Biografie
Paul Dessau, geboren am 19. Dezember 1894 in Hamburg, kommt aufgrund des großen Interesses seiner Familie an Musik (mehrere Verwandte sind professionelle Orchestermusiker und Komponisten) bereits als Kind mit den Standardwerken des Musiktheaters in Berührung. Er erweist sich als großes Talent an der Violine, muss eine Karriere als Violinist jedoch im Alter von 16 Jahren aufgeben, als ein Arzt eine Schwäche der linken Hand bei ihm feststellt. Dessau wird nach Berlin geschickt, wo er am Klindworth-Schwarwenka-Konservatorium eine Ausbildung zum Kapellmeister absolviert und Klavierunterricht erhält. 1912/1913 erhält er, gerade 18 Jahre alt, eine Stelle als Korrepetitor am Hamburger Stadttheater. Hier sammelt er nicht zuletzt durch die Zusammenarbeit mit Größen wie Giacomo Puccini oder Enrico Carusozahlreiche praktische Erfahrungen. Zugleich nimmt er Kompositionsunterricht und verfolgt verstärkt des Ziel, eigenständiger Komponist zu werden.
Im Jahr 1915 wird Dessau zum Militär eingezogen und dient während des Ersten Weltkriegs unter anderem an der französischen Front. Bis Kriegsende und seiner Entlassung aus dem Militär (wo er auf Grund einer Verletzung schließlich einer Militärkapelle zugeteilt wurde) im Jahr 1918 entwickelt Dessau eine massive Abscheu gegen die "Schreckensherrschaft des entfesselten Militarismus" und gegen "alles, was "Drill" heißt".
Ab 1918 erhält Dessau zahlreiche Engagements als Korrepetitor und Kapellmeister an renommierten Musikhäusern in ganz Deutschland. Für sein "Concertino" für Violine erhält er 1925 den Preis des Musikverlags Schott; zwei Jahre später wird in Prag seine 1. Sinfonie (in C) uraufgeführt. Am 21.6.1924 heiratet er die Schauspielerin Gudrun Kabisch, mit der er zwei Kinder hat (1936 wird die Ehe geschieden).
Zum Film kommt Paul Dessau 1926, als die Ufa ihn mit der Leitung ihres Orchesters in Wiesbaden betraut. Nach seiner Rückkehr nach Berlin ist er als Orchesterleiter an verschiedenen Lichtspielhäusern tätig. An den Alhambra-Kinos arbeitet er zwei Jahre lang mit dem Kammerorchester des Hauses, eine Zeit, in der er eine Reihe eigener Kompositionen schreibt, die sowohl beim Publikum als auch bei der Presse auf Begeisterung stoßen. Tatsächlich widmet die Musik- und Film-Fachpresse Dessaus Musik schon bald ausführliche Rezensionen. Dessau selbst betrachtet seine Film-Kompositionen als wirksames Medium, um die Menschen mit anspruchsvoller Musik vertraut zu machen. So erklärt er 1928 im Reichsfilmblatt: "Das Lichtspieltheater, die Unterhaltungsstätte der breiten Masse, ist in viel höherem Maße verpflichtet, an der Weiterentwicklung der musikalischen Bildung des Volkes zu arbeiten, als beispielsweise die Oper, die noch immer nur einer verhältnismäßig geringen Anzahl von Menschen und nur in wenigen großen Städten zugänglich ist. Und die modernste, aktuellste und lebendigste Kunstgattung, "Das lebende Bild", sollte auch durch die modernste, lebendigste Musiksprache begleitet werden."
Ende der 1920er Jahre macht Dessau erste Tonfilm-Experimente und arbeitet ab Beginn der 1930er Jahre als Komponist für zahlreiche Tonfilme, zunächst vor allem bei Filmoperetten und Sängerfilmen. Daneben komponiert er unter anderem die Musiken für Arnold Fancks Bergfilme "Der weiße Rausch", " S.O.S. Eisberg" und "Stürme über dem Montblanc", bei dem er mit der Welte-Orgel und dem Trautonium experimentiert, um elektronische Effekte zu erzielen."
