Von Zombies und Liebespaaren
Anlässlich eines Besuchs beim Deutschen Filmmuseum Frankfurt, wo er seinen neuen Film "Mitte Ende August" vorstellte, sprach Sebastian Schipper mit filmportal.de über Autos, Autoren und Popmusik
filmportal.de: Herr Schipper, Autos spielen in Ihren Filmen eine ganz zentrale Rolle – was fahren Sie für einen Wagen?
Sebastian Schipper: Ich denke, das Thema Auto ist irgendwie vorbei – und so fahre ich wohl auch Auto. Ich habe einen komplett ausgebauten VW-Bus, mit dem bin ich letztes Jahr mit meiner Freundin an der Atlantikküste von Frankreich über Nordspanien bis nach Portugal gefahren. Das fand ich sinnvoll und gut. Und bis vor zwei Jahren hatte ich einen Maserati, der allerdings nach wenig aussah und ständig für einen Audi gehalten wurde. 3.500 Euro hatte er gekostet; der verbraucht aber so viel Benzin, dass es mir einfach keinen Spaß mehr machen würde, mit dem zur Tankstelle zu fahren und diese unfassbaren Mengen da reinzufüllen. Mir fehlt wirklich der Glaube daran, dass Autos jetzt noch eine Top-Sache sind.
Bei Ihren Figuren scheinen Sie das anders zu sehen. Da charakterisieren die Gefährte immer auch die Figuren. Der Audi in "Mitte Ende August" beispielsweise passt ja perfekt zu Friedrich.
Klar, und genauso war auch der Citroën BX von Thomas und Hanna sehr sorgfältig ausgesucht. Wahrscheinlich interessieren mich Autos dann doch viel zu sehr, als dass es mir egal wäre oder ich es andere entscheiden ließe, was für Autos die nun fahren. Der BX, der Audi und auch der Pantera – das mussten schon genau diese Autos sein. Und das Minicar, das Schrott zum Schrottplatz fährt, genauso.
Ihre ersten Filme handelten von Männerfreundschaften. Und von Film zu Film ging es ein Stück weiter im Leben, von den Jungs in "Absolute Giganten" über die noch recht jungen Männer in "Ein Freund von mir", und jetzt, bei "Mitte Ende August" geht es mehr um Paarbeziehungen, ein eigenes Haus, vielleicht die Gründung einer Familie. Gehen Sie da von Film zu Film absichtlich eine Stufe weiter, auch parallel zum eigenen Leben?
Es hat bestimmt etwas miteinander zu tun, aber bewusst mache ich das nicht. Ich habe auch kein Haus auf dem Land. Das hat sich bestimmt durch die Romanvorlage von Goethe entwickelt, und ohne die "Wahlverwandtschaften" hätte ich es bestimmt nicht so gemacht. Auf der anderen Seite hätte mich der Stoff vielleicht nicht interessiert, wenn ich nicht in dieser Lebensphase gewesen wäre. Insofern glaube ich also schon, dass da eine Verbindung besteht.
"Mitte Ende August" ist Ihr erster Film, den Sie nicht nach einem eigenen Originalstoff entwickelt haben. Was sind die Unterschiede in der Herangehensweise?
Es geht schneller, das muss man ganz einfach sagen. Vielleicht kann man das mit der Coverversion eines Songs vergleichen. Die Struktur steht fest; wie es ausgeht steht fest, wie es anfängt steht fest. Diese gegebene Form der Struktur muss dann nur noch mit Ideen gefüllt werden. Strukturen sind bei Drehbüchern sowieso das Schwierigste. Zu bestimmen, wann was passiert. Das dann mit Ideen zu füllen, ist meist nicht so wahnsinnig kompliziert. Wirklich: Vielleicht ist das ähnlich wie mit der Coverversion eines Songs.
Manche Kritiker haben den Film mit "Alle anderen" von Maren Ade verglichen. In beiden Filmen geht es um ein Paar, das in einer bestimmten, fest umrissenen Umgebung ist, in die dann Fremde "eindringen" und Turbulenzen in der Beziehung auslösen.
