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An einer Klinik in der DDR entwickelt der politisch inaktive Oberarzt Dr. Schmidt ein Forschungsvorhaben, das die Überlebenschancen von Frühgeborenen erhöhen soll. Der Klinikchef lehnt das Projekt zunächst ab. Frustriert entschließt sich Schmidt zur Flucht in die Bundesrepublik und tritt mit einer Schleuserorganisation in Kontakt. Als sein Projekt doch genehmigt wird und er zudem mit seiner neuen Kollegin Katharina zusammenkommt, lässt er einen Fluchttermin verstreichen. Doch da er bereits einen Vertrag mit einer Klinik im Westen unterzeichnet hat, steht er in der Pflicht und unternimmt einen zweiten Versuch. Katharina will er mitnehmen, doch sie läuft aus Angst davon. Er selbst wird von den Schleusern aus dem Wagen gestoßen und verunglückt tödlich.
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„Niemand spuckt mir mehr in die Suppe, ich will nicht mehr nur funktionieren, sondern selbst machen“: Nicht „Nach Moskau“ lautet die Devise, sondern in den Westen soll es gehen. Weil Dr. Schmith die Nase voll hat von bürokratischen „Spiegelfechtereien“ mit „demokratischer Bemäntelung“, weil er endlich sein eigener Herr sein will. Und weil er nicht zuletzt im Kapitalismus bessere Chancen für sein Forschungsprojekt zur Senkung der Frühgeburtensterblichkeit sieht, nachdem Professor Meißner, sein Klinikchef, es abgelehnt hat, die für DDR-Verhältnisse schon horrende Summe von 60.000 Westmark für ein neues Gerät zu investieren.
Der Fluchthelfer hat Schmith bereits eine vergleichbare neue Stellung in einer bedeutenden westdeutschen Klinik verschafft und lässt sich seine Dienste mit einer Schuldverschreibung in Höhe des ersten zu erwartenden West-Jahresgehalts entlohnen. Die beiden besprechen letzte Einzelheiten der in einem versiegelten Transit-LKW geplanten Flucht, verabreden geheime Zeichen zum erst sehr kurzfristig festzulegenden Zeitpunkt.
Zurück in der Klinik ordnet Schmith seine Papiere. Was weder Gudrun, seiner engsten Mitarbeiterin, mit der er einst ein Verhältnis hatte, noch seinem Vater verborgen bleibt. Letzterer, ein Schreiner und überzeugter Sozialist, ist strikt gegen Republikflucht. Und in der Klinik gibt es alle Hände voll zu tun, so bricht Frau Seebohm auf der Tanzfläche zusammen. Sturzgeburt: Dr. Schmith wird dringend gebraucht, eine Flucht wäre Verrat nicht nur an den bis an die Leistungsgrenze geforderten Kollegen, sondern vor allem an seinen Patienten.
„Wenn sie wenigstens schielen würde“: Katharina, die neue, blutjunge und äußerst attraktive Kollegin im Team von Dr. Schmith, versetzt die männlichen Kollegen in hellste Aufregung, darunter auch den absoluten Hahn im Korb Zeiske, welcher die Damenwelt nach seinen offenbar recht häufigen Westreisen stets mit Mitbringseln zu erfreuen weiß. Doch Katharina scheint ausgerechnet ein Auge auf Schmith geworfen zu haben...
Dem nun auch von anderer Seite zugesetzt wird, sodass er sein Fluchtvorhaben immer stärker in Zweifel zieht. Zunächst wird der Gynäkologe Dr. Wendt beim Versuch, mit gefälschten Pässen die ungarisch-österreichische Grenze zu passieren, festgenommen. Und ein Stasi-Mitarbeiter (Carl Heinz Choynski) ermittelt in der Klinik – auch nach Kontakten zu einer Fluchthilfe-Organisation. Kurze Zeit später reist das ganze Institut nach Prag, wo auch von befreundet-neutraler Stelle die Notwendigkeit, etwas gegen den Tod von 3.000 „Frühchen“ jährlich zu unternehmen, unterstrichen wird.
Plötzlich wachsen Schmith, auf dessen Seite bisher nur die „alte“ Antifaschistin Hilde Mittenzwei stand, neue Helfer für seine Sache zu: Zeiske, Katharina Kraus, sogar Professor Meißner. Aber dazu muss erst das Seebohm-Frühchen sterben. „Gestern noch Hobbyforscher, heute von internationaler Bedeutung“: Schmith darf sogar zu einem internationalen Kongress nach Köln reisen, könnte also gleich im Westen bleiben. Und entscheidet sich doch, auch nach einer ersten Besichtigung seiner potentiellen neuen Arbeitsstätte, für die Rückkehr in die DDR.
Was die Fluchthelfer, die um ihr Honorar bangen, nicht auf sich beruhen lassen. Schmith fühlt sich wie Buridans Esel, der zwischen zwei großen Heuhaufen verhungerte, weil er sich nicht für einen der beiden entscheiden konnte: Sich der Volkspolizei anzuvertrauen, wozu ihm Gudrun rät („Man muss wollen“), wagt er nicht. So hält er den „Runden“ weiter hin...
„Die Flucht“ bricht mit einem Tabu, wobei die Absetzbewegung in den Westen ja keineswegs auf die Eliten beschränkt war. Das ist mutig, einerseits. Figuren wie dem gescheiterten Republikflüchtling Dr. Wendt werden zwar rein materielle Beweggründe unterstellt, Ärzte verdienen das Fünf- bis Zehnfache des DDR-Gehalts im Westen. Das Geld aber interessiert den Protagonisten Schmith überhaupt nicht, er will allein seine ehrgeizigen Forschungen verwirklichen – und das durchaus in Übereinstimmung zu seinem Eid als Mediziner. Andererseits aber ist der Ausgang des Films nur mutlos zu nennen, ohne das konkrete Ende hier vorwegnehmen zu wollen. Weil Schmith letztlich doch private Motive unterstellt werden in seiner Entscheidungsunfähigkeit.
Der 1978 gewonnene Hauptpreis der Internationalen Filmfestspiele Karlovy Vary erstaunt: An einen Sieg des ethisch-moralisch überlegenen Sozialismus über den zwar ökonomisch erfolgreichen, letztlich aber nur inhuman-kriminellen westlichen Kapitalismus kann weder ein Karlsbader Juror ernsthaft geglaubt haben Ende der Siebziger Jahre noch ein DDR-Kritiker. Letztere kürten Roland Gräfs „Die Flucht“ in einer entsprechenden Umfrage des Verbandes der Film- und Fernsehschaffenden zum „Besten Gegenwartsfilm der Defa 1977“.
Pitt Herrmann