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Deutschland. Heute. Der Gymnasiallehrer Rainer Wenger startet während einer Projektwoche zum Thema "Staatsformen" einen Versuch, um für die Schüler das Entstehen einer Diktatur nachvollziehbar zu machen. Ein pädagogisches Experiment mit verheerenden Folgen. Was zunächst harmlos mit Begriffen wie Disziplin und Gemeinschaft beginnt, entwickelt sich binnen weniger Tage zu einer richtigen Bewegung. Der Name: Die Welle. Bereits am dritten Tag beginnen Schüler, Andersdenkende auszuschließen und zu drangsalieren. Als die Situation bei einem Wasserballturnier schließlich eskaliert, beschließt der Lehrer, das Experiment abzubrechen. Zu spät. Die Welle ist längst außer Kontrolle geraten …
Das Experiment, Schüler mit autoritären Verhältnissen zu konfrontieren, die dem Faschismus vergleichbar waren, führte der liberale Lehrer Ron Jones 1967 im kalifornischen Palo Alto durch. Zu seinem Erstaunen reagierten die Schüler mit Begeisterung auf den von ihm geforderten Gehorsam. Für "Die Welle" übertrug Regisseur Dennis Gansel diese Geschichte in eine deutsche Schule der Gegenwart. Gansel: "Mich hat das Thema einfach nicht losgelassen. Weil ich mich immer gefragt habe: Wäre das heute noch möglich? Ist es in Deutschland möglich, wo wir so aufgeklärt sind, wo wir so viel über Diktaturen, über das Dritte Reich gelernt haben? Funktioniert das heute immer noch?"
Quelle: 59. Internationale Filmfestspiele Berlin (Katalog)
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Bei der jährlichen Projektwoche, die heuer zum Thema „Staatsformen“ abgehalten werden soll, hat ihm die Studiendirektorin nicht „sein“ Thema Anarchie zugeteilt, sondern Autokratie. Ausgerechnet ihm, der mit seiner Kollegin und hochschwangeren Gattin Anke auf einem Hausboot jottwede an einem der idyllischen Berliner Seen einen kleinen Rest von 1968er-Anarchie (aus-) lebt.
Die Oberstufenschüler können ihren Projektkurs frei wählen – und entscheiden sich trotz des drögen Themas („Wogegen sollen wir denn heute noch rebellieren? Es hat doch eh’ alles keinen Wert mehr“) für den beliebten, weil nonkonformistischen Rainer. Beim Stichwort Diktaturen, oder gar: Faschismus, schalten die Schüler sogleich die Ohren auf Durchzug: „Nazi-Deutschland war scheiße. Langsam habe ich es auch kapiert“ ist einhellige Auffassung. Und: So was wie das Dritte Reich kann uns heute nicht mehr passieren, die paar bekloppten Neonazis können unsere Demokratie nicht ernsthaft in Gefahr bringen.
Rainer Wenger teilt diesen Optimismus nicht. Und beschließt spontan, mit einem Experiment seinen Schülern die mögliche Entstehung einer Diktatur (be-) greifbar zu machen, hautnah am eigenen Leib sozusagen. Was ganz unspektakulär, und natürlich gänzlich auf freiwilliger Basis, mit Haltungs- und Atemübungen beginnt. Über die Disziplin zur Konzentration – bis auf Kevin machen alle mit. Sogar Karo, die aus einem betont liberalen, weltoffenen Elternhaus stammt und sich vielfältig engagiert, in der Theater-AG wie bei der Schülerzeitung.
„Guten Morgen, Herr Wenger!“: Bereits am zweiten Tag stehen alle stramm, wenn Rainer den Klassenraum betritt. In dem jetzt eine neue Sitzordnung herrscht: Schüler mit schlechten Noten sitzen nun neben den mit guten Leistungen, denn nur gemeinsam sind (Schul-) „Kameraden“ stark. Was nun auch in der Corporate Identity zum Ausdruck kommt – von der einheitlichen Kleidung über ein Logo und ein gestisches Erkennungszeichen bis zum Namen: „Die Welle“.
