Forum 2015: Special Screenings

Mit einer Reihe von Special Screenings, die sich historischen Filmen und Wiederentdeckungen ebenso widmet wie der Auseinandersetzung mit Filmen und Filmgeschichte, komplettiert das Forum sein Programm.

Mit dem Gangsterfilm "Joe Bullet" wollte der südafrikanische Produzent Tonie van der Merwe 1973 einen neuen Markt erobern. Inspiriert von der schwarzen Popkultur der Zeit und dem amerikanischen Blaxploitation-Genre, war der von Louis de Witt inszenierte actionreiche Film über ein manipuliertes Fußballfinale einer der ersten mit durchweg schwarzer Besetzung. "Joe Bullet" bot seinem Publikum die Vision eines Daseins, das nicht der Wirklichkeit der meisten schwarzen Südafrikaner unter der Apartheid entsprach. Obwohl der Film nicht offenkundig politisch war, wurde er bald verboten und lange nicht gezeigt. Nun kommt das Werk restauriert zur Wiederaufführung.

Bis zum Ende der Apartheid entstanden mit staatlicher Förderung zahlreiche sogenannte B-Scheme-Filme von meist weißen Produzenten für ein schwarzes Publikum. "Umbango" ("The Feud", 1986), inszeniert von Tonie van der Merwe, ist einer der wenigen noch erhaltenen Western aus dieser Zeit, eine typische Wildwestgeschichte vom Kampf Gut gegen Böse. Mit Ausnahme eines Gringos (der gleich zu Beginn erschossen wird), ist auch dieser Populärfilm in komplett schwarzer Besetzung entstanden. Regisseur und Produzent Tonie van der Merwe wird als Gast in Berlin erwartet.

Der japanische Regisseur Kon Ichikawa (1915–2008) drehte im Verlauf seiner langen Karriere über 80 Filme – den letzten 2006 als 90-Jähriger. Richtig bekannt wurde er außerhalb Japans vor allem deswegen nicht, weil sein filmisches Schaffen in kein Schema gepresst werden kann. Persönliche Projekte wechselten mit Auftragsarbeiten aller Genres, und Ichikawa selbst teilte seine Filme in "leichte" und "dunkle" ein. Ihm eigen ist eine ironische Sicht auf die japanische Nachkriegskultur. Im Zentrum seiner Filme stehen häufig gepeinigte Charaktere, die zu extremen Handlungen getrieben werden. Das Forum zeigt kürzlich restaurierte Kopien von drei Filmen Kon Ichikawas aus den späten 1950er bis frühen 60er Jahren. "Enjo" ("Conflagration", 1958), der auf einem Roman von Yukio Mishima basiert, lässt einen Novizen in Kyoto an der Doppelmoral des Priestertums verzweifeln. "Ototo" ("Her Brother", 1960) porträtiert in ausgefeilter Farbdramaturgie eine junge Frau, die von ihrer dysfunktionalen Familie erdrückt zu werden droht. Als Klassiker gilt das im Kabuki-Milieu spielende Rachedrama "Yukinojo henge" ("An Actor's Revenge", 1963). Ichikawa verwebt das Spiel mit den Gegensätzen von Illusion und Realität zu einem delirierenden Werk voller Farbenpracht im Breitwandformat.

Als uramerikanisches Genre gilt der Film noir der 1940er und 1950er Jahre. Wenig bekannt ist hingegen, dass das Phänomen schon in den frühen 40ern auch das Nachbarland Mexiko erfasste. Als Prototyp des mexikanischen Film noir gilt Alejandro Galindos "Cuatro contra el mundo" ("Four Against the World", 1950), der nun in einer restaurierten Fassung zu entdecken ist. Der Film handelt von einer Gruppe von Gangstern, die sich nach dem blutig ausgehenden Überfall auf einen Geldtransport in der Dachwohnung der Freundin ihres Anführers verschanzt. Die aufkeimende Liaison zwischen der Femme fatale und dem gefühlskältesten, unnahbarsten der Ganoven weicht schlussendlich von den Standards des Film noir ab und nimmt melodramatische Züge an.

