Rainer Simon
Rainer Simon wurde am 11. Januar 1941 in Hainichen (Sachsen) geboren und wuchs nach der Trennung der Eltern bei seiner Mutter auf. Nach dem Abitur wurde er 1959 zu einem zweijährigen Wehrdienst bei der Nationalen Volksarmee der DDR einberufen. Von 1961 bis 1965 absolvierte er ein Regie-Studium an der Deutschen Hochschule für Filmkunst in Potsdam-Babelsberg (heute: Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf). Nach seinem Diplom mit dem 21-minütigen "Peterle und die Weihnachtsgans Auguste" (DDR 1964) begann er beim DEFA-Studio für Spielfilme zu arbeiten, unter anderem als Regie-Assistent von Ralf Kirsten und Konrad Wolf.
Simons erstes eigenes Projekt, die Adaption des Romans "Die Moral der Banditen" von Horst Bastian, wurde 1965 noch in der Vorbereitungsphase abgebrochen. Für das DEFA-Studio für populärwissenschaftliche Filme realisierte er stattdessen den semidokumentarischen Ferienfilm "Freunde vom Werbellinsee" (DDR 1966), über das Ferienlager am gleichnamigen See. 1968 erhielt Simon schließlich einen Vertrag als Regisseur beim DEFA-Studio für Spielfilme. Bereits in seinem ersten langen Spielfilm, dem Märchenfilm "Wie heiratet man einen König" (DDR 1968), zeigten sich stilistische Eigenheiten Simons: die ungewöhnliche Inszenierung vertrauter Motive oder Literaturvorlagen sowie dramaturgische Verdichtungen in emotional wirkungsvollen Bildern. Der Film über eine kluge Bauerntochter, die einen willkürlich herrschenden König durch Witz und Klugheit zum Besseren bekehrt, war ein Publikumserfolg und zählt heute zu den Klassikern der DEFA-Märchenadaptionen.
Mit "Gewöhnliche Leute", seinem Beitrag für den Episodenfilm "Aus unserer Zeit" (DDR 1969), wendete Simon sich einem Gegenwartsstoff zu, ebenso in "Männer ohne Bart" (DDR 1971), über einen Schüler zwischen den Pflichten der Realität und den Wünschen seiner regen Phantasie.
Die Märchen-Adaption "Sechse kommen durch die Welt" (DDR 1972) versuchte Simon durch eine starke Einbindung in ein umfassendes soziales Milieu auch für Erwachsene interessant zu machen; die Hauptrolle spielte der tschechische Regisseur Jiří Menzel, der einen wesentlichen Beitrag zum "Prager Frühling" leistete – womit Simon auch auf seine eigenen politischen Anschauungen hindeutete. Bei "Till Eulenspiegel" (DDR 1974) stellte Simon die oft zum Schelm reduzierte Titelfigur in eine historische Situation (die Bauernkriege) und setzte in der Geschichte ein humanistisches Weltbild in Bezug zu mittelalterlich-klerikalem Denken. "Zünd an, es kommt die Feuerwehr" (DDR 1978), über eine freiwillige Feuerwehr-Gruppe, die sich den Anlass für ihre Einsätze selbst zu schaffen versucht, war eine Satire auf deutsche Vereinsmeierei.
1980 drehte Simon "Jadup und Boel", nach einem Roman von Paul Kanut Schäfer, in dem die Nachkriegs-Träume eines Kleinstadt-Bürgermeisters mit dem Real-Sozialismus in der DDR kollidieren. Allerdings wurde der Film 1981 kurz vor der Premiere verboten und kam erst Jahre später zur Aufführung (siehe unten). In seinem folgenden Projekt "Das Luftschiff" (DDR 1982) übersetzte Simon die überbordende Fantasie des zugrunde liegenden Romans ins Filmische und zeichnete ein ironisch gebrochenes Panorama der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. "Die Frau und der Fremde" (DDR 1984) basierte auf der Novelle "Karl und Anna" von Leonhard Frank; Simon lieferte darin eine detaillierte, auf intensiver Vorrecherche beruhende Beschreibung des proletarischen Milieus während des Ersten Weltkriegs. Bei der Berlinale 1985 gewann der Film den Goldenen Bären; außerdem wurde er mit mehreren DDR-Preisen ausgezeichnet. Auf Grund von Copyright-Streitigkeiten durfte er jedoch nicht im Westen gezeigt werden.
Die aufwändig produzierte Familiensaga "Wengler & Söhne" (DDR 1987) erzählte die Geschichte des Deutschen Reiches zwischen 1871 und 1945 anhand dreier Generationen von Handwerkern und Arbeitern. 1988 kam es schließlich auch zur Uraufführung von "Jadup und Boel" (siehe oben); 1990 wurde das Werk beim Eberswalde Film Festival mit dem Jury-Preis ausgezeichnet. Heute gilt der Film als eine der bedeutendsten DEFA-Produktionen des letzten DDR-Jahrzehnts.
"Die Besteigung des Chimborazo" (DDR/DE 1989) schilderte die Expedition Alexander von Humboldts in die Anden, am Ende des 18. Jahrhunderts. Für die eindrucksvollen Bilder zeichnete Roland Dressel verantwortlich, der in den achtziger Jahren bei allen Filmen Simons als Kameramann fungierte.
"Der Fall Ö" (DDR/DE 1990/91), nach einer Erzählung von Franz Fühmann, verband Motive von Sophokles′ "König Ödipus" mit der Situation im von Deutschland besetzten Griechenland während des Zweiten Weltkriegs. "Fernes Land Pa-isch" (1994), Simons letzter Spielfilm, handelte von einem 16-Jährigen und seiner fünfjährigen Halbschwester, die zwischen Hamburg und Berlin vergeblich nach Liebe und Geborgenheit suchen.
Neben seiner Arbeit als Filmemacher war Rainer Simon auch als Professor an seiner Alma Mater in Potsdam-Babelsberg tätig (1993-1996). Außerdem veranstaltete er Workshops mit jungen Filmemachern in verschiedenen Ländern Südamerikas. Dort drehte er auch zwei Dokumentarfilme: "Die Farben von Tigua" (1994), über naive Stammeskunst der Quichua in den ecuadorianischen Anden, und "Mit Fischen und Vögeln reden" (1999), über die Záparo-Indianer im Amazonas-Regenwald.
Im Jahr 2000 inszenierte Rainer Simon am Hans Otto Theater in Potsdam das Stück "Soliman" von Ludwig Fels. 2005 erschienen seine Autobiografie "Fernes Land Pa-isch, die DDR, die DEFA und der Ruf des Chimborazo" und sein erster Roman "Regenbogenboa", über einen Deutschen, der die letzten Jahrzehnte seines Lebens im Amazonas-Gebiet verbringt. Anlässlich einer Fotoausstellung Simons erschien 2011 das Buch "Hinter die Bilder schauen - Texte und Fotos aus Amerika"; 2014 folgte der Roman "Fiktive Mails".
Rainer Simon lebt in Potsdam.