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Der Dokumentarfilm beleuchtet das Leben der umstrittenen Filmemacherin Leni Riefenstahl, die vor allem für ihre Propagandafilme "Triumph des Willens" und "Olympia" bekannt ist, in denen Massenaufmärsche und Körperkult zelebriert werden und mit denen sie ikonische Bilder schuf. Ihre ideologische Nähe zum NS-Regime leugnete sie nach dem Zweiten Weltkrieg stets vehement: Obwohl ihre Filme für den NS-Staat entstanden seien, habe für sie selbst nur der künstlerische Aspekt gezählt; von den Gräueltaten der Nazis habe sie trotz ihrer Nähe zu Hitler nichts mitbekommen. Anhand von Privataufnahmen, Mitschnitten von Telefongesprächen und Briefen aus dem Nachlass, der erstmals vollständig eingesehen werden konnte, zeigt der Film, wie Riefenstahls Faszination für Kraft und Schönheit bereits in ihrer Kindheit begann und sich in ihrem Werk fortsetzte. Ihrem Bestreiten, jemals mit den menschenverachtenden Ideologien der Nationalsozialisten sympathisiert zu haben, setzt Andres Veiel ein entlarvendes, differenzierteres Bild der Regisseurin und späteren Fotografin gegenüber.
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Der aus 700 Kisten bestehende persönliche Nachlass Riefenstahls, die 1923 als Mary Wigman-Schülerin als Tänzerin begann, bevor sie als Schauspielerin in Bergfilmen Arnold Francks („Stürme über dem Montblanc“, „Die weiße Hölle vom Piz Palü“) reüssierte und 1932 mit „Das blaue Licht“ ihre erste Regie verwirklichte, befindet sich im Besitz der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Die TV-Journalistin Sandra Maischberger erhielt als erste Zugang zu dem Material, das ein Team aus Archivaren und Rechercheuren über vier Jahre sichtete, bevor der Dokumentarist Andres Veiel ins Spiel kam. Allein der Schnitt seines Materials dauerte 18 Monate.
Produzentin Sandra Maischberger im Majestic-Presseheft: „Leni Riefenstahls hundertjährige Lebens- und Wirkungsgeschichte ist ein Schlüssel zum Verständnis der Mechanismen von Manipulation, wie sie uns gerade wieder begegnen. Das macht die Reise in die Tiefen ihres Nachlasses nicht nur zu einer wichtigen kulturgeschichtlichen Aufgabe. Ihr Werk zu dechiffrieren heißt: eine Ursünde der Filmpropaganda offen zu legen, um sie im Heute wiedererkennen zu können.“
Abseits der bekannten Meinungen über Leni Riefenstahl versucht der knapp zweistündige Film, eine tiefere Wahrheit freizulegen, die sich aus den Widersprüchen des Nachlasses dieser Meisterin der Selbstdarstellung und Manipulation ergibt. In „Riefenstahl“ spricht Ulrich Noethen, Neuland für einen Veiel-Film, einen wertenden Kommentar, der zu Beginn die Funktion hat, Riefenstahls Lügengebilde zum Einsturz zu bringen. Was später beinahe allein die Montage übernimmt. Die Dokumentation arbeitet ausschließlich mit Archiv-Material: der Nachlass aus in Ordnern gesammelten persönlichen Schriftstücken, Fotoalben und Kontaktbögen in Schutzhüllen und Kartons wird auf einem Leuchttisch präsentiert, aber auch in Bewegung abgefilmt oder als Standbild gezeigt.
Andres Veiel verzichtet zwar bewusst auf Zeitzeugeninterviews, nutzt aber die O-Töne, die Gestik und Mimik Riefenstahls in zahlreichen Interviews und Auftritten im Fernsehen, Höhepunkt ihr Verhalten in der WDR-Talkshow „Je später der Abend“ am 30. Oktober 1976 gegenüber der gleichaltrigen Hamburger Gewerkschafterin Elfriede Kretschmar, welche dem Selbstbild einer unpolitischen, ahnungslosen Künstlerin vehement entgegentrat: „Wir waren doch schon Menschen um dreißig herum, wir haben doch gewusst, was wir machen.“ Was zu einer Flut von erschreckenden Zuschauer-Rückmeldungen zugunsten der angeblich verleumdeten Hitler- und Goebbels-Anhängerin, die von beiden nach der Silbermedaille auf der Biennale Venedig 1932 für „Das blaue Licht“ mit dem Parteitagsfilm „Sieg des Glaubens“ beauftragt wurde, geführt hat.
Die suggestive Bildästhetik Leni Riefenstahls hat sich von den NSDAP-Propagandastreifen („Triumph des Willens“) über die Berliner Olympiade 1936 bis hin zu ihrem letzten Spielfilm „Tiefland“ (1944) nicht verändert und auch ihre Afrika-Dokumentationen in den 1960er und 1970er Jahren transportieren vor allem ihren Drang, die Schönheit durchtrainierter Körper ins rechte Licht zu rücken. Andres Veiels Film offenbart eine durchaus differenzierte Sicht auf den Menschen Riefenstahl und die kontroversen Diskussionen um ihren Anteil am propagandistischen Erfolg der Nationalsozialisten. Klar ist: Hinterher sind alle immer schlauer und Moralpredigten allzu wohlfeil. Klar aber ist auch: Wehret den Anfängen.
Pitt Herrmann