Nachtgestalten

Deutschland 1998/1999 Spielfilm

Inhalt

Während ganz Berlin sich auf den bevorstehenden Papstbesuch vorbereitet, driftet eine Hand voll Menschen durch die nächtliche Stadt. Da wäre zum Beispiel das obdachlose Paar Viktor und Hanna, die 100 Mark finden und beschließen, sich damit einmal eine Nacht in einem richtigen Bett zu gönnen.

Dann gibt es da noch die Prostituierte Patty mit ihrem ebenso gutmütigen wie naiven Freier Jochen, der vom Land nach Berlin gekommen ist, um eine Frau zu finden. Oder aber der leitende Angestellte Peschke, der am Flughafen einen kleinen Jungen aus Afrika kennen lernt – und ihn nicht mehr los wird. Auf ihrer Odyssee durch die nächtliche Metropole schlittern diese und andere Charaktere in teils amüsante, teils dramatische Situationen.

 

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Heinz17herne
Heinz17herne
Endlich einmal wieder hatte ein deutscher Film im Wettbewerb der Berlinale für Aufsehen gesorgt bei seiner Uraufführung am 14. Februar 1999. Und die Kritiker waren schnell bei der Hand, Andreas Dresens „Nachtgestalten“ mit Robert Altmans „Short Cuts“ zu vergleichen. Und der „Silberne Bär“ für Michael Gwisdek, gerade noch von der Kritik auseinandergenommen für seine Rolle in „Das Mambospiel“ an der Seite seiner Film- und Lebenspartnerin Corinna Harfouch, war hochverdient.

Gwisdek gehört zu einer ganzen Phalanx hochkarätiger Darsteller, die wie Imogen Kogge (Schaubühne) und Axel Prahl (Grips-Theater) von den Berliner Theatern kamen und hier, zumeist in prägnanten Nebenrollen, ein bemerkenswertes Film-Gastspiel geben – die Kogge als hilfsbereite Verkäuferin auf dem Flughafen, der Prahl als eigentlich sehr menschlicher Bulle im nächtlichen Berlin-Stress.

Mit dabei auch Dominique Horwitz als Obdachloser Victor und Susanne Bormann als kindliche, drogensüchtige Nutte Patty, Oliver Bäßler als „Landei“ aus der norddeutschen Provinz, das einen draufmachen will im Sündenbabel der Hauptstadt, Meriam Abbas als Obdachlose Hanna – und der kleine Ricardo Valentim als gewitztes Kerlchen aus Angola. Nicht zu vergessen Horst Krause als Taxifahrer mit Herz und der bekannten Berliner Schnauze.

Aber zurück zum „Bären“-Preisträger Michael Gwisdek. Er spielt Henrik Peschke, ein kleines Rädchen im Getriebe einer Firma und seines Chefs Dr. Schneider, ein getriebener wie gescheiterter Spießer, der am Flughafen einen japanischen Geschäftspartner abholen soll – und das Treffen 'mal wieder vermasselt. Dafür läuft ihm der kleine angolanische Junge über den Weg, der von einem Verwandten in Empfang genommen werden soll. Doch dieser, illegal in Berlin lebend mit Job in einer zwielichtigen Spelunke, wird aufgehalten: Er steckt nicht nur im Stau, der durch den bevorstehenden Papstbesuch in der deutschen Hauptstadt verursacht wird, sondern wird auch noch in einen Autounfall verwickelt. Peschke und der Junge, den er zunächst fälschlich des Taschendiebstahls bezichtigt, bleiben aneinander haften wie Kletten: rührend kümmert sich der eine Underdog um den anderen, und das auch noch, als sein Fahrzeug von einer Jugendgang auf offener Straße geklaut wird.

Aber diese ist nur eine von drei Berliner Nachtgeschichten, die Andreas Dresen kunstvoll miteinander verwoben hat, ohne dass ein Raster daraus wird: Meist ist es der Taxifahrer, der die niemals wirklich zustande kommende Verbindung herstellt. Die Handlungsstränge bleiben selbständig nebeneinander bestehen, und dennoch wird deutlich, dass es eine Stadt ist, dass es Berlin ist, in der diese „Nachtgestalten“ umherirren.

Da ist das norddeutsche Landei, das dem heimischen Hof und seinen Eltern entronnen ist, um in der Metropole einmal die Sau rauszulassen. Er lässt sich vom Taxifahrer zum Straßenstrich kutschieren und trifft dort auf die blutjunge und wie sich später herausstellt drogensüchtige Hure Patty. Mit der zieht er durch Kneipen und finstere Hinterhöfe, unfähig zu vollziehen, was er sich vorgenommen hat.

