Inhalt
Goethes Jugendliebe Charlotte Kestner (Werthers Lotte) kommt nach 40 Jahren auf die Idee, den Jugendfreund und Staatsminister in Weimar zu besuchen. Goethe will sie auf keinen Fall allein empfangen. Der Besuch gerät zu einer Enttäuschung. Es gibt nicht mehr als einen Anstandsbesuch im Rahmen eines Mittagessens mit der Weimarer Hofgesellschaft und ein Billet für Goethes Theaterloge. Es bleibt offen, ob ein letztes Gespräch nach dem Theater in Goethes Kutsche zwischen Lotte und dem Dichterfürsten wirklich stattgefunden hat.
Kommentare
Sie haben diesen Film gesehen? Dann freuen wir uns auf Ihren Beitrag!
Jetzt anmelden oder registrieren und Kommentar schreiben.
Das Filmprojekt Egon Günthers, das mit viel publizistischem und wie in der DDR üblich großem politisch-ideologischem Tamtam begleitet wurde, war „die“ Haupt- und Staatsaktion der Defa im Thomas Mann-Jahr (zum 100. Geburtstag des Schriftstellers am 6. Juni 1975) und die Wahl der Kulturfunktionäre fiel nicht zufällig auf Egon Günther, der Mitte der 1970er Jahre der auch international bekannteste Filmemacher des Arbeiter- und Bauernstaates war. Er hatte, sowohl was das Ausstattungsbudget als auch die Besetzungswünsche betreffen, völlig freie Hand und konnte, da „Lotte in Weimar“ ein Prestigeprojekt ersten Ranges war – der „Defa-Film des Jahres 1975“ lief als erste DDR-Produktion überhaupt bei den Filmfestspielen in Cannes – die Titelrolle mit dem West-Star Lilli Palmer besetzen. Um sie herum stand die erste Garde der DDR-Schauspieler vor der Kamera: Martin Hellberg, Rolf Ludwig, Hilmar Baumann, Jutta Hoffmann, Katharina Thalbach, Monika Lennartz, Dieter Mann, Annemone Haase, Klaus Manchen und Thomas Thieme.
Ein „lehrreiches Beispiel für die künftige filmische Gestaltung historischer Episoden und Figuren“, wie Peter Ahrens in der führenden DDR-Kulturzeitschrift „Weltbühne“ schrieb, ist Egon Günthers „Lotte in Weimar“ allerdings nicht geworden. Ich sah den am 6. Juni 1975 im Berliner „International“ uraufgeführten Film seinerzeit in Adlershof noch vor der Cannes-Aufführung am 13. Mai 1975 und den vernichtenden Kritiken westlicher Blätter („Personenkult mit Propaganda-Goethe“ titelte der Spiegel 45/1975) allein vor dem Hintergrund der enthusiastischen DDR-Stimmen („Ein Film ganz aus dem Geist Thomas Manns“, Horst Knietzsch in „Neues Deutschland“, 9. Juni 1975) - und war umso bitterer enttäuscht.
Egon Günthers Gratwanderung zwischen Klamotte und Satire, ab 31. Oktober 1975 auch in den bundesdeutschen Kinos zu sehen, mag in ihrer dramaturgischen Freizügigkeit für die Geschichte des DDR-Films ein Meilenstein gewesen sein, seine völlige Überzeichnung der Personen, allen voran Rolf Ludwig als Mager, Hilmar Eichhorn als junger Goethe, Thomas Neumann als Ferdinand, aber auch Lilli Palmer als Lotte, werden einer ernsthaften Auseinandersetzung mit der Vorlage Thomas Manns nicht gerecht, sondern führen eher zu unfreiwilliger Lächerlichkeit. Die feine Ironie der tragikomischen Aspekte dieses literarischen Meisterwerks gehen in Egon Günthers opulentem Kostümschinken völlig unter. Zu oberflächlich streifte der Regisseur den Vater-Sohn-Konflikt der Goethes, die Stellung des Dichters zur preußisch-napoleonischen Auseinandersetzung, die neudeutschen Literaturzirkel und das Dreiecksverhältnis zwischen Adele, Ottilie und Ferdinand.
Auch Lilli Palmer ist von dieser Kritik nicht auszunehmen. Sie ist herausragender, ja konstituierender Teil einer insgesamt sehr lauten und poltrigen Literaturverfilmung, deren Klamauk die Zuschauer auch von der einzigen sensiblen, „Mannschen“ Sequenz ablenkt, in der die Palmer endlich ihre mimische Ausdruckskraft und ihre schauspielerische Erfahrung offenbaren konnte: Lottes nächtliche Fahrt im Wagen Goethes zum „Elephanten“. Immerhin bleibt Jutta Hoffmann in Erinnerung, die „spielte die große Palmer geradezu an die Wand“ (Volker Baer in „Der Tagesspiegel“, 15. November 1975) in der Rolle der Adele Schopenhauer. Schon bei den Dreharbeiten in Weimar gabs Lob von Lilli Palmer: „Ich wusste also, dass in der DDR genauso gute Schauspieler sind wie drüben in Westdeutschland. Ich weiß nicht, wen ich da herausheben soll. Ich kann mir im Augenblick niemanden denken drüben, den ich mit der Jutta Hoffmann vergleichen könnte - in Können, Technik und der Jugend, die sie doch noch hat.“
In der Erinnerung bleiben außerdem eindrucksvolle Landschaften und bedeutende Baudenkmäler: So mutiert „Lotte in Weimar“, vielleicht sogar von der Staatsführung so gewollt, zum touristischen Weimar-Werbestreifen zur Musik von Gustav Mahlers „Sechster“, eingespielt vom Gewandhaus-Orchester Leipzig unter Václav Neumann. Lilli Palmer 1975 in einem Interview mit der DDR-Zeitschrift „Treffpunkt Kino“: „Es gehört ein ungeheurer Mut dazu, ein Thema von solch philosophischen Dimensionen anzupacken. Und ein Goethestoff, von Thomas Mann geschrieben – das klingt sehr hochgestochen. Aber Günther hat es hervorragend gelöst. Da sind all die lebendigen Figuren, die junge Lotte, der August, die Ottilie. Es gibt so viel Farbe in diesem Film, so viele Geschichten.“
Pitt Herrmann