Betrogen bis zum jüngsten Tag
Erinnerung an "Betrogen bis zum jüngsten Tag"
"Der Mensch ist das Untier und Übertier", schreibt Friedrich Nietzsche in "Wille zur Macht", …der höhere Mensch ist der Unmensch und Übermensch: so gehört es zusammen. Mit jedem Wachstum des Menschen in die Größe und Höhe wächst er auch in das Tiefe und Furchtbare: man soll das Eine nicht wollen ohne das Andere" – oder vielmehr: je gründlicher man das Eine will, um so gründlicher erreicht man das Andere." Es ist nicht mißzuverstehen. Im Klartext dieser Denkkonstruktion: Barbarei und Bestialität gehören zum innersten Wesen des "Übermenschen", der auch identisch ist mit der prachtvollen, "nach Beute und Sieg lüstern schweifenden blonden Bestie". Franz Fühmanns 1955 geschriebene Novelle und ihre schon kurz darauf erfolgte filmische Adaption durch Kurt Jung-Alsen zeigen an einem exemplarischen Fall das Schweifen der Bestie, die Amoral des Übermenschen. Eine unerhörte Begebenheit entblättert den Mythos des Untiers. (…)
Der Film macht die Schändung der Begriffe "Kameradschaft", "Kameraden" durchsichtig. Mythischer Nebel umhüllt sie: eine verschworene Gemeinschaft. Zusammenhalten in "Treu und Glauben"; einer steht für den anderen; alle für .einen, etcetera. Rituale solcher Kameraderie; der Schwur, das Gelöbnis. Am Lagerfeuer, bei Rum und sentimental-pathetischen Gesängen erneuert sich ständig diese "Gemeinschaft". Die nächste, höhere Stufe des Begriffs "Kameraden": "Soldaten des Führers". Eine Prostitution der Sprache: dahinter verbirgt sich die tumbe "Gefolgschaft". Lick, Wagner und Paulun sind Komplizen geworden. Ein Abbild der größeren Komplizenschaft, der "Wehrmacht" im Solde des Nazismus-Imperialismus. Um sie zu erhalten, bedarf es eines "Ehren"-Modells, das unmittelbar eine Kopie Chikagoer Ringvereine oder der Mafia ist. Im gegenseitigen Belauern und Mißtrauen wird die Katze aus dem Sack gelassen: "Du bist mit "drin"". Als sich Paulun verzweifelt wehrt – "Ich bin doch kein Verräter" -, kann die Schlußfolgerung nur lauten: "Wir können Dich also umlegen, wenn Du schlappmachst?" Und als er am Ende endgültig "schlappmacht", er angesichts von Exekutionen (als "Vergeltungsaktion" bemäntelt) und seiner eigenen Ohnmacht die Wahrheit herausschreit (die keiner hören will), wird er "auf der Flucht erschossen". (…)
Visuell suggestiv die Sequenz des Gasalarms. Die durch die Masken deformierten menschlichen Gesichter (Fühmann schreibt in der Novelle: "…sie liefen im Kreis, eine Herde seltsamer, grauer, gehetzter Rüsseltiere"). Gasplanen bedecken die Körper wie Leichentücher. Auf dem Appellplatz unförmige, schwankende Gebilde. Keiner ist mehr kenntlich. Der Mensch ist unkenntlich geworden.