Inhalt
Erzählt werden zehn Jahre, 1796 bis 1806, aus dem Leben des Dichteres Friedrich Hölderlin: die gescheiterte Liebe zwischen ihm und Susette Gontard. Hölderlin weilt als Hauslehrer im Hause des Frankfurter Bankiers Gontard und verliebt sich in die Mutter der von ihm unterrichteten Kinder. Susette wird ihm gewissermaßen zur Diotima seines "Hyperion"-Romans. Hölderlin wird des Hauses verwiesen, als die Beziehung nicht mehr zu verheimlichen ist. Susette wird krank und stirbt 1802 mit 33 Jahren. Hölderlin wird schwer depressiv, als er dies erfährt und 1806 in eine Nervenklinik eingewiesen. Das Ganze spielt sich vor dem Hintergrund einer von Frankreich auf Deutschland übergegriffenen revolutionären Bewegung ab, die jedoch im Keim erstickt.
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Hölderlin, den seine Mutter lieber auf der offerierten Pfarrstelle in Blaubeuren gesehen hätte, lässt sich gern von der Dame des Hauses hofieren – und zur gemeinsamen Hausmusik bitten, wenn der vielbeschäftigte Bankier beruflich außer Haus ist. Umso bitterer stößt es ihm auf, wenn Jakob Gontard seinen Hofmeister barsch in die Schranken des Gesindes verweist und ihn bei Empfängen in den Weinkeller schickt, um Nachschub zu holen. Nur wenn sein Studienfreund Isaac von Sinclair zu Besuch kommt, blüht Hölderlin auf. Zusammen mit dem landgräflichen Regierungsbeamten kann er seinen Träumen von der Gründung einer Süddeutschen Republik nachhängen und ausgiebig in Erinnerungen an revolutionäre Studentenutopien schwelgen. Beide sind insgeheim hocherfreut, als die Franzosen vor der Stadt stehen. „Hölder“ begleitet als männlicher Beschützer die Familie Gontard nach Hamburg zu einem Bruder des Hausherrn, der in Frankfurt zurückbleibt. Der Tross kommt jedoch etwa auf halber Strecke zum Stillstand: In landschaftlicher Idylle (gedreht wurde im Landschaftspark Wörlitz) und freigeistiger Atmosphäre, für die der Gastgeber Wilhelm Heinse, ein sachkundiger Liebhaber der Antike, sorgt, kommen sich Susette und Friedrich endgültig näher. Aus der zarten, dann immer leidenschaftlicheren Romanze entwickelt sich für beide „die“ Liebe ihres Lebens.
Die natürlich keinen Bestand haben kann. Anstatt die Reise in den Norden fortzusetzen, beordert Jakob Gontard seine Familie in die von der Franzosen-Gefahr befreite Stadt am Main zurück – und gibt zu Ehren seiner Gattin ein großes Fest. Hölderlin befindet sich in einer dreifachen Krise: Weder privat noch beruflich („Der Olymp von Weimar nimmt mich nicht wahr“) erfolgreich und ohne jede Perspektive beraubt ihn sein Freund Sinclair von den letzten Illusionen, indem er Schauergeschichten aus dem Land der Freiheit, der Gleichheit und der Brüderlichkeit berichtet. Hölderlin kündigt, geht nach Homburg. Heimliche Briefwechsel und Treffen mit Susette bringen für beide keine seelische Entlastung. Und bei der glanzvollen Silvesterfeier der Jahrhundertwende 1800 trinken „Hölder“ und seine einstigen Kommilitonen zwar auf die Postulate der Französischen Revolution, die Depression erreicht den Dichter jedoch spätestens an seinem 30. Geburtstag: „Alles halb“. „Dichter bin ich, Dichter will ich sein“ ruft Friedrich trotzig aus, als er sich nach der dritten Kündigung einer Hofmeister-Stelle Vorwürfe seiner Mutter konfrontiert sieht: Hölderlin will möglichst weit fort, überquert die französische Grenze, wird aber auch bei seinem neuen, sehr verständnisvollen Arbeitgeber Konsul Meyer nicht glücklich.
Dann wird er nach Frankfurt gerufen: Susette, die sich aus Trennungsschmerz dem Leben verweigerte, stirbt 1802 im Alter von 33 Jahren. Hölderlin tritt in Homburg auf Vermittlung Sinclairs eine Stelle als Bibliothekar an. Er vereinsamt völlig, nachdem Isaac unter dem Vorwurf des Hochverrats verhaftet wird und nach seiner Entlassung ins Ausland geht. 1806 wird Friedrich in eine Tübinger Nervenklinik eingeliefert. Da ist er 36 Jahre alt – und weitere 36 Jahre sollte „Hölder“ noch in Kliniken und schließlich in dem berühmten „Turm“, den die Defa naturgemäß (West-Devisen) nicht auf die Leinwand bannen konnte, zubringen bis zu seinem Tod.
Der in dem Zeitraum von zehn Jahren zwischen 1796 und 1806 angesiedelte Film „Hälfte des Lebens“ ist ein von Szenaristin Christa Kožik sorgfältig recherchierter Ausstattungsstreifen in gewohnt guter handwerklicher Defa-Qualität mit leicht elegischem Unterton, wofür weniger die Darsteller als die Kamera und die zumeist klassische Musik sorgen. Beim 4. Nationalen Spielfilmfestival der DDR Ende Mai 1986 in Karl-Marx-Stadt ist „Hälfte des Lebens“ mit dem Publikumspreis „Großer Steiger“ ausgezeichnet worden. Was den Film heute ins Blickfeld rücken lässt, ist die Besetzung der beiden zentralen Rollen: Jenny Gröllmann und Ulrich Mühe waren Mitte der 1980er Jahre ein Ehepaar und führten wie einst auch Corinna Harfouch und Michael Gwisdek eine – bezogen auf das Künstlermilieu auch jenseits von Mauer und Stacheldraht – mustergültige Beziehung. Kurz bevor Jenny Gröllmann starb, sah sich die bereits von schwerer Krankheit Gezeichnete mit Vorwürfen, sie habe im Auftrag der DDR-Staatssicherheit als „Informeller Mitarbeiter“ ihren damaligen Gatten Ulrich Mühe ausspioniert, konfrontiert. Was sie sozusagen bis zum letzten Atemzug bestritten hat – eine Tragik, die der in „Hälfte des Lebens“ geschilderten mindestens gleichkommt.
Pitt Herrmann