Eröffnet wird am 6. Februar im Cinestar 7 um 17:00 Uhr mit der Weltpremiere der französisch-schweizer-deutschen Co-Produktion "Une jeunesse allemande" von Jean-Gabriel Périot, in dem die Entwicklung zum Deutschen Herbst mit Archivmaterial unvoreingenommen nachgezeichnet wird.
Die langsame Radikalisierung der führenden Köpfe der RAF wird auch spürbar gemacht durch Filmausschnitte von u.a. Holger Meins' "Freiheit für Teufel" und Ulrike Meinhofs "Bambule". Der Rauswurf eines Großteils des ersten Studienganges der Deutschen Film- und Fernsehakademie (dffb) wegen politischer Radikalität ist ebenso Thema wie die Gründung der unabhängigen Produktion ROSTA Kino und der Aufstand der Regisseure beim EXPRMNTL (Knokke Experimental Film Festival).
"Une jeunesse allemande" öffnet den Blick in die Geschichte, dessen sich auch die bereits gemeldeten und kommentierten Filme "El hombre nuevo" von Aldo Garay und "Iraqi Odyssey" von Samir annehmen. "Tell Spring Not to Come This Year" von Saeed Taji Farouky und Michael McEvoy geht auf die fatale Lage in Afghanistan nach dem Rückzug der Armeen der Welt ein.
"Censored Voices" von Mor Loushy spürt dem bitteren Geschmack des Sieges nach: Junge israelische Soldaten kehren nach dem Sechstagekrieg nach Hause zurück und sprechen ihre Erlebnisse, ihre Gedanken auf Band. Ein Land im Siegestaumel: Heute hören die Soldaten von damals ihrer direkten Einschätzung nur Tage nach der Rückkehr noch einmal zu. "Die Filme, die ich mache, müssen gemacht werden, denn wenn die Menschen tot sind, sind sie tot, dann haben wir nur noch die Gestapo-Protokolle, die Protokolle der Täter, das geht doch nicht" - diese Äußerung der 2012 verstorbenen Regisseurin Katrin Seybold steht zu Beginn ihres letzten Films "Die Widerständigen 'also machen wir das weiter ..'." mit Gesprächen zum Widerstand gegen den Nationalsozialismus, den ihre langjährige Freundin und Kollegin Ula Stöckl jetzt fertigstellte. Stöckls legendärer Film "Neun Leben hat die Katze" von 1968 wird bei Berlinale Classics gezeigt.
Musikfilme und besondere Künstlerportraits haben im Panorama Tradition. Nina Simone wurde von einer begabten Jazz- und Klassikpianistin zur hochpolitischen Menschenrechtsaktivistin. In ihrem Film "What Happened, Miss Simone?" webt Liz Garbus ein Stimmungsbild aus Filmdokumenten, Interviews und natürlich der Musik der großen Sängerin. Ebenfalls mit viel Musik arbeitet Brett Morgen in "Cobain: Montage of Heck" und gewährt einen intimen Einblick in Leben und Werk des Gründers der Grunge-Band Nirvana.
Inuk Silis Høegh’s "Sume - Mumisitsinerup Nipaa" ist ein Portrait über die grönländischen Rock-Musiker der Band Sume die sich Mitte der 1970er-Jahre dem Widerstand gegen die dänischen Kolonisatoren verschrieben hatten und dabei wie nebenbei für ein Wiedererwachen der nativen grönländischen Sprache sorgten. Zeitlich im Anschluss, um 1980, befindet sich Westberlin in einer seiner kreativsten Musikphasen, ein Kapitel, dass der Film "B-Movie: Lust and Sound in West-Berlin" von Jörg A. Hoppe, Klaus Maeck und Heiko Lange erlebbar macht.
Zwei besondere Künstler, beides Filmemacher deren Weltkarriere in Berlin begann, sind Jia Zhang-ke und Walter Salles: Letzterer präsentiert sein liebevolles Portrait des Kollegen, "Jia Zhang-ke, um homem de Fenyang", mit vielen Filmausschnitten, in denen die Umbrüche der chinesischen Gesellschaft spürbar werden. Neben dem bereits angekündigten "Fassbinder – Lieben ohne zu fordern" des Dänen Christian Braad Thomsen zeigt Panorama zwei Wiederentdeckungen: zum einen Yvonne Rainer, die große, inspirierende, aber auch natürlich bescheidene Tänzerin, Choreografin und Filmemacherin, deren Film "MURDER and murder" den Teddy Award 1997 bekam ("Feelings Are Facts: The Life of Yvonne Rainer" von Jack Walsh), und Annemarie Schwarzenbach, deren modern-europäische Attitüde, ihre Weltreiseliteratur und ihr ästhetisch inspirierendes, hochandrogynes Abbild aus den 1920er-Jahren heute auch die queere und die Genderszene fasziniert ("Je suis Annemarie Schwarzenbach" von Véronique Aubouy).
