Das Programm ist fertig - und doch bleibt alles offen. Das ist kein Widerspruch: Bei Berlinale Talents entstehen die rund 100 Veranstaltungen erst aus dem Dialog zwischen den 250 Talenten, den Filmschaffenden des Festivals, den Gästen aus der Filmindustrie und dem Berliner Publikum vor Ort sowie den einzigartigen kulturellen und sozialen Perspektiven, die sie alle mitbringen.
Beim diesjährigen Thema "Mistakes" geht es nicht um die Pleiten, Pech und Pannen der Filmwelt, sondern vor allem um den ehrlichen Diskurs und daraus hervorgehende Veränderungsimpulse für die Kulturbranche oder für eine*n jede*n selbst.
Die öffentlichen Talks: Charlotte Rampling, André Téchiné, die Internationale Jury und weitere prominente Gäste
Das Talents-Netzwerk pulsiert, und so kehren insgesamt 20 renommierte Alumni als Gäste zurück, darunter die Bärengewinnerin Adina Pintilie sowie die Regisseur*innen David Lowery, Guy Nattiv, Teona Strugar Mitevska und viele mehr. Im Programm stehen sie Seite an Seite mit prominenten Gästen aus dem diesjährigen Berlinale-Programm, zum Beispiel Charlotte Rampling, die in diesem Jahr mit dem Goldenen Ehrenbären ausgezeichnet wird, sowie den Wettbewerbs-Regisseuren André Téchiné und Nadav Lapid. Auch Roberto Saviano, auf dessen Romanvorlage Claudio Giovannesis Wettbewerbsbeitrag "La paranza dei bambini" ("Piranhas") beruht, kommt für ein Gespräch zu Berlinale Talents. Die Mitglieder der Internationalen Jury beginnen am Sonntag das öffentliche Programm mit einem Zeichen echter Ehrlichkeit: Der Talk "am Küchentisch" im HAU1 widmet sich ihren Lieblingsfehlern und den Schwachstellen, die sie in der Filmwelt gern verbessern würden. Der offene Dialog steht auch im Zentrum, wenn Tendo Nagenda, VP of Original Film bei Netflix, in großer Runde mit Talenten und Zuschauer*innen über den Streaminganbieter diskutiert und erzählt, nach welchen Geschichten, Formaten und Zielgruppen er dabei Ausschau hält.
Niemals ein Fehler: Kollaboration, Vielfalt, Gendergerechtigkeit, Respekt
Filme sind Resultat eines Zusammenspiels vieler Menschen. Kreative, die dieser Erkenntnis Rechnung tragen, setzen zunehmend auf niedrige Hierarchien und gewaltfreie Kommunikation. Eine starke Stimme im Bereich des Erwachsenenfilms ist Erika Lust, die auf Konfrontationskurs mit dem männlichen Blick vieler Massenmedien und Pornos geht, indem sie die Frage nach sozialer Verantwortung im Bereich der Filmproduktion ganz neu stellt. Auch beim Live World Building Workshop geht es um Augenhöhe - und um Utopien: Gemeinsam mit dem Publikum verändern Expert*innen, darunter Szenenbildner Alex McDowell und der politische Aktivist General Jeff (der "Mayor of Skid Row") spielerisch die Fehler unserer jüngeren Vergangenheit. Das Ziel: eine bessere Zukunft - und ein faszinierendes Tool zur Entwicklung von Geschichten. Perspektivwechsel werden auch verhandelt, wenn sich aufstrebende Filmschaffende mit Fragen der filmischen Repräsentation Afrikas aus der Innen- und Außensicht auseinandersetzen.
Immer ein Fehler: Auf Querdenken verzichten
Für eine Woche wird das Zusammenspiel der Gewerke bei Berlinale Talents von der Stofffindung über die Postproduktion bis hin zum Vertrieb wieder praktisch erlebbar. So tastet sich die Philosophin und Filmkritikerin Dana Linssen im Gespräch mit den Dokumentarfilmemachern Jan Soldat und Manuel Abramovich an die Kunst sensibel geführter Filmdialoge über Tabuthemen heran. Mit dem Requisiten- und Modellbauer Simon Weisse aus Berlin-Neukölln (u.a. Miniaturen für Wes Andersons Filme) sowie dem Sound-Designer Peter Albrechtsen und Geräuschemacher Heikki Kossi ("Der glücklichste Tag im Leben des Olli Mäki") sind außerdem Spezialisten vor Ort, die passend zu "Mistakes" berichten, in welchen Details ihrer Arbeit der Teufel steckt. Neben der Postproduktion und ihren nicht minder wenigen technischen Fallstricken im digitalen Zeitalter stehen vermehrt Fragen innovativer Vertriebsmodelle auf dem Programm, die beispielsweise die Talents-Alumni Bass Breche und Amin Dora aus dem Libanon in einer Fallstudie zu ihren international ausgezeichneten interaktiven Webserien verhandeln - und dabei auch Fragen von Freiheit und Zensur im Netz berühren.