Die „Bewegung“ wirkt sich auch außerhalb der Projektwochen-Stunden aus. Marco, Karos Freund, zeigt sich beim Wasserball zur Freude des Trainers Rainer plötzlich teamfähig. Und Dennis, der bisher größte Schwierigkeiten hatte, die Theater-AG-Truppe auf Kurs zu halten, gewinnt neues Selbstvertrauen, sodass sich endlich auch Klassenclown Ferdi für Dürrenmatt statt Quatsch Comedy Club entscheidet. Besonders Tim, bisher so etwas wie das schwarze Schaf unter den Oberstufen-Pennälern, lebt geradezu auf: Er gestaltet die Homepage und richtet ein Blog bei MySpace ein. Plötzlich ist nicht nur das Schulgebäude, sondern die ganze Stadt mit „Welle“-Taggs und -Graffitis übersät.
Aber es gibt auch warnende Stimmen, die Rainer ermahnen, bei seinem Experiment den Bogen nicht zu überspannen. Als sich weder seine Gattin Anke noch Karo durchsetzen können, greift letztere zur Selbsthilfe: Zusammen mit Mona vervielfältigt sie Flugblätter, die die beiden in der Schule verteilen – ausgerechnet in der ohnehin schon aufgeheizten Atmosphäre des Wasserball-Duells des wieder neu motivierten und frenetisch angefeuerten Gymnasiasten-Teams gegen die ewigen Rivalen von der Gesamtschule. Der nun ausbrechende Tumult führt zum Abbruch der Partie – und des Experimentes...
Morton Rhues Bestseller „Die Welle“, der inzwischen auch den Weg auf die Bühne geschafft hat, wie das daraus resultierende Drehbuch „The Wave“ von Johnny Dawkins und Ron Birnbach basieren auf den Aufzeichnungen eines tatsächlich 1967 im kalifornischen Palo Alto durchgeführten Experiments des Geschichtslehrers Ron Jones an der Cubberley High School. Der Name der Bewegung, bewusst dem deutschen Begriff „Drittes Reich“ angelehnt: „The Third Wave“.
Zum Erstaunen des Lehrers reagierten die Schüler mit Begeisterung auf den von ihm geforderten Autoritätsgehorsam. Das ursprünglich nur auf einen Tag begrenzte Experiment griff auf die ganze Schule über. Andersdenkende wurden ausgegrenzt, die Mitglieder bespitzelten sich gegenseitig und Schüler, die sich weigerten, Mitglied zu werden, wurden zusammengeschlagen. Am fünften Tag musste Ron Jones das Experiment abbrechen.
Was in Dennis Gansels Film „Die Welle“ auch so ist, der im heutigen Deutschland, „in einer ganz gewöhnlichen Stadt, in einem völlig normalen Gymnasium“ (Gansel) spielt, gedreht bewusst „in einem relativ intakten Umfeld, wo die Leute finanziell wenig Druck haben und die Kinder für unsere Zeit noch behütet aufwachsen können“. Mit dem Unterschied, dass Rainer Wengers „Welle“ dermaßen außer Kontrolle geraten ist, dass es nicht mehr in seiner Macht liegt, die Bewegung aufzulösen. Als die Polizei eintrifft, ist es zumindest für einen Schüler zu spät...
So ist der Schluss problematisch: Weder die Eltern noch die Schule tragen auch nur eine Mitschuld an der Entwicklung, dabei zeigt sich die Studiendirektorin nach positiven Rückmeldungen aus der Elternschaft begeistert über Rainer Wengers Projekt-Methode, alles wird auf den Lehrer projiziert. Das ist, ganz unabhängig von aktuellen Debatten, fahrlässig kurz gedacht. Free-TV-Premiere war am 8. April 2011 auf ProSieben.
Pitt Herrmann