Inhalt
Rostock-Lichtenhagen im Jahr 1992, drei Jahre nach der Wende. Die Tristesse in den verödeten Wohnsiedlungen verstärkt die Frustration der Jugendlichen, die wie die Clique um Stefan, Sohn eines Lokalpolitikers, keine Perspektive haben und hauptsächlich herumhängen. Sie streifen durch die Nacht, grundlose Randale gegen Polizei und Ausländer ist zum Normalzustand geworden. Liebe und Freundschaft sind in diesem System austauschbar. Auch die Vietnamesin Lien lebt mit ihrem Bruder und ihrer Schwägerin in der Siedlung, im "Sonnenblumenhaus", wo noch zahlreiche weitere Familien ehemaliger Vertragsarbeiter aus Vietnam wohnen.
Am 24. August 1992 finden die beiden parallelen Erzählstränge des Films zusammen: Es kommt zu Krawallen vor dem Sonnenblumenhaus, das mit Molotov-Cocktails in Brand gesetzt wird, während eine Menschenmenge tatenlos dabei zusieht, wie Lien mit ihrer Familie um ihr Leben kämpft.
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Auch Stefan (Jonas Nay), der Sohn eines SPD-Lokalpolitikers (Devid Striesow), der wie seine Genossen aus Angst vor der CDU-Opposition kuscht anstatt beherzt einzugreifen gegen die von Rechtsradikalen aufgestachelten Randalierer oder wenigstens gegen diesen Mob Partei zu ergreifen, streift mit seiner Clique ziellos durch die Gegend. Stefan ist kein Neonazi, sieht in seinem Vater und den regierenden Genossen, darunter dem Ober-Strippenzieher Jürgen (Axel Pape), die sich lieber zur Grillfete mit den Spitzen der Landespartei treffen als vor Ort in Lichtenhagen Flagge zu zeigen, aber auch kein Vorbild: Demokratie ist für ihn nur ein Schlagwort - wie vor der Wende Sozialismus…
Ohne alle Schwarzweißmalerei, sondern mit Feingefühl und Sensibilität folgt Burhan Qurbani in „Wir sind jung. Wir sind stark.“ dem schmalen Grat zwischen Verlust von Identität und der daraus resultierenden Flucht in eine Ideologie, die vermeintlich eine Perspektive verspricht. Mutig zeichnet der Regisseur das Bild einer verlorenen Generation und das moralische Versagen der Gesellschaft, sich um die Menschen zu kümmern.
Und vor allem: Qurbani erzählt diese sehr authentische, zunächst in Schwarz-Weiß gedrehte Geschichte aus der Sicht der Jugendlichen. Bei denen es nur ein kleiner Schritt vom „Oi“-Gebrüll der Neonazis zum vertrauten „Kleinen Trompeter“ der Jungen Pioniere oder gar der „Internationale“ ist: Sie sind auf der Suche, flüchten sich in Gemeinschaftsrituale, nähern sich in zarter erster Liebe an – wie Stefan und Jennie („Ich brauche keinen Traum, ich brauche Sicherheit“): „Total frei sein heißt total allein sein.“
Regisseur und Ko-Autor Qurbani hat für den gut zweistündigen Film ein starkes, geschlossenes Schauspielerteam vor der Kamera Yoshi Heimraths versammelt, was sicherlich auch zu den Preisen bei den 48. Internationalen Hofer Filmtagen 2014 (Bestes Kostüm- und Szenenbild), beim 9. Festival Internationale del Film di Roma 2014 (Bester Schnitt und Bester ausländischer Film) sowie beim 28. Braunschweig International Filmfestival 2014 (deutsch-französischer Jugendpreis „Kinema“) beigetragen hat.
Nach „Shahada“, seinem Diplomfilm an der Filmakademie Baden-Württemberg, der im Wettbewerb der Berlinale 2010 lief und beim Chicago International Film Festival mit einem Golden Hugo ausgezeichnet wurde, ist „Wir sind jung. Wir sind stark“ der zweite Spielfilm von Burhan Qurbani, der 1980 in Erkelenz als Sohn afghanischer Eltern geboren wurde. Seine Kurz-Dokumentation „Krieger ohne Feind“ wurde 2011 mit dem Adolf-Grimme-Preis ausgezeichnet.
Pitt Herrmann