Inhalt
Rike, 40, ist eine erfolgreiche Ärztin, deren Dienst ihr alles abverlangt. In ihrem dringend benötigten Jahresurlaub will sie sich einen lang gehegten Traum erfüllen und allein auf einem Segelschiff von Gibraltar nach Ascension, eine kleine tropische Insel mitten im Atlantischen Ozean, reisen. Ihr Wunsch nach unbeschwerten Ferien scheint sich zu erfüllen, doch nach einem Sturm schlägt das schöne Abenteuer in eine nicht gekannte Herausforderung um: In der Nähe ihres Schiffes entdeckt sie ein schwer beschädigtes, hoffnungslos überladenes Flüchtlingsboot. Mehr als hundert Menschen sind vom Ertrinken bedroht. Rike versucht, Hilfe zu organisieren. Doch sie spürt immer mehr, dass Humanität zur reinen Utopie verkommen ist.
Wolfgang Fischers Film zeigt einen Überlebenskampf auf dem Wasser, in dem die grausame Fremdbestimmtheit in Not geratener Menschen spürbar wird. Das Meer wird zum existentiellen Schauplatz eines allegorischen Dramas.
Quelle: 68. Internationale Filmfestspiele Berlin (Katalog)
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Die erste Zeit auf dem Atlantik ist die reinste Erholung – einschließlich Baden im offenen Meer. Als Rike in der Nacht mit Helmlampe die Takelage inspiziert, bemerkt sie einen Vogel an der Reling: Zeichen für die Nähe zur afrikanischen Küste. Am anderen Morgen meldet sich der Frachter Pulpca über Bordfunk: in Höhe des Senegals braut sich ein Unwetter zusammen. Als dieser mit Müh‘ und Not überstanden ist, sieht die Deutsche unweit Kap Verde durchs Fernglas einen von Flüchtlingen offenbar hoffnungslos überfüllten in Seenot geratenen Fischtrawler und meldet ihre Entdeckung der Küstenwache. Die fordert Rita auf, nichts selbst zu unternehmen.
Da keine Hilfe eintrifft, steuert Rita ihre Jacht näher an den Trawler heran, um Lebensmittel aus dem eigenen Vorrat ins Wasser werfen, die von den Flüchtlingen aus dem Meer gefischt werden können. Dabei schafft es ein vielleicht 14-jähriger Junge im Ronaldo-Fußballshirt, mit letzter Kraft die Asa Gray zu erreichen. In ihrem Logbuch nennt Rita ihn Kingsley (Filmdebüt für Gedion Oduor Wekesa, Schüler aus Kibera, einem Slum in Nairobi), da dieser zunächst gar nicht spricht und später, nachdem sich seine Konstitution durch Vitaminpräparate verbessert hat, nur einige Brocken Kisuaheli von sich gibt.
Weil weder die Küstenwache noch der Frachter Pulpca oder andere Handelsschiffe in der Nähe bereit sind, die Flüchtlinge aufzunehmen, macht Kingsley der Medizinerin durchaus auch nonverbal deutlich, dass er von ihr ein rettendes Eingreifen verlangt. Was einem Selbstmord gleich käme: die kleine Jacht würde angesichts panischer Menschenmassen selbst in Seenot geraten. Rita weiß durchaus abzuwägen zwischen der mit dem hippokratischen Eid verbundenen Pflicht zur Hilfeleistung und der obersten Notärzte-Regel, zunächst das eigene Leben zu schützen. Als selbst ihr letztes Mittel, Rita sendet SOS-Signale von der Asa Gray aus und schaltet danach Funk und Radar ab, nichts fruchten, legt sie in der Nacht am Trawler an – und begibt sich wie in Dantes „Inferno“ hinab ins Totenreich des Flüchtlingsschiffes. Am Ende muss Rita Formulare ausfüllen, weil gegen sie behördlich ermittelt wird…
Das bildgewaltige Porträt einer starken Frau, die auf einem Segeltörn unvermittelt aus ihrer als Notärztin gar nicht so heilen Welt gerissen wird, hat Auszeichnungen gleich dutzendweise abgeräumt. Regisseur Wolfgang Fischer, 1970 im österreichischen Amstetten geboren, über sein nach dem Totenfluss der griechischen Mythologie betiteltes Spielfilmdebüt, als Free-TV-Premiere am 27. Januar 2021 auf Arte ausgestrahlt: „Täglich sterben Frieden suchende Menschen an den europäischen Außengrenzen bei dem Versuch, sich über den Seeweg auf unseren Kontinent zu retten. Die Konfrontation eines Sportbootes mit einem überladenen, havarierten Flüchtlingsschiff mitten im Ozean ist unter Seglern ein viel diskutiertes Horrorszenario, das immer häufiger Wirklichkeit wird. Was passiert, wenn eine Einhandseglerin in diese Situation gerät? 'Styx' geht dieser Frage fiktional nach und zeigt, angelehnt an reale Vorfälle, wie dabei wirtschaftliche Interessen mit humanitären Grundsätzen konkurrieren, Überforderung Mitgefühl verdrängt und Desinteresse jede Hoffnung zerstören kann. Der Film behandelt den individuellen Traum vom Paradies und umkreist die zentrale Frage nach der Bestimmung der eigenen Identität: Wer wollen wir sein, wer sind wir oder wer müssen wir sein?“
Pitt Herrmann