Die 25 öffentlichen Veranstaltungen im Überblick
-Berlinale Talents: Mistakes / Eröffnungstalk mit Mitgliedern der Internationalen Jury
Gefördert von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, Robert Bosch Stiftung, Medienboard Berlin-Brandenburg, Creative Europe MEDIA – Programm der Europäischen Union.
-In Free Fall: Joys of Trial and Error / mit David Lowery (Alumnus)
Ideen entstehen nie nach Plan. Der US-Indie-Regisseur teilt seine Inspirationsquellen für "Ein Gauner & Gentleman".
-Filmpreis der Robert Bosch Stiftung: Preisverleihung
Der Filmpreis würdigt mutige deutsch-arabische Filmkooperationen: Zehn nominierte Projekte und die Gewinner*innen 2019 werden präsentiert.
-Adolescence: The Cinema of Téchiné / mit André Téchiné
Der französische Meister gibt im Gespräch mit dem Filmhistoriker Peter Cowie Einblick in sein Schaffen und seine Erzählungen eines niemals endenden Aufbruchs ins Erwachsenwerden.
-The States of Mistakes / mit James Schamus
Der Produzent und Autor ("Der Eissturm", "Brokeback Mountain") erweitert den Horizont des Publikums über die Rolle(n) des Scheiterns.
-Berlinale Homage: "The Look – Charlotte Rampling" / mit Charlotte Rampling
Die mit dem Ehrenbären ausgezeichnete Filmschauspielerin im Gespräch mit Peter Cowie über ihr Lebenswerk. In Kooperation mit Deutsche Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen.
-In the Aftermath: Saviano's Writings / mit Roberto Saviano
Der Essayist, Schriftsteller und Drehbuchautor reflektiert die schwerwiegenden Konsequenzen, die es hat, wenn man die Wahrheit über das Falsche ausspricht.
-Continental Drift: New Views on Africa / mit Neus Ballús, Perivi Katjavivi, Lemohang Jeremiah Mosese, Tiny Mungwe (alle Alumni)
Aufstrebende Filmschaffende debattieren das sich verändernde Afrikabild innerhalb und außerhalb des Kontinents. Gefördert vom Auswärtigen Amt.
-Kill Your Darlings / mit Susan Korda
Durch Fehler wird's erst richtig gut. Die Editorin präsentiert die Tücken des Filmschnitts und diskutiert die "Politics of the Editing Room".
-Mining for the Real: Researching Docs / mit Nikolaus Geyrhalter
"Es gibt keine Realität, nur Realitäten", sagt der Meister des langsamen Dokumentarfilms und legt seine stets tiefschürfenden Recherchen offen.
-World Building Live: Alternate Histories of our Future / mit General Jeff, Ana López Ortego, Alex McDowell, Paul Moore, Lejla Sadiku
Verändern wir die Fehler der Vergangenheit! Live-Workshop mit interdisziplinären Expert*innen zu neuen Wegen des Storytellings.
-Facts Made Film: Researching Fiction / mit Teona Strugar Mitevska (Alumna), Labina Mitevska, Guy Nattiv (Alumnus), Danielle Macdonald
Was ist die Story hinter den Fakten? Schauspielerinnen und Regisseur*innen diskutieren ihre Wettbewerbs- und Panorama-Filme "inspired by true events".
-Sweet Streams: What’s Next on Netflix for Filmmakers / mit Tendo Nagenda.
Der VP of Original Films bei Netflix im Austausch mit Talenten über die Zukunft des Streaminganbieters und Möglichkeiten für Filmschaffende. In Kooperation mit dem European Film Market.
-Reinventing Porn: Erika’s Ethics / mit Erika Lust
Erika Lust geht auf Konfrontationskurs mit dem oft männlichen Blick vieler Massenmedien und Pornos, indem sie die Frage nach sozialer Verantwortung im Bereich der Filmproduktion ganz neu stellt.
-Steps, Shots and Silence: Sound and Foley in Docs / mit Peter Albrechtsen, Heikki Kossi
Die Sound- und Geräusche-Experten zeigen live und zum Mithören, wie sich im Dokumentarfilm die Frage von Realismus versus Realität stellt.
-Curious Choices: The End of Mistakes / mit Nadav Lapid
Der Autorenfilmer ("Synonymes", "Wettbewerb") bezieht das Thema "Mistakes" auf die Widersprüche des Lebens und seiner Geschichten.
-Survival Guide: Endangered Images / mit Dirk Meier, Niko Remus, Nicholas Goodwin
Das ultimative Postproduktions-Toolkit für alle, die im digitalen Zeitalter die Qualität ihrer Bilder schützen wollen. Gefördert von ARRI.
-Neither Wrong Nor Right: Interactive Series / mit Bass Breche, Amin Dora (beide Alumni)
Die zwei Webserien-Macher aus dem Libanon zeigen die Regeln und Freiheiten des interaktiven Erzählens auf. Im Rahmen der "Drama Series Days" und gefördert vom Medienboard Berlin-Brandenburg.