Auch die beiden jungen Obdachlosen kommen erst am anderen Morgen und in aller Eile zu ihrem „Schäferstündchen“. Bis sie ein Hotelzimmer gefunden haben in der Papst-Stadt, müssen die eine wahre Odyssee überstehen – und dann schläft Victor übermüdet ein, während Hanna die – wenn auch kalte – Dusche des Hotelzimmers genießt.

Ein sehr bescheidenes happy end kommt immerhin zustande, auch der angolanische Junge findet seinen Verwandten. Aber was an Andreas Dresens zweitem Kinofilm so beeindruckt, ist das erschütternd Lakonische seiner realistischen Schilderung. Peschke wird sein Auto nicht zurückerhalten, Patty nicht von der Droge herunterkommen, Hanna und Victor werden mit ihrem Mischlingshund „Whiskas“ wieder in ihr „Domizil“, das einem Müllplatz an irgendeiner Straßenbrücke gleicht, ziehen. Der angolanische Junge wird wie Unzählige seiner Generation in der Gosse landen. Und die Straßenkids sind verloren, selbst wenn einmal etwas wie Mitleid aufkommt bei einem weiblichen Gang-Mitglied, das der am Boden liegenden Hanna wieder auf die Beine hilft.

Die Kamera Andreas Höfers ist so unerbittlich wie das Leben in der Großstadt Berlin – es gibt nur das kleine, das vorübergehende Glück, auch wenn es für einen Augenblick als großes Glück erscheint: die Geste der Barmherzigkeit, wenn Patty ihr „Landei“ ausraubt, ihm aber wenigstens noch einen Hunderter in der Jackentasche lässt, der Zustand der inneren Ruhe Pattys in den Armen des naiven Bauernburschen in irgendeiner Absteige, das kurze sexuelle Glück der beiden Obdachlosen am anderen Morgen, als die Vermieterin bereits ungeduldig an die Zimmertür pocht und Bauarbeiter draußen vor dem Fenster auf dem Gerüst herumklettern, das glückliche Lächeln des kleinen Angolaners, als Peschke ihn die erste Nacht in seiner Wohnung aufnimmt, die warmherzige Anteilnahme der Verkäuferin auf dem Flughafen am Schicksal des Jungen und seines Verwandten...

„Nachtgestalten“ erinnert an das sozialkritische britische Kino, das die Außenseiter mit Respekt zeichnet und mit ihrer eigenen Würde zeigt. Peschke und sein nicht persönlich erscheinender junger Chef Dr. Schneider, das Sozialverhalten der jungen Nutte Patty, die Vorurteile gegen das unverheiratete Obdachlosenpaar nicht nur im christlichen Hospiz, das naive Landei in seiner ganzen, an Dummheit grenzenden Gutherzigkeit – Komik und Tragik liegen bei diesen Nachtgestalten ganz eng beieinander.

Pitt Herrmann

Credits

Alle Credits

Drehbuch

Kamera-Assistenz

Ausstattung

Innenrequisite

Maske

Kostüme

Schnitt-Assistenz

Ton-Assistenz

Mischung

Spezialeffekte

Stunt-Koordination

Darsteller

Produktionsfirma

Produzent

Produktionsleitung

Aufnahmeleitung

Produktions-Assistenz

Post-Production

Geschäftsführung

Dreharbeiten

    • 10.03.1998 - 12.05.1998: Berlin, Peenemünde
Länge:
2831 m, 103 min
Format:
35mm, 1:1,85
Bild/Ton:
Eastmancolor, Dolby SR
Prüfung/Zensur:

FSK-Prüfung (DE): 30.03.1999, 81832, ab 12 Jahre / feiertagsfrei

Aufführung:

Uraufführung (DE): 14.02.1999, Berlin, IFF - Wettbewerb;
TV-Erstsendung (DE): 31.10.2001, ARD;
Kinostart (DE): 31.10.2001

Titel

  • Originaltitel (DE) Nachtgestalten

Fassungen

Original

Länge:
2831 m, 103 min
Format:
35mm, 1:1,85
Bild/Ton:
Eastmancolor, Dolby SR
Prüfung/Zensur:

FSK-Prüfung (DE): 30.03.1999, 81832, ab 12 Jahre / feiertagsfrei

Aufführung:

Uraufführung (DE): 14.02.1999, Berlin, IFF - Wettbewerb;
TV-Erstsendung (DE): 31.10.2001, ARD;
Kinostart (DE): 31.10.2001

Auszeichnungen

Prix Europa 2000
  • Prix Europa, TV Fiction
Preis der deutschen Filmkritik 2000
  • Preis der deutschen Filmkritik, Bester Spielfilm
Ernst-Lubitsch-Preis 2000
  • Ernst-Lubitsch-Preis
Deutscher Filmpreis 1999
  • Lola in Silber, Bester Spielfilm
IFF Berlin 1999
  • Silberner Berliner Bär, Bester Darsteller