Inhalt
Luisa ist 20 Jahre alt, kommt aus einer großbürgerlichen Familie und studiert Jura in Mannheim. Angesichts zunehmender rechtsradikaler Gewalt und des gesellschaftlichen Rechtsrucks wächst in Luisa der Wunsch, aktiv etwas dagegen zu unternehmen. Über ihre Studienfreundin Batte kommt sie in Kontakt zur linksautonomen Szene und schließt sich einer Antifa-Gruppierung an. Sie zieht zu Batte in ein besetztes Haus und freundet sich mit dem charismatischen Alfa und seinem besten Freund Lenor an, die im Kampf gegen Rechts auch Gewalt als legitimes Mittel sehen. Während die Mehrheit der Gruppe sich gewaltfrei engagiert und vor allem auf Demonstrationen geht, gerät Luisa über Alfa und Lenor in illegale Aktionen hinein, mit gezielten Sachbeschädigungen und dann auch gewalttätigen Überfällen. Die drei spionieren eine gut organisierte regionale Neonazi-Gruppe aus – bis ein brisanter Fund sie in Konflikt mit ihren Antifa-Mitstreitern bringt und vor die Frage stellt, wie weit sie zu gehen bereit sind, um die Gefahr von Rechts abzuwenden.
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Im Uni-Seminar diskutiert der Dozent (Matthias Bundschuh) das im Grundgesetz verbriefte Recht auf freie Meinungsäußerung, das auch Verschwörungstheoretiker und andere Radikale für sich beanspruchen dürfen. Was die Mehrheit des im Hörsaal versammelten juristischen Nachwuchses glatt bestreitet und sich auf (den im Vorspann des Films eingeblendeten) Artikel 20.4 des Grundgesetzes beruft: „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.“
Bei einer am Ende der Demo gewaltsam eskalierenden Auseinandersetzung mit Ordnern gelangt ein Handy in Luisas Besitz, das mit der im rechten Milieu beliebten Zahlenreihung „8888“ entsperrt werden kann. So erfährt Alfa von einer geplanten Aktion der Neonazis auf dem Land, 60 Kilometer von Mannheim entfernt. Gerade hat Luisa noch daheim an einer ihr verhassten, für ihre adligen Eltern Cordula und Joachim aber gesellschaftlich bedeutsamen Treibjagd teilgenommen, da demoliert die überzeugte Vegetarierin an der Seite Alfas und anderer Antifa-Aktivisten die auf einem Parkplatz am Rand des Ortes abgestellten Fahrzeuge der Rechten. Die Truppe hat sie in Papas Nobelkarosse in die Provinz kutschiert – und mit Chuzpe eine Polizeikontrolle überstanden.
Weil es bei dieser Hardcore-Aktion dann doch noch blutig zugegangen ist, landet Luisa bei Dietmar, einem alten Kämpen der Revolutionären Zellen. Der lebt nach Absitzen einer mehrjährigen Haftstrafe für einen Bombenanschlag in Frankfurt im Haus seiner inzwischen verstorbenen Mutter – resigniert, verarmt und perspektivlos, aber hilfsbereit. Die Nacht verbringt Luisa in Dietmars Bett zwischen Alfa und Lenor, bevor sich das Trio nach Mannheim zurück traut. Im „P 81“ macht Batte ein Fass auf: Gewalt gegen Menschen gehe gar nicht – und bringe übrigens auch nichts außer Gegengewalt.
Bei der Auswertung besagten Handys ist die Antifa-Gruppe einem großen Tier der militanten Rechten auf die Spur gekommen samt großem Materiallager mit Sprengstoff, Waffen und neofaschistischem Propagandamaterial. Bei einer Mitsommernachtsfeier soll das Depot ausgehoben werden. Während Alfa bei seinen Eltern abtaucht, auch um sich auf das Studium zu konzentrieren, warnt Lenor vor einem solchen Anschlag: „Ist ‘ne Liga zu groß für uns.“ Luisa aber ist bereit, den für richtig, ja geboten erachteten Kampf gegen Rechts auch mit gewaltsamen Mitteln zu führen…
Sie beantwortet für sich die Frage, wie weit man gehen kann im Kampf für die eigenen politischen Überzeugungen analog zur Hausbesetzerszene in den deutschen Großstädten: Allzu weit. Obwohl oder gerade weil sie bezogen auf Alfa eine persönliche Enttäuschung erlebt hat. Was zur weiterführenden Frage führt, ob sich die bis dahin behütete Tochter aus gutbürgerlichen Verhältnissen nicht aus Gründen radikalisiert hat, die mit politischen Inhalten gar nichts zu tun haben. „Viele Details in diesem Film kommen aus meiner persönlichen Erfahrung“ verriet die Regisseurin Tobias Kniebe im SZ-Interview (2. September 2020).
Julia von Heinz und ihr Ehemann John Questen kommen beide aus der Antifa-Szene, wo sie sich auch kennengelernt haben – im Alter der zur Heldin erkorenen Hauptfigur. Ihr fünfter gemeinsamer Film, ganz aus Luisas Perspektive erzählt und von Daniela Knapp auch so gedreht, zitiert im Titel das in Deutschland verbotene Hitlerjugend-Lied „Es zittern die morschen Knochen“ von Hans Baumann. Die Besetzung mit jungen, sämtlich theatererfahrenen Schauspielern ist großartig. Mala Emde, gebürtige Frankfurterin des Jahrgangs 1996 und Ernst-Busch-Absolventin wie der in Wien geborene Noah Saavedra, wurde nach der Uraufführung in Venedig mit dem Preis der unabhängigen Filmkritik „Bisato d’Oro“ als beste Darstellerin ausgezeichnet.
Der Film wirft ein authentisches Bild auf die in Teilen gewaltbereite Szene der Linken. Und nimmt über volle 110 Minuten Partei – nicht zuletzt mit der klammheimlichen Freude der Regisseurin über das hier nicht verratene Finale. Julia von Heinze, einst Assistentin Rosa von Praunheims an der Filmuniversität Babelsberg und heute 44-jährige Professorin an der Filmhochschule München, sehr offen im Presseheft: „Hätte ich den Film vor 15 Jahren gemacht, hätte ich den Rückzieher von Alfa und Lenor verurteilt. Heute dagegen zerreißt es mich, wenn sie sich zurückziehen. Weil ich sie sehr gut verstehen kann.“
Pitt Herrmann