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Jahrelang hatte Marga ein eher distanziertes, wenig emotionales Verhältnis zu ihrer Tochter Sofia. Plötzlich aber, als Folge einer Erkrankung, beginnt sie, der jungen Frau all ihre Ängste anzuvertrauen und offenbart ihre tiefe Sehnsucht nach ihrem lange verstorbenen Mann Juris. Immer mehr verliert Marga sich in ihrer Vergesslichkeit, während sie auch immer wieder wie ein Kind nach Zärtlichkeit und Nähe verlangt. Für Sofia ist es zunächst nicht leicht, mit dieser Situation umzugehen, hatte sie doch lange Zeit kaum Kontakt zu ihrer Mutter. Nun muss sie sich um eine Frau kümmern, die ihr mal schroff und mal humorvoll begegnet, die manchmal ganz da ist und dann wieder völlig weggetreten.
Angeregt durch Margas Erzählungen tritt Sofia mit ihrer Mutter eine Reise in deren Heimatstadt Riga an. Hier erfährt sie allmählich die ganze Wahrheit über den Lebensweg der alten Frau, eine Wahrheit, die auch ihr eigenes Leben in einem ganz neuen Licht erscheinen lässt.
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Zeitsprung, Deutschland im Januar 1991. Der Bernstein befindet sich jetzt im Besitz einer Frau, die im Taxi sitzt auf dem Weg von Bonn nach Wuppertal und, je näher das Ziel, eine Villa an der Birkenallee 81, rückt, dem Fahrer unheimlich wird: Ist Marga Baumanis aus Vorfreude auf das Wiedersehen mit ihrer Familie nur nervös oder tatsächlich so verwirrt, wie es den Anschein hat?
Berlin, Januar 1991. Sofia Schleier ist in diesen Tagen des Umbruchs, ja der Revolution im Baltikum eine viel gefragte Fernsehjournalistin. Nach der ersten Okkupation durch die Rote Armee in Folge des Hitler-Stalin-Pakts 1940, der zweiten ein Jahr später durch die Deutsche Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg und der Dritten durch die Sowjetunion nach 1945 wollen die Menschen in Estland, Lettland und Litauen wieder selbstbestimmter Teil Europas werden. Im Studio glühen die Drähte, Redaktionsleiter Hans beauftragt Sofia, die Korrespondentenberichte um weiteres, möglichst authentisch-privates Material zu ergänzen. Da erhält sie einen Anruf aus einer psychiatrischen Klinik in Wuppertal...
Nach „Hierankl“ und „Winterreise“ begibt sich Hans Steinbichler mit seinem Familiendrama „Das Blaue vom Himmel“ auf eine Zeitreise, die in die 1930er Jahre kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs zurückführt und, so ganz nebenbei, der „Singenden Revolution“ von Riga ein bewegendes, weil authentisches filmisches Denkmal setzt mit rund vierhundert lettischen Komparsen, die die Blockade von August 1991 selbst miterlebt haben und die Szenenbildnerin Evi Stiebler mit ihren originalen „Requisiten“ beglückten (der originalgetreue Heißluftballon aus den Dreißigern stammt übrigens aus Bochum).
Nachdem sich ihr Gatte Lorenz standhaft geweigert hat, ins Bergische zu fahren, übernimmt es die gestresste Journalistin Sofia selbst, nach ihrer Mutter zu sehen. Wo sie sich neben merkwürdigen Nacktfotos aus dem Besitz ihrer Eltern, die Ruta Bertulis auf dem Dach der nun von ihr bewohnten Villa an der Birkenallee gefunden hat, mit der niederschmetternden Diagnose Alzheimer konfrontiert sieht: Ihre Mutter erkennt sie nicht mehr, ist zum Pflegefall geworden. Ein Zurück nach Bonn, wo Marga bisher im Altenheim gelebt hat, bevor sie sich auf die Suche nach ihrem – längst verstorbenen – Gatten Juris nach Wuppertal, in ihre erste Wohnung nach dem Krieg, begeben hat, ist nicht möglich.
Konfrontiert mit den sechzig Jahre alten, vom Rigaer Studio Kalnins verarbeiteten Fotos, wird Marga nicht nur verbal („Schweinedreck“) aggressiv. Die Dämonen der Vergangenheit, die sie offenbar auch durch die Zerstörung eines wahren Schatzes an historischen Familienaufnahmen aus den Dreißiger Jahren nicht länger verdrängen kann, nehmen überhand. So beschließt Sofia, mit ihrer Mutter nach Lettland zu fahren – zu Osvald Kalnins, besagtem Fotografen und altem Freund der Familie. Je mehr Sofia über ihre Eltern erfährt, desto unklarer wird ihr, wer sie selbst ist. Nur eines steht fest: Es war das Blaue vom Himmel, was Marga ihr über die Vergangenheit erzählt hat...
„Nichts ist dort, wo es sein soll“: Margas Feststellung, nachdem sie die Villa in Wuppertal betreten hat auf der Suche nach ihrem Gatten Juris und der nicht unbeträchtlichen Summe, auf die der Taxifahrer wartet, hat beinahe über 99 Minuten Bestand in einem auch durch die berückenden Bilder der Kamerafrau Bella Halben opulenten Film, der auf paradigmatische Weise Familien- mit Weltgeschichte verbindet. „Das Blaue vom Himmel“ ist eine in vielerlei Hinsicht, die „Singende Revolution“ wurde bereits angesprochen, berührende Geschichte über die (Ohn-) Macht der Liebe und die Kraft des Verzeihens.
Der gebürtige Grazer und heutige Wahl-Berliner Robert Thayenthal, mit „Das Blaue im Himmel“ 2009 für den Deutschen Drehbuchpreis nominiert, hat (erstmals) zusammen mit Josephin Thayenthal eine Tragödie geradezu antiken Ausmaßes geschrieben, deren aristotelisch-reinigende Wirkung verloren ginge, würden zu viele Einzelheiten der Handlung und des – versöhnlichen – Finales bekannt. Die am 15. Oktober 2017 in der ARD erstausgestrahlte TV-Koproduktion punktet mit einer hochkarätigen Besetzung, zu der auch Dace Eversa gehört als Lewa Lepere, die zwar zwölf Jahre im sowjetischen Gulag-KZ überlebt hat, nun aber mit einer Situation fertig werden muss, welche die Probleme zwischen Mutter Marga und Tochter Sofia noch in den Schatten stellt...
Hans Steinbichler im NFP-Presseheft: „So wie Almodòvar z.B. in seinem Film ‚La mala educación – Schlechte Erziehung‘ das schwule Umfeld in einem Land wie Spanien begreift, bedeutet Heimatfilm vielmehr sein eigenes Umfeld als solches zu begreifen und trotzdem keine Nische zu füllen, sondern für viele zu erzählen. Das ist es, was mich bei Almodòvar unheimlich reizt. Mit dieser Haftung konnte er unheimlich radikale Geschichten wie ‚Alles über meine Mutter‘ erzählen. Pedro Almodòvar ist für mich vor allem ein Vorbild in der Erzählweise.“
Pitt Herrmann