Unter dem Titel DOK.WELTEN zeigt das Kino des Deutschen Filmmuseums Frankfurt vom 1. – 22. November Dokumentationen der in diesem Jahr verstorbenen Regisseure.
Der Österreicher Michael Glawogger, der Schweizer Peter Liechti und der Deutsche Harun Farocki – drei (Dokumentar-)Filmemacher, die vieles gemeinsam hatten: einen sehr persönlichen Blick auf die Welt, die Suche nach immer neuen Ausdrucksformen, die Freude am filmischen Experiment sowie am Ausprobieren verschiedener filmischer Formen und Genres, einen unabhängigen Geist und die grenzenlose Lust am Filmemachen. Alle drei sind in diesem Jahr viel zu früh gestorben – und hinterlassen eine große Lücke in der Filmlandschaft. Zur Erinnerung an diese filmischen Grenzgänger zeigt das Kino des Deutschen Filmmuseums im November eine Auswahl ihrer Werke.
Michael Glawogger
Mit Dank an: Österreichisches Filmmuseum, Andrea Glawogger, Dor Film, Polyfilm, Paul Thiltges Distribution
Samstag, 1. November, 20:30 Uhr; Dienstag, 4. November, 18 Uhr
"Whores' Glory"
Österreich/Deutschland 2011. R: Michael Glawogger
Dokumentarfilm. 118 Min. Blu-ray. OmU
Mit "Whores' Glory" drehte Michael Glawogger ein filmisches Triptychon über die Prostitution: In Thailand warten Frauen hinter Glasscheiben auf Männer und sehen dabei sich selbst. In Bangladesch gehen Männer in ein Ghetto der Liebe, um ihre unerfüllten Sehnsüchte an gefangenen Mädchen zu stillen. In Mexiko beten Frauen zu einem weiblichen "Tod", um die Wirklichkeit nicht sehen und spüren zu müssen.
Vorfilm: "Haiku". Österreich 1987. R: Michael Glawogger. 3 Min. 35mm
Sonntag, 2. November, 17:30 Uhr
"Workingman's Death"
Österreich/Deutschland 2005. R: Michael Glawogger
Dokumentarfilm. 122 Min. DCP. OmU
In fünf Kapiteln entfaltet sich ein Panorama der körperlichen Schwerstarbeit im 21. Jahrhundert: Michael Glawogger zeigt Arbeiter in illegalen Kohleminen in der Ukraine, in einer Stahlfabrik in China und Schwefelarbeiter in Indonesien. Die imposanten Bilder, die Szenen aus einer im Westen nicht gekannten Arbeitswelt zeigen, kann man so schnell nicht mehr vergessen.
Mittwoch, 5. November, 20:30 Uhr; Donnerstag, 6. November, 17:45 Uhr
"Megacities"
Österreich/Schweiz 1998. R: Michael Glawogger
Dokumentarfilm. 94 Min. DCP. OmU
Metropolen sind zugleich Faszinosum und Moloch. Mit diesem Widerspruch müssen sich die Bewohner von Bombay, New York, Mexiko-Stadt und Moskau auseinandersetzen. In einer experimentell-poetischen Reise zeigt "Megacities" Menschen, die den täglichen Kampf ums Überleben mit Einfallsreichtum, Witz und Würde führen und von einem besseren Leben träumen.
Vorfilm: "Street Noise". US 1982. R: Michael Glawogger. 9 Min. 16mm. OF
Freitag, 7. November, 18 Uhr
"Kino im Kopf"
Österreich 1996. R: Michael Glawogger. Dokumentarfilm. 87 Min. BetaSP
"Zur Lage" (Episode „Eine Reise“)
Österreich 2002. R: Michael Glawogger. Dokumentarfilm. 20 Min. 35mm
In "Kino im Kopf" erzählen Regisseure wie Hans Weingartner, Hans Herman Fink, Susanne Strobl, Richard Blue Lormand und Boris Schafgans, was für einen Film sie gerne einmal drehen würden. In einer wilden und äußerst amüsanten Collage ist so ein "kriminal-erotischlyrisches- experimentalvampir-fantasy-horror-soap-splatter-trash-roadmovie-Melodrama, getarnt als Dokumentarfilm" entstanden. Der Kompilationsfilm "Zur Lage", eine Gemeinschaftsarbeit von Barbara Albert, Michael Glawogger, Ulrich Seidl und Michael Sturminger, ist der Versuch einer filmischen Landvermessung Österreichs nach der Regierungswende 2002. In der Episode "Eine Reise" umrundet Michael Glawogger sein Heimatland per Anhalter in 23 Tagen.
