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Als sie ihren früheren Klavierprofessor trifft und ihm vom bevorstehenden Konzert ihres Sohnes erzählt, sagt sie: "Sie haben ihn ja unterrichtet." – "Indirekt", schränkt der Alte ein. Damit ist die Spur gelegt. Lara war seine Schülerin und ist dann doch Verwaltungsbeamtin geworden. Hat also der Sohn getan, was die Mutter tun wollte? Warum ist die Verbindung beider abgerissen und sie nicht einmal eingeladen heute Abend zur großen Premiere? Lara irrt durch ihren Geburtstag, der exakt an dem Tag ist, an dem der Sohn seine erste Komposition präsentiert. Eine geheimnisvolle Verbindung. Schließlich kauft sie die Restkarten für das Konzert ihres Sohnes auf und verschenkt sie an andere Menschen. Vielleicht ist das Verhältnis von Mutter und Sohn so kühl, weil die Liebe beider der Musik gilt.
Quelle: 15. Festival des deutschen Films Ludwigshafen am Rhein
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Die Polizisten gehen nicht eben pfleglich um mit den Büchern und anderen Gegenständen, die sie aus den Regalen der Nachbarswohnung holen. Wobei es nicht genuin um den älteren, schon seit geraumer Zeit pensionierten Witwer geht, sondern um seinen rotzigen Sohn Sascha. Wahrscheinlich Drogen, aber Genaueres ist nicht zu erfahren. Nur, dass am Ende nichts gefunden worden ist. Lara wohnt im einst angesagten Hansaviertel und ist, das belegt ein Haufen zerknüllten Papiers auf ihrem Schreibtisch, schon längere Zeit dabei, einen Brief zu schreiben.
Ihr Sohn Viktor gibt an diesem Abend das wichtigste Klavierkonzert seiner bisherigen Pianisten-Karriere, denn es soll seine erste eigene Komposition uraufgeführt werden. Lara, einst selbst eine vielversprechende Klavierschülerin am Konservatorium bei Professor Reinhofer, hat Viktors musikalischen Werdegang befördert und wenn nötig auch forciert. Weshalb es nicht nur ihr merkwürdig erscheint, dass sie ihren Sohn schon seit Wochen nicht mehr erreicht hat. Was sie nicht weiß: Viktor ist bereits vor zwei Monaten bei seiner Großmutter eingezogen, in Laras bescheidenes, idyllisch im Grünen gelegenes Elternhaus.
Was wohl auch damit zusammenhängt, dass sein Vater, ein erfolgreicher Ingenieur, inzwischen mit Rebecca, einer neuen, vergleichsweise jüngeren und attraktiveren Frau, zusammenlebt. Die Funkstille zu seiner Mutter hat freilich tiefere Gründe, die erst nach und nach ans Licht kommen: ihre Egozentrik hat Lara von allen Familienmitgliedern entfremdet, von der eigenen Mutter, von ihrem Mann und schließlich auch von ihrem Sohn. Den sie nach der Generalprobe im Konzerthaus aufsucht – und ihm nach Studium der Noten nicht gerade Mut macht für den Abend.
Dennoch kauft Lara, die zuvor bei der Bank ihr Konto leergeräumt hat, sämtliche Restkarten für Viktors Konzert und verteilt sie an ehemalige Kollegen in der Stadtverwaltung, an ihren alten Musikprofessor und schließlich an Unbekannte, denen sie im Verlauf des Tages begegnet, so etwa die taffe Verkäuferin im Modehaus, die ihr zu einem flotten Cocktailkleid verhilft, das sie gleich anbehält, kurz vor Konzertbeginn dann aber doch noch gegen ihr altes austauscht. Und dann das: In einem Cafe wird sie von Viktors Freundin Johanna angesprochen, die auch schon längere Zeit nichts mehr von ihm gehört hat. Sie studiert Violine am Konservatorium – und Lara zerbricht in einem unbeobachteten Moment den Bogen in ihrem Geigenkasten.
Ein Ausbruch von Boshaftigkeit einer Frau, die sich gegen jedermann kühl und abweisend gibt, selbst gegen den taxifahrenden Nachbarn Czerny, der ihr einen Geburtstags-Blumenstrauß überreicht und sie selbstverständlich kostenlos durch Berlin kutschiert. Lara stößt auch die von ihr mit Eintrittskarten beglückten Konzertbesucher vor den Kopf. Erst als sich der große Erfolg ihres Sohnes abzeichnet, den sie nicht im Parkett, sondern zwischen Tür und Angel verfolgt, kann sie sich dazu durchringen, mit einigen von ihnen, darunter ihrem einstigen Lehrer Reinhofer, in der Brasserie gegenüber auf das Wohl Viktors anzustoßen. Der feiert mit Oma, Vater und engen Freunden unter dem gleichen Dach, sodass sich Mutter und Sohn zwangsläufig begegnen: mitten im Trubel herrscht eisernes Schweigen zwischen ihnen...
Für „Lara“, seine erste Regiearbeit nach seinem erfolgreichen, mit sechs Lolas ausgezeichneten Debüt „Oh Boy“, hat Jan-Ole Gerster ein eindrucksvolles Ensemble vor dem mehrfach ausgezeichneten Kameramann Frank Griebe versammelt. In der Titelrolle spielt Corinna Harfouch eine von Ehrgeiz zerfressene Frau, die ein Leben lang ausgeteilt hat, weil sie Beamtin geworden ist statt Musikerin, und nun einstecken muss. Gerster lässt freilich vieles offen: Was hat Lara vor, wenn sie einen Stuhl ans Fenster ihrer in einem oberen Stockwerk der Hansaviertel-Wohntürme gelegenen Wohnung stellt? Wem versucht sie immer wieder von Neuem einen Brief zu schreiben? Warum trägt sie einen Stapel Geldscheine mit sich herum? Alles Hinweise, dass Lara mit ihrem Leben abgeschlossen hat. Und das bereits vor der für sie niederschmetternden Kunde, dass sie seinerzeit von ihrem Professor für ein großes Talent gehalten worden ist, obwohl er ihr dieses stets abgesprochen hat. Das mache er bei seinen Schülern bis heute so, denn zum Talent müsse auch das Durchsetzungsvermögen kommen...
Knapp einhundert Minuten verlorene Träume, Liebe zur Musik und ein katastrophales Mutter-Sohn-Verhältnis: Das mit dem Media New Talent Award der Europäischen Union ausgezeichnete Drehbuch hat der slowenische Autor, Fotokünstler und Filmemacher Blaz Kutin geschrieben in Zusammenarbeit mit dem TorinoFilmLab. Die Musik des Echo Klassik-Preisträgers Arash Safaian ist von der deutsch-japanischen Star-Pianistin Alice Sara Ott eingespielt worden. „Lara“ wird am 30. März 2022 als Free-TV-Premiere auf Arte gezeigt.
Pitt Herrmann