Was heißt "deutsches" Kino?

Filme überschreiten nationale Grenzen, seit es das Kino gibt. Filmische Produktionen, aus welchen Ländern auch immer, wurden schon früh in aller Welt gedreht und auch überall gezeigt. Die deutsche Filmgeschichte bildet hier keine Ausnahme und war schon immer bevölkert von Ausländern und Ausländerinnen. Wäre die deutsche Stummfilmzeit denkbar ohne die Dänin Asta Nielsen und ihren Mann und Regisseur Urban Gad, ohne die Amerikanerinnen Fern Andra und Louise Brooks? Der italienische Komponist Giuseppe Becce war verantwortlich für die Musik zahlreicher deutscher Filme, und die deutsche Tonfilm-Operette wäre ärmer ohne den italienischen Regisseur Carmine Gallone ("Dir gehört mein Herz") oder den polnischen Tenor Jan Kiepura ("Die singende Stadt").

 
Quelle: Murnau-Stiftung, DIF
Lilian Harvey in "Glückskinder" (1936)
 

Singend und tanzend über die arisierten Leinwände der NS-Zeit bewegten sich die Schwedin Zarah Leander ("La Habanera") und die Ungarin Marika Rökk ("Die Frau meiner Träume"). Gute Laune versprühte damals die Engländerin Lilian Harvey ("Glückskinder") – und die Tschechin Lida Baarová war nicht nur "Die Geliebte". Obwohl der deutsche Film schon immer voller Ausländer und Ausländerinnen war, änderte sich die Situation grundlegend in der Nachkriegszeit. Die Intensivierung der globalen Arbeitsmigration seit den 60er Jahren brachte große Gruppen Einwanderer ins Land, was zunächst einmal zur Vorstellung von nebeneinander existierenden, aber klar voneinander abgegrenzten Kulturkreisen führte. Allmählich aber führen die in "fremden" Ländern geborenen Kinder von Grenzüberschreitern, die weltweite Verbreitung der Massenmedien und die Globalisierung zu einer Verschiebung und Auflösung von Grenzen – und zu einem transnationalen Kino, das noch genauer zu verorten ist.