Sonntag, 9. November, 20:30 Uhr
"Kathedralen der Kultur"
Deutschland/USA/Norwegen/Russland/Frankreich 2014. R: Wim Wenders, Michael Glawogger, Michael Madsen, Robert Redford, Margreth Olin, Karim Aïnouz
Dokumentarfilm. 156 Min. DCP. 3D. DF
In "Kathedralen der Kultur" porträtieren die Regisseure Karim Aïnouz, Michael Glawogger, Michael Madsen, Margreth Olin, Robert Redford und Wim Wenders sechs für sie ganz besondere architektonische Bauwerke und erzählen von den Architekten, den Baumeistern und den Menschen, die in den Gebäuden leben und arbeiten. In seinem Beitrag widmet sich Michael Glawogger der Russischen Nationalbibliothek in St. Petersburg, die 1814 eingeweiht wurde.
Harun Farocki
Mit Dank an: Harun Farocki Filmproduktion, Antje Ehmann, Matthias Rajmann, "Deutsche Kinemathek"
Mittwoch, 12. November, 20:30 Uhr
"Die Worte des Vorsitzenden"
Deutschland 1967. R: Harun Farocki. Dokumentarfilm. 2 Min. 16mm
"Nicht löschbares Feuer"
Deutschland 1969. R: Harun Farocki. Dokumentarfilm. 23 Min. 16mm. OmeU
"Leben – BRD"
Deutschland 1990. R: Harun Farocki. Dokumentarfilm. 83 Min. 16mm. OmeU
Das Programm zeigt zwei frühe Agitprop-Filme Harun Farockis und einen Essayfilm. In "Die Worte des Vorsitzenden" wird aus einer Seite der "Mao-Bibel" ein Pfeil gefaltet und geworfen. "Nicht löschbares Feuer" ist laut Medienwissenschaftler Klaus Kreimeier der "wichtigste Agitprop-Film der Vietnam-Bewegung". Anhand einer Vielzahl von Schulungs-, Übungs und Simulationsszenarien dokumentiert "Leben – BRD" das gesellschaftliche Bedürfnis, den Alltag planbar und mögliche Risiken durch deren Simulation kontrollierbar zu machen.
Freitag, 14. November, 18 Uhr
"Erkennen und verfolgen"
Deutschland 2003. R: Harun Farocki. Dokumentarfilm. 58 Min. Video. OmeU
"Ernste Spiele"
Deutschland 2011. R: H. Farocki. Dokumentarfilm. 45 Min. Video. Engl. OmeU
Im Zentrum von "Erkennen und verfolgen" stehen die Fernsehbilder des Golfkriegs von 1991, in denen Aufnahmen von Kameras zu sehen sind, die an Projektilen befestigt waren. "Solche Bilder werden militärisch erzeugt und ebenso kontrolliert. Man baut den Projektilen Kameras ein, um sie aus der Distanz steuern zu können. [...] Der heutige, hochtechnische Krieg rechnet nicht auf den Menschen, nimmt die menschlichen Opfer höchstens billigend, sogar missbilligend, in Kauf." (Harun Farocki). In "Ernste Spiele" setzt sich Harun Farocki mit der Verwendung von Computerspiel-Technologien zur Ausbildung amerikanischer Soldaten auseinander.