Zu den Filmen, zu deren Sujets die selbstbestimmte Sexualität gehören, kamen zwei weitere Werke hinzu: In "Misfits" des Dänen Jannik Splidsboel gibt es inmitten des US-amerikanischen Bibel Belts zwar mehrere tausend Kirchen, aber nur ein schwul-lesbisches Jugendzentrum: für viele die Rettung aus der fundamentalreligiösen Sozialisation. Splidsboel präsentierte "How Are You" im Panorama 2011 über die Künstler Elmgreen&Dragset. Jan Soldat, der im Panorama 2012 seinen Kurzfilm "Zucht und Ordnung" zeigte, nähert sich in "Haftanlage 4614" den Sehnsüchten und Wünschen, wie sie der "Fetisch Gefängnis" zutage bringt: Die Insassen sind freiwillig hinter Schloss und Riegel.
Der Panorama Publikums-Preis PPP wird zum 17. Mal jeweils für den besten Spiel- und Dokumentarfilm am Kinotag, den 15. Februar, im CinemaxX 7 um 17:00 Uhr verliehen. Im Anschluss kommt der Spielfilm zur Aufführung, gefolgt von der Präsentation des Dokumentarfilms um 20:00 Uhr. In Zusammenarbeit mit dem tip magazin und radio1 wurden im letzten Jahr von der größten Jury der Berlinale über 31.000 Stimmen abgegeben.
Zum dritten Mal wird der Heiner-Carow-Preis in Zusammenarbeit mit der DEFA-Stiftung zur Förderung der deutschen Filmkunst im Panorama an einen Dokumentar-, Spiel- oder Essayfilm vergeben. Im Anschluss an die Verleihung am 12. Februar wird um 17:00 Uhr "Coming Out" von Heiner Carow (DDR 1989) im Kino International aufgeführt.
Titelliste der Panorama Dokumente in Ergänzung zur Panorama-Pressemitteilung vom 16.12.2014:
Panorama Dokumente
"Censored Voices" – Israel / Deutschland
Von Mor Loushy
Europäische Premiere
"Die Widerständigen 'also machen wir das weiter ...'" ("The Resistors 'their spirit prevails ...'") – Deutschland
Von Ula Stöckl, Katrin Seybold
Weltpremiere
"Feelings Are Facts: The Life of Yvonne Rainer" – USA
Von Jack Walsh
Weltpremiere
"Haftanlage 4614" ("Prison System 4614") – Deutschland
Von Jan Soldat
Weltpremiere
"Je suis Annemarie Schwarzenbach" ("My Name is Annemarie Schwarzenbach") – Frankreich
Von Véronique Aubouy
Weltpremiere
"Jia Zhang-ke, um homem de Fenyang" ("Jia Zhang-ke, a guy from Fenyang") – Brasilien
Von Walter Salles
Europäische Premiere
"Cobain: Montage of Heck" – Großbritannien / USA
Von Brett Morgen
Internationale Premiere
"Misfits" – Dänemark / Schweden
Von Jannik Splidsboel
Weltpremiere
"Sume - Mumisitsinerup Nipaa" ("Sumé - The Sound of a Revolution") – Grönland / Dänemark / Norwegen
Von Inuk Silis Høegh
Europäische Premiere
"Tell Spring Not to Come This Year" – Großbritannien
Von Saeed Taji Farouky, Michael McEvoy
Weltpremiere
"Une jeunesse allemande" ("A German Youth") – Frankreich / Schweiz / Deutschland
Von Jean-Gabriel Périot
Weltpremiere
"What happened Miss Simone?" – USA
Von Liz Garbus
Internationale Premiere
Bereits gemeldete Panorama Dokumente
"B-Movie: Lust & Sound in West-Berlin" von Jörg A. Hoppe, Klaus Maeck, Heiko Lange, Deutschland (WP)
"Danielův Svět" ("Daniel’s World") von Veronika Lišková, Tschechische Republik (IP)
"El hombre nuevo" ("The New Man") von Aldo Garay, Uruguay / Chile (WP)
"Fassbinder – Lieben ohne zu fordern" ("Fassbinder – To Love Without Demands") von Christian Braad Thomsen, Dänemark (WP)
"Iraqi Odyssey" von Samir, Schweiz / Deutschland / Irak / Vereinigte Arabische Emirate (EP)
"The Yes Men Are Revolting" von Laura Nix, Andy Bichlbaum, Mike Bonanno, USA / Deutschland / Frankreich / Dänemark / Niederlande (EP)
(WP= Weltpremiere, IP= Internationale Premiere, EP = Europäische Premiere)
Quelle: www.berlinale.de