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Yoav hat keinen guten Start in Paris. Die Wohnung, an deren Tür er klopft, ist leer. Als er dort ein Bad nimmt, werden seine Sachen gestohlen. Dabei ist der junge Israeli mit höchsten Erwartungen hierhergekommen. Er will so schnell wie möglich seine Nationalität loswerden. Israeli zu sein, ist für ihn wie ein Tumor, der herausoperiert werden muss. Franzose zu werden, bedeutet dagegen die Erlösung schlechthin. Um seine Herkunft auszulöschen, versucht Yoav zunächst, die Sprache zu ersetzen. Kein hebräisches Wort soll mehr über seine Lippen kommen. Das Wörterbuch wird zu seinem ständigen Begleiter. Die notwendigen Besuche bei der israelischen Botschaft nerven ihn, überhaupt sind Landsleute eine Belastung. Aber auch der Einbürgerungstest hat seine Fallstricke. Und das junge französische Paar, mit dem er sich anfreundet, hat sehr merkwürdige Ideen, wie ihm geholfen werden könnte.
Basierend auf eigenen Erfahrungen erzählt Nadav Lapid von der Schwierigkeit, neue Wurzeln zu bilden. Der Versuch, zu sich selbst zu finden, weckt die bösen Geister der Vergangenheit und existenzielle Abgründe tun sich auf. Ein tragikomisches Puzzle, das seine Geheimnisse klug zu hüten weiß.
Quelle: 69. Internationale Filmfestspiele Berlin (Katalog)
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So beginnt der Siegerfilm der 69. Berlinale, in dem der 1975 in Tel Aviv geborene Regisseur Nadav Lapid eigene Erfahrungen auf die Leinwand brachte: Der Absolvent der Sam Spiegel Film School in Jerusalem studierte Literaturwissenschaft in Paris. Besagter junger Mann heißt Yoav (Kinodebüt des israelischen Schauspielers Tom Mercier), ist gerade als israelischer Soldat ausgezeichnet worden und dennoch nach Frankreich „geflohen“, wie er später nicht müde wird zu betonen, um mit seinem Herkunftsland und seiner Familie zu brechen.
Von seinen in etwa gleichaltrigen Nachbarn, dem sich als Romancier versuchenden reichen Industriellensohn Emile und dessen Freundin, der Oboistin Caroline, mit allem Nötigen ausgestattet läuft Yoav stets mit einem Wörterbuch unterm Arm herum, damit ihm kein hebräisches Wort mehr über die Lippen kommen muss. Auch nicht in der israelischen Botschaft, wo er sich als Wachmann anstellen lässt an der Seite seines masochistischen Landsmannes Yaron (Uri Hayek), der die Franzosen als Antisemiten hasst und diese ständig provoziert und dabei auch vor übergriffiger Anmache nicht zurückschreckt. Yaron schließt sich, ausgerechnet auf Vermittlung Yoavs, dem „Sondereinsatzkommando“ von Michel (Olivier Loustau) an, dass sich regelmäßig organisierte Kämpfe mit französischen Neonazis liefert.
Dem schreibgehemmten Emile stellt Yoav unglaubliche Geschichten aus seiner Armeezeit, die in Rückblenden gezeigt werden, zur Verfügung: So hat ihn sein Kommandeur (Ron Bitterman) dazu gebracht, bei Schießübungen sein Maschinengewehr nach der Melodie eines französischen Chansons einzusetzen. Und auf einem Soldatenfriedhof mischen zwei uniformierte Entertainerinnen (Yahalom David und Herut Cohen) mit „Sing Hallelujah!“ die angetretene Ehrenformation auf.
Der neben dem Goldenen Bären 2019 auch mit dem israelischen Filmpreis Ophir („Beste Kamera“) ausgezeichnete Zweistünder ist reich an solchen Skurrilitäten, die wohl für die aussichtslos-wahnwitzige Situation der Israelis im Nahen Osten wie generell der Juden in der Diaspora stehen: Nachdem Yoav bei strömendem Regen eine Schlange Wartender gegen die Vereinbarung in die Botschaft gelassen und seinen Job verloren hat, verdingt er sich als Nacktmodell. Und soll ausgerechnet mit der libanesischen Palästinenserin Yasmina (Iman Amara-Korba) einen Pornofilm drehen.
Einbürgerung scheint seine letzte Chance zu sein, nachdem Yoav seinen Vater (Yehuda Almagor), der ihn zurück nach Tel Aviv holen wollte, abgewiesen hat. Emile organisiert die Hochzeit mit Caroline, doch bevor er Franzose werden kann, muss Yoav noch einen Integrationskurs absolvieren, bei dem die Lehrerin (Léa Drucker) nicht nur die Marsellaise einübt. Als Yoav die Mitglieder des Bezirksorchesters, in dem seine Gattin Caroline spielt, bei einer Konzertpause mit dem Fragenkatalog des Kurses konfrontiert, kommt es beinahe zu einer handgreiflichen Auseinandersetzung mit dem Cellisten (Damien Carlet). Für Yoav steht fest, dass es so nicht weitergehen kann. Sein Versuch, alte Wurzeln zu kappen und neue zu schlagen, ist gescheitert. Zwischen Baum und Borke sucht er einen Ausweg – und findet Emiles Wohnungstür verschlossen…
„Synonymes“, dieser so ungewöhnliche wie den Zuschauer herausfordernde und mit Tom Mercier exzellent besetzte Film, wird am 16. Februar 2022 von Arte erstausgestrahlt.
Pitt Herrmann