Ich habe "Alle Anderen" immer noch nicht gesehen, was total bescheuert ist, aber auf eine Art vielleicht auch gut. Ich habe aber den Eindruck, dass es bei "Alle Anderen" stärker um die Frage geht, ob die beiden wirklich ein Paar werden wollen, ob sie diesen Schritt wirklich machen. In "Mitte Ende August" geht es mehr darum, dass zwei sich bereits entschieden haben, ein Paar zu sein. Und sie kommen in die Bredouille, obwohl sie sich eigentlich entschieden haben, obwohl sie geheiratet haben und obwohl sie sich lieben. Das Set-up ist erst einmal toll, und trotzdem passiert ihrer Liebe etwas Tragisches.
Sie haben Milan Peschel in einer Rolle besetzt, die eher untypisch für ihn ist, in einer Goetheverfilmung, einem Paarbeziehungs-Film über ein romantisches Thema. Wie kamen Sie auf die Idee?
Ich finde ihn einfach super dafür. Er ist ein ganz besonderer, ganz eigener, sehr interessanter Typ. Und wenn man so eine klassische Geschichte macht, finde ich es umso wichtiger, dass sie ganz eigen besetzt ist. Besonders schön finde ich diese Verspieltheit von Milan als Thomas, dieses Kindlich-Überschwängliche war sehr wichtig, und wir haben noch einige wahnsinnig lustige Szenen mit Milan gedreht, wo er sich richtig austobt, die wir aber beim Schnitt rausnehmen mussten, weil es sonst zu viel geworden wäre. Zum Beispiel, als Thomas mit Friedrich zum Werkzeugladen fährt, um eine Motorsäge zu leihen: Da hantiert er mit der Säge und tut so, als seien nur Zombies um ihn herum und als müsse er sogar seinem Bruder – dem Zombie – den Kopf absägen. Und der Motorsägenverleiher schaut ihn nur völlig verdutzt an. Also Milan war einfach großartig. Und gerade auch in der Kombination mit Marie Bäumer, denn wenn beide ähnliche Typen wären, dann würde mir da etwas fehlen. So ist es auch eine Art Versuchsanordnung.
Das funktioniert tatsächlich sehr gut und ist sehr spannend in der Verbindung mit Marie Bäumer, die ja eher die klassische Schönheit ist, ja fast etwas prinzessinnenhaftes hat. Auch Anna Brüggemann könnte man sich gut in Goethes Zeit vorstellen.
Nun aber zu etwas anderem: Die Musik ist anders als bei Ihren vorherigen Filmen direkt für "Mitte Ende August" komponiert worden...
Ja, ich kenne die Musik von Vic Chesnutt zwar schon sehr lange und bin schon lange ein Fan von ihm, aber ich bin erst auf ihn gekommen, als "Mitte Ende August" eigentlich fertig geschnitten war und wir gemerkt haben, da wollen wir musikalisch noch mal neu rangehen, mit wirklich eigenem Score. Phantastischerweise kannte der äußerst nette Engländer, der mir beim Erstellen der englischen Untertitel für den Film geholfen hat, Vic Chesnutt persönlich, und stellte den Kontakt her. Und der erklärte sich bereit, die Musik direkt zum fertigen Film zu komponieren.
Für die Soundtracks von "Absolute Giganten" und "Ein Freund von mir" haben Sie existierende Musikstücke verwendet. Wurden da bereits Szenen auf die Musik hin geschrieben?
Ja, genau zur Musik geschrieben und dann auch dazu geschnitten. Wir haben bei "Ein Freund von mir" mit der Band Gravenhurst sehr viele Remixe für den Film gemacht. Bei "Absolute Giganten" gab es die Musik genau so schon vorher, Stücke von Notwist und von Sophia. "Mitte Ende August" war also meine erste Erfahrung mit einer Musik, die erst zum geschnittenen Film dazu kam.
Im fertigen Film wirkt das äußerst organisch, als wären Film und Musik miteinander gewachsen.
Es hat einfach sehr gut funktioniert, auch für Vic.
Die Verwendung des Kylie-Minogue-Songs, den Milan Peschel am Anfang des Films auflegt, ist auch äußerst gelungen.
Ja, was für ein super Song! Und was nicht unbedingt sofort auffällt: Das Vic-Chesnutt-Lied ganz am Ende des Films ist eine lediglich stark veränderte Coverversion genau dieses Stückes, "Come Into My World".
Uns würden noch weitere Zitate und Verweise im Film interessieren. Sie haben ja gerade die entfallene Szene mit der Motorsäge beschrieben, die ja eine sehr schöne Anspielung sowohl auf "Texas Chainsaw Massacre" als auch auf Zombiefilme ist. Ist diese Szene, in der Thomas auf der Wiese so herumtorkelt als George-Romero-Zitat gedacht? Die Szene erinnert stark an "Night of the Living Dead", wenn der Zombie auf den Friedhof kommt...