-M - The Making of a Series / mit Christoph Brunner, Martin Gschlacht, Hannes Salat
Experten der Gewerke Montage, Kamera und Produktionsdesign sprechen über ihre Kooperation für "M - Eine Stadt sucht einen Mörder", die neue Serienadaption von Fritz Langs Meisterwerk. Im Rahmen der "Drama Series Days" und gefördert vom Medienboard Berlin-Brandenburg.
-Better Be Careful: Intimate Dialogues / mit Manuel Abramovich (Alumnus), Jan Soldat
Die Filmkritikerin Dana Linssen spricht mit den zwei Dokumentaristen über den Umgang mit intimen Dialogen und Tabuthemen. Gefördert vom Goethe-Institut.
-Bankruptcy and Resurrection: How Producers Fail Better / mit Cédomir Kolar, Roshanak Behesht Nedjad, Chelsea Winstanley (Alumna)
Das Ende als Anfang. Internationale Produzent*innen ziehen ihre praktischen Schlüsse aus vermeintlichen Dealbreakern. Gefördert von Creative Europe MEDIA – Programm der Europäischen Union und Medienboard Berlin-Brandenburg.
-Open Debates: Participatory Films / mit Adina Pintilie, Bianca Oana (beide Alumnae), Verena von Stackelberg und dem Team des WOLF-Kino
Die Goldene-Bär-Gewinnerinnen 2018 diskutieren mit Kinomacher*innen die dialogbasierte Vermarktung des Films "Touch Me Not". Gefördert von Creative Europe MEDIA – Programm der Europäischen Union.
-The Devil is in the Detail: Prop and Modelmaking / mit Simon Weisse
Der Berliner Modellbauer ("Isle of Dogs", "Grand Budapest Hotel") teilt und zeigt die Freuden und teuflischen Details seines Metiers.
-Keep Exploring: Spaces of Discovery / mit Nanouk Leopold, Joanna Hogg
Die europäischen Filmemacherinnen laden das Publikum auf eine Expedition in ihre einzigartigen filmischen Räume fürs Kino ein.
-Battle for the Big Screen: Future of Cinema
Junge Filmschaffende und Vertreter*innen aus den Bereichen Weltvertrieb, Produktion, Verleih und VOD diskutieren Einzigartigkeiten des Kinos. In Kooperation mit Berlinale Goes Kiez.
Berlinale Talents-Alumniscreenings mit Q & A
-"Systemsprenger"
Alumni: Nora Fingscheidt (Regie), Jonas Weydemann (Produktion) | Wettbewerb
-"Chão" ("Landless")
Alumni: Camila Freitas, (Regie, Drehbuch, Kamera), Marina Meliande (Montage) | Forum
-"Knives and Skin"
Alumna: Jennifer Reeder (Regie, Drehbuch) | Generation
-"Buoyancy"
Alumni: Rodd Rathjen (Regie, Drehbuch), Kristina Ceyton (Produktion), Michael Latham (Kamera) | Panorama
Screening Shorts (mit Filmen aus Berlinale Shorts und Generation)
-"Yulia & Juliet"
Alumni: Charlotte Scott-Wilson (Regieassistenz), Erik Glijnis (Produktion)
-"Lidérc úr" ("Mr. Mare")
Alumni: Ron Dyens & Gábor Osváth (Produktion)
-"Les petites vagues" ("Little Waves")
Alumnus: Hany Ouichou (Ausführende Produktion)
-"Blue Boy"
Alumnus: Manuel Abramovich (Regie, Produktion, Kamera)
-"Mot Khu Dat Tot" ("Blessed Land")
Alumnus: Lan Pham Ngoc (Regie)
Bitte beachten Sie: Das vollständige Programm von Berlinale Talents ist ab dem 29. Januar auch online verfügbar. Für die öffentlichen Veranstaltungen und Filmvorführungen können Tickets ab dem 4. Februar unter www.berlinale.de und an allen Vorverkaufskassen erworben werden.
Berlinale Talents wurde 2003 von Festivaldirektor Dieter Kosslick als Berlinale Talent Campus ins Leben gerufen. "Unser Ziel war es, ein internationales Netzwerk für junge Filmschaffende aufzubauen. Mit Berlinale Talents bekommen aufstrebende Talente die Gelegenheit, neue Partnerschaften zu knüpfen, von erfahrenen Filmemacher*innen zu lernen und Ideen auszutauschen. Ich freue mich, dass über die Jahre so viele Projekte von Talents-Alumni erfolgreich realisiert wurden und die heutige Filmlandschaft mitprägen", kommentiert Festivaldirektor Dieter Kosslick.
Die Initiative umfasst inzwischen fast 8.000 Alumni weltweit sowie ein Netzwerk von sieben weiteren Talents International-Initiativen, die von den dort ansässigen Organisator*innen in Buenos Aires, Durban, Guadalajara, Sarajevo, Beirut, Tokio und Rio de Janeiro ausgerichtet werden.
Quelle: www.berlinale.de