Samstag, 15. November, 20:30 Uhr
"Ein Bild"
Deutschland 1983. R: Harun Farocki. Dokumentarfilm. 25 Min. 16mm. OmeU
"Die Schöpfer der Einkaufswelten"
Deutschland 2001. R: Harun Farocki. Dokumentarfilm. 72 Min. Video. OmeU
"Ein Bild" dokumentiert die Herstellung eines aufklappbaren Pin-Up-Fotos für das Magazin "Playboy". "Die Schöpfer der Einkaufswelten" zeigt nüchtern die Entstehung einer Shopping-Mall und beleuchtet so die zugrunde liegenden Marketingstrategien. Während jeder Phase der Planung zielen die Entscheidungsprozesse von Architekten, Analytikern, Konsumdesignern und Beratern darauf ab, ein möglichst lukratives Konsumentenklima zu schaffen. Selbst die Warenanordnung in den Regalen wird streng nach wissenschaftlichen Kriterien organisiert. Durch kundenfreundliche Erlebniswelten soll das Einkaufen zum selbstverständlichen und alltagskulturellen Akt werden.
Sonntag, 16. November, 18 Uhr
"Aufschub"
DE 2007. R: H. Farocki. Dokumentarfilm. 40 Min. Video. OF mit engl. ZT
"Zwischen zwei Kriegen"
Deutschland 1978. R: Harun Farocki. D: Peter Fitz, Hildegard Schmahl, Jeff Layton, Michael Klier, Hartmut Bitomsky. 83 Min. 16mm. OmeU
"Aufschub" zeigt historische Aufnahmen des Durchgangslagers Westerbork, das die Nazis 1938 in den Niederlanden eingerichtet hatten und das als Übergangsstation für die Deportation niederländischer Juden in andere Konzentrations- und Vernichtungslager diente. In dieses Lager wurden 1944 auch Anne Frank und ihre Familie gebracht, ehe sie nach Auschwitz deportiert wurden. Harun Farockis erster Langspielfilm "Zwischen zwei Kriegen" widmet sich der Zeit der Hochöfen von 1917 bis 1933, der Entwicklung der Schwerindustrie und ihren Zusammenhängen mit dem Nationalsozialismus und dem Zweiten Weltkrieg.
Sonntag, 23. November, 18 Uhr
"Nicht ohne Risiko"
Deutschland 2004. R: Harun Farocki. Dokumentarfilm. 50 Min. Video. OmeU
"Zum Vergleich"
DE/AT 2009. R: Harun Farocki. Dokumentarfilm. 61 Min. DigiBeta
In "Nicht ohne Risiko" werden die Mechanismen des Risikokapitals (engl. Venture Capital, kurz VC) erklärt: "Banken geben Geld nur gegen Sicherheiten. Wer die nicht hat, muss sich an VC-Gesellschaften wenden, und zahlt dafür 40 Prozent Zinsen. Mindestens. Wir hatten bei den verschiedensten Firmen Aufnahmen gemacht [...]. Dann aber beschränkten wir uns auf eine einzige Verhandlung an nur zwei Tagen" (Harun Farocki). "Zum Vergleich" zeigt die Arbeitsabläufe bei der Ziegelsteinproduktion in Burkina Faso, Indien, Frankreich und Deutschland – von der Handarbeit bis zur maschinellen Herstellung, von der kleinsten Baueinheit bis zum fertigen
Bauwerk.
Peter Liechti
Mit Dank an: Liechti Filmproduktion, Jolanda Gsponer, Swiss films, Schweizerisches Generalkonsulat, Thomas Casura
Dienstag, 18. November, 20:30 Uhr; Freitag, 21. November, 18 Uhr
"Signers Koffer – Unterwegs mit Roman Signer"
Schweiz 1996. R: Peter Liechti. Dokumentarfilm/Essay. 82 Min. DCP. OmeU
Der Schweizer Roman Signer ist ein Aktionskünstler par excellence: Er lässt Dinge explodieren und katapultiert Hocker synchron aus den Fenstern eines Hotels. Er arbeitet verspielt und lustvoll mit allen vier Elementen und changiert stets zwischen Schalk und Melancholie. In "Signers Koffer" begleitet Peter Liechti den Künstler quer durch Europa. "Drei Kunsteditionen" zeigt drei Aktionen von Roman Signer aus dem Jahr 1987. "Senkrecht/Waagrecht" dokumentiert einen Selbstversuch von Roman Signer: Wie weit kann ein Mensch waagrecht auf einen halb gefrorenen Teich hinauslaufen, bis er senkrecht einbricht?