Diesen Film liebe ich so! Das hab ich aber nur für mich ganz persönlich so eingebaut. Thomas imitiert eben einen Zombie. Aber wenn Sie so allgemein gefragt hätten: "Gibt es bei Ihnen Filmzitate?", dann wäre mir das wohl gar nicht eingefallen. Aber klar, ich liebe "Night of the Living Dead" und finde ihn so gruselig und toll. Ich hab ihn als Abiturient im Programmkino irgendwo gesehen und war echt "terrified". Und ich habe mir eben gedacht, der Thomas macht so einen Zombie nach, vielleicht weil er sich da gerade an den Film erinnert, im Morgengrauen so halbbesoffen auf dem Weg zum See, wenn man ein bisschen rumblödelt, Quatsch macht, um den Weg zu verkürzen.
Wahrscheinlich gibt es noch andere solcher kleinen Verweise, etwa in einer Autoszene auf "Two Lane Blacktop", mit dem Driver, dem Mechanic und dem Girl. Aber das sind keine gezielten Entscheidungen, das läuft eher "fließend" und automatisch.
Es gibt viele Regisseure, auch aus Ihrer Generation, die sagen, es gäbe wenig gute Stoffe in Deutschland, und deswegen hätte man oft auch so viele Probleme, einen Film in Angriff zu nehmen. Sie schreiben Ihre Filme ja meistens selbst – aber finden Sie grundsätzlich auch, dass es in Deutschland nicht genug gute Filmstoffe gibt?
Ich glaube, dass unsere Tradition eine von Filmemachern und Autorenfilmern ist. Und ich denke, es ist tatsächlich so, dass wir einfach noch keine richtige Filmindustrie haben. So weit sind wir hier noch nicht. Also: Ja, es könnte mehr gute Stoffe geben; wahrscheinlich gehört es aber auch zu unserer Tradition, dass Filmemacher ihre Stoffe selber schreiben.
Haben Sie bereits ein neues Projekt?
Ich mache wieder einen Film, der von Tom Tykwer produziert wird. Das wird jetzt aber ein ganz dunkler und gewalttätiger, körperlicher... Paranoia-Thriller, würde man wahrscheinlich sagen. Eine Reise in die Dunkelheit, von jemandem, der überhaupt nicht dafür gewappnet ist. Er ist einfach ein Lektor in einem Verlag, der sich mit Büchern auskennt. Nachts auf dem Nachhauseweg findet er einen Verletzten und bringt ihn ins Krankenhaus. Und am nächsten Morgen, als er mit seiner Frau in den Urlaub fahren will, findet er sie tot auf dem Küchenboden, und er selbst wird entführt. Ihm gelingt zwar die Flucht aus dieser Situation, aber er ist nicht mal ansatzweise dafür geeignet, sich in körperliche Auseinandersetzungen gleich welcher Art zu stürzen. Trotzdem begibt er sich irgendwann auf den Weg, um herauszufinden, warum seine Frau gestorben und warum er entführt worden ist. Offensichtlich ist er mit jemandem verwechselt worden. Letztendlich ist er in einen tiefen Abgrund der Terrorbekämpfung gefallen, doch wie er dann nach und nach herausfindet, steckt noch sehr viel mehr dahinter als das.
Haben Sie schon eine Idee für die Besetzung? Oder möchten Sie das noch nicht verraten?
Ich glaube, ich würde es gerne mit diesem feinen jungen Gentleman machen. (Zieht eine Postkarte mit einem Schwarzweißporträt von Moritz Bleibtreu hervor.)
Könnten Sie vielleicht noch kurz erklären, was Sie mit "körperlich" meinten bei dem neuen Film? Körperlich im Sinne von gewalttätig?
Das werden Sie dann sehen!
Wir freuen uns darauf! Herr Schipper, danke für dieses Gespräch.
Quelle: 59. Internationale Filmfestspiele Berlin (Katalog)
Marie Bäumer und Milan Peschel in "Mitte Ende August"
Quelle: DIF, Foto: Horst Martin
Sebastian Schipper
Quelle: X Verleih, DIF
Daniel Brühl und Jürgen Vogel in "Ein Freund von mir"
Quelle: DIF, Foto: Horst Martin
Sebastian Schipper