Dem 70. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz durch die Rote Armee widmet das Kino Arsenal sein umfangreiches Projekt „"Asynchron. Dokumentar- und Experimentalfilme zum Holocaust". Zwei der in diesem Rahmen digitalisiert wiederaufgeführten Werke zeigt auch das Forum der Berlinale. Eine Wiederentdeckung ist der 1977 in kürzerer Fassung im Forum gezeigte Film "Ha'makah ha'shmonim ve'ahat" ("The 81st Blow"). Er besteht aus Archivbildern sowie aus Tonaufnahmen von Zeugenaussagen des Eichmann-Prozesses von 1961. Der Komponist Joseph Marchaim und Meir Russo als Vertreter der Jerusalem Cinematheque werden als Gäste erwartet. "Me’kivun ha’yaar" ("Out of the Forest") von Limor Pinhasov Ben Yosef und Yaron Kaftori Ben Yosef war 2004 im Forum zu sehen. Der Film rekonstruiert die Massenerschießungen in einem Wald in Litauen, die zwischen 1941 und 1944 mehr als 100.000 vorwiegend jüdische Opfer forderten.

Nichts von seiner Aktualität eingebüßt hat Leo Hurwitz' engagierter Dokumentarfilm "Strange Victory" aus dem Jahr 1948. Was bedeutete der Sieg über Hitler für den inneren Frieden der US-amerikanischen Gesellschaft? Zwar haben die USA den Krieg gewonnen, aber "die Ideen der Verlierer sind im Land der Sieger noch immer in Mode". In einer Collage aus dokumentarischem Material, Wochenschauausschnitten und nachgestellten Szenen stellt der Film fest, dass Antisemitismus und Rassismus im Nachkriegsamerika überlebt haben. "Rettet Amerika – kauft nicht bei Juden"-Aufkleber, "Nur für Weiße"-Schilder und Aufnahmen von Opfern des Ku-Klux-Klan korrespondieren mit Bildern von Nazi-Aufmärschen und KZ-Insassen. Nach dem Fund des Originalnegativs kommt das selten gezeigte Werk, das seinen Regisseur auf die schwarze Liste Hollywoods brachte, nun zur Wiederaufführung.

Mit zwei Filmen, die sich mit der Rezeption von Film und Filmgeschichte beschäftigen, mit der Passion für das Kino, rundet das Forum das Programm ab. Was können Filme, was kann Kino im günstigsten Fall bewirken? Antworten auf diese komplexe Frage weiß kaum jemand so klug zu formulieren wie Naum Kleiman. Der russische Filmhistoriker, Leiter des legendären Eisenstein-Archivs, war Direktor des 2006 geschlossenen Moskauer "Musey Kino". "Cinema: A Public Affair" von Tatiana Brandrup rekonstruiert die Ereignisse bis zum Sommer 2014, als Kleiman auf skandalöse Weise abgesetzt wurde. "Das Kino hat die Fähigkeit, aus Menschen Bürger zu machen". Es braucht nur wenige Filmausschnitte und man begreift, dass Naum Kleimans Verständnis von Kino im heutigen Russland an Brisanz und Aktualität kaum zu übertreffen ist.

Ein Film geht auch nach dem Abspann weiter: durch das Reden und Diskutieren darüber. Diesen leidenschaftlichen Dialog mit dem Kino verstand der Kritiker Michael Althen aufs Schönste mit seinen Texten in Gang zu setzen. Kunst und Rummelplatz, Dokument und Phantasie, Alltag und Ekstase – es sind diese Gegensätze, die den im Mai 2011 verstorbenen Michael Althen ins Kino gezogen haben. "Was heißt hier Ende? Der Filmkritiker Michael Althen", Dominik Grafs zärtliches Porträt des Freundes, kommt weitgehend ohne Filmausschnitte aus. Die Erinnerungen an Althens Artikel und Zitate reichen, um die Bilder vor dem inneren Augen zum Laufen zu bringen.

Die 2015 Forum Special Screenings:
"Cinema: A Public Affair" von Tatiana Brandrup, Deutschland / Israel - WP
"Cuatro contra el mundo" ("Four Against the World") von Alejandro Galindo, Mexiko
"Strange Victory" von Leo Hurwitz, USA
"Was heißt hier Ende? Der Filmkritiker Michael Althen" von Dominik Graf, Deutschland - WP

"Ha’makah ha’shmonim ve’ahat" ("The 81st Blow") von David Bergman, Haim Gouri, Jacques Ehrlich, Miriam Novitch, Zvi Shner, Israel
"Me’kivun ha’yaar" ("Out of the Forest") von Limor Pinhasov Ben Yosef, Yaron Kaftori Ben Yosef, Israel

"Joe Bullet" von Louis de Witt, Südafrika
"Umbango" ("The Feud") von Tonie van der Merwe, Südafrika

"Enjo" ("Conflagration") von Kon Ichikawa, Japan
"Ototo" ("Her Brother") von Kon Ichikawa, Japan
"Yuki no jo henge" ("An Actor's Revenge") von Kon Ichikawa, Japan

Quelle: www.berlinale.de