Im Jahr 1933 emigriert Dessau, der aufgrund seiner jüdischen Wurzeln von Verfolgung bedroht ist, nach Paris. Hier komponiert er Musiken für französische Spielfilme, wobei er überwiegend mit Emigranten aus der deutschen Filmindustrie arbeitet: Kurt Bernhardt, Robert Siodmak, Max Ophüls, Fedor Ozeps oder Detlef Sierck.
Im Juli 1939 emigriert Dessau weiter nach New York. Ohne festen Job und ohne Kontakte hält er sich mit dem Kopieren von Noten und Texten anderer Komponisten sowie als Musiklehrer mehr schlecht als recht über Wasser. Seine Situation ändert sich erst 1942, als er Bertolt Brecht kennen lernt, der ihm rät, nach Hollywood zu ziehen. Neben seinen Arbeiten mit Brecht, der ebenfalls in Los Angeles lebt, erhält Dessau Aufträge von verschiedenen Filmproduzenten, jedoch lediglich als Instrumentator und Orchestrator. Andere Komponisten heuern ihn gelegentlich als anonymen "Zuarbeiter" an, wenn sie selbst mit einer Filmmusik nicht fertig werden – eine undankbare Aufgabe, die Dessau verabscheut.
Ab 1945 erhält Dessau dann eigene Nennungen als Komponist oder musikalischer Leiter, etwa bei Edgar G. Ulmers "The Wife of Monte Christo" oder Bernard Vorhaus" "Winter Wonderland". Seine letzte Arbeit in Hollywood (einmal mehr ohne Nennung) ist 1948 die Komposition, die Orchestration und das Arrangement für Hugo W. Friedhofer bei Victor Flemings "Joan of Arc".
1948 kehrt Dessau mit seiner zweiten Frau, der Schriftstellerin Elisabeth Hauptmann, nach Europa zurück und lässt sich in Ost-Berlin nieder. In den folgenden Jahren arbeitet er wieder intensiv mit dem ebenfalls zurückgekehrten Brecht zusammen und komponiert mehrere Bühnenmusiken für dessen Berliner Ensemble. Dessaus und Brechts Oper "Das Verhör des Lukullus" darf Mitte 1951 nicht aufgeführt werden, da die Zensur die Musik als "volksfremd und formalistisch" betrachtet – erst Ende 1951 kommt das Stück nach zahlreichen Änderungen auf die Bühne.
In den nächsten Jahren schreibt Dessau zahlreiche Lieder, Tanzszenen und Orchesterstücke. Erst Mitte der 1950er Jahre beginnt er wieder für den Film zu komponieren, vor allem für eine Reihe von propagandistischen Dokumentarfilmen von Andrew und Annelie Thorndike.
Ab 1952 lehrt Dessau an der Staatlichen Schauspielschule in Berlin-Oberschöneweide. Im gleichen Jahr wird er Mitglied der Deutschen Akademie der Künste in Berlin, als deren Vizepräsident er von 1957 bis 1962 fungiert. 1965 wird er zudem Mitglied der Westberliner Akademie der Künste, aus der er jedoch drei Jahre später unter Protest wieder austritt.
Grundsätzlich ist Dessaus Situation in der DDR zwiegespalten: Durch seine Verwendung der Zwölftontechnik und sein Engagement für Arnold Schönberg avanciert er einerseits zum Hoffnungsträger der jungen Avantgarde, andererseits wird er von offiziellen Stellen angegriffen und teilweise durch Nichtaufführung stillschweigend übergangen – während man ihn offiziell mit zahlreichen staatlichen Auszeichnungen ehrt.
Paul Dessau stirbt am 28. Juni 1979 in Königs Wusterhausen. Er verfügt testamentarisch, dass seine Beisetzung in Ost-Berlin nicht als Staatsbegräbnis, sondern nur im Freundeskreis stattfinden soll.
Die Ausstattung dieser Personenseite wurde durch die DEFA-Stiftung gefördert.