Vorfilm am 18.11.: "Drei Kunsteditionen". Schweiz 1987. R: Peter Liechti
Dokumentarfilm. 30 Min. DigiBeta. o.D.
Vorfilm am 21.11.: "Senkrecht/Waagrecht". Schweiz 1985. R: Peter
Liechti Experimentalfilm. 8 Min. DCP. o.D.
Mittwoch, 19. November, 18 Uhr
"Grimsel – ein Augenschein"
CH 1990. R: Peter Liechti. Dokumentarfilm. 48 Min. DCP. schweizerdt. OmeU
"Théâtre de l'Espérance"
Schweiz 1987. R: Peter Liechti. Experimentalfilm. 19 Min. DCP. o.D.
"Ausflug ins Gebirg"
Schweiz 1986. R: Peter Liechti. Dokumentarfilm. 33 Min. DCP
"Grimsel – ein Augenschein" befragt Landschaften und Menschen zu einem nicht verwirklichten Staudamm-Projekt im schweizerischen Haslital. 1985 fuhr Peter Liechti zum amerikanisch-russischen Gipfeltreffen nach Genf. Fernsehbilder und die Bilder von Ronald Reagan und Michail Gorbatschow montiert er in "Théâtre de l'Espérance" zu einem Essay über das damalige Medienspektakel. In "Ausflug ins Gebirg" macht ein Mann eine Reise ins unbekannte Nachbarland. Er wandert umher, führt ein grimmigwitziges Selbstgespräch und kommt durch seinen Ärger nicht nur seinem Unbehagen gegenüber Bergen auf die Spur.
Donnerstag, 20. November, 18 Uhr
"Vaters Garten – Die Liebe meiner Eltern"
Schweiz 2013. R: Peter Liechti
Essayfilm. 93 Min. DCP
In "Vaters Garten" widmet sich Peter Liechti der Ehe seiner Eltern Max und Hedy Liechti, die grundverschieden und seit mehr als 60 Jahren verheiratet sind. Während der Vater seine Zeit am liebsten im Schrebergarten verbringt, den er voller Hingabe pflegt, hat die Mutter mit dem Haushalt alle Hände voll zu tun und leidet unter den schwer zu bügelnden Hemden ihres Mannes. Neben Alltagsbeobachtungen der Eltern treten diese in nachinszenierten Kasperltheaterszenen als Hasenfiguren auf. "Vaters Garten" ist ein sehr persönlicher Film, der Versuch einer Geschichtsrevision und das Protokoll einer späten Wiederbegegnung Peter Liechtis mit seinen Eltern.
Samstag, 22. November, 20:30 Uhr
"Hans im Glück – Drei Versuche, das Rauchen loszuwerden"
Schweiz 2003. R: Peter Liechti
Dokumentarfilm. 90 Min. DCP. OF m. engl. und frz. UT
Auf mehreren Fußmärschen von seinem Wohnort Zürich in seine Heimatstadt St. Gallen versucht Peter Liechti, seine Nikotinsucht zu bekämpfen. Ausgerüstet mit Kamera und Tagebuch nimmt er sich vor, die Strecke so lange zu wiederholen, bis die Befreiung von seinem Laster erreicht ist. Doch alle Bilder und Erkenntnisse führen immer wieder zurück zum Anlass seiner Wanderung: "Seit das Rauchen kein Problem mehr ist, wird mir das Denken zum Problem. Kaum hör’ ich auf mit dem Rauchen, fang ich schon an mit dem Denken." (Peter Liechti).
Vorfilm: "Tauwetter". Schweiz 1987. Dokumentarfilm. R: Peter Liechti 8 Min. DCP. o.D.
Quelle: www.deutsches-filmmuseum.de