäntelt) und seiner eigenen Ohnmacht die Wahrheit herausschreit (die keiner hören will), wird er "auf der Flucht erschossen". (…)


Der Film wurzelt in der Tradition eines guten Erzählkinos. Die lineare Fabel ist durch keinerlei Beiwerk belastet. Fast stets im Zentrum des Geschehens: die "drei Kameraden". Reaktionen erwachsen unmittelbar aus den Ereignissen, die Psychogramme bilden sich zusehends ab. Eine knappe Metaphorik unterstützt behutsam, unaufdringlich. Die Szenerie der Tat – eine Sumpf- und Moorlandschaft. So wie die Soldatenstiefel im klebrigen Modder herumpatschen, verstricken sich die Drei in den Folgen des Verschweigens und Vertuschens. Der unberührte Teller in der Wirtschaft als Zeichen dafür, daß ein Gewissen aufbricht. Ein gluckernder Gully in der Waschkaue schafft Assoziationen zur im Sumpf verscharrten Leiche und läßt keine Beruhigung aufkommen. Die vergessenen Strümpfe lösen erneut eine Schockreaktion aus.

Visuell suggestiv die Sequenz des Gasalarms. Die durch die Masken deformierten menschlichen Gesichter (Fühmann schreibt in der Novelle: "…sie liefen im Kreis, eine Herde seltsamer, grauer, gehetzter Rüsseltiere"). Gasplanen bedecken die Körper wie Leichentücher. Auf dem Appellplatz unförmige, schwankende Gebilde. Keiner ist mehr kenntlich. Der Mensch ist unkenntlich geworden.

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