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Berlin 1788: In seinem Bestreben, die weite Welt zu erforschen, reist der 19-jährige Alexander von Humboldt in die Niederlande, nach England und nach Frankreich. Sein Traum ist es jedoch, den über 6000 Meter hohen, erloschenen Vulkan Chimborazo in den Anden zu besteigen. Deshalb bereitet er eine Expedition nach Lateinamerika vor. Es dauert 11 Jahre, bis er und sein Partner, der französische Botaniker und Arzt Bonpland, in die Neue Welt aufbrechen. 1802 erreichen sie Ecuador und besteigen den Chimborazo, den bisher noch kein Mensch bezwungen hat.
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Bei einem Empfang der Berliner Gesellschaft haben Marcus (Florian Martens) und Henriette Herz (Leinwanddebüt der Filmstudentin Claudia Michelsen) einen französischen Ballonfahrer eingeladen, der von seinen Abenteuern berichtet und dabei einen Miniatur-Ballon steigen lässt. Von solchen Höhenflügen kann Alexander nur träumen. Seine Eltern haben beschlossen, ihn nicht zusammen mit seinem Bruder Wilhelm zum Studium nach Göttingen ziehen zu lassen, er muss noch wenigstens ein Jahr in Berlin bleiben in der Obhut des Hofmeisters Kunth. Danach soll er in Hamburg Finanzen studieren und die Bergakademie Freiberg absolvieren, um eine Beamtenlaufbahn einzuschlagen.
Alexander erweist sich als braver Sohn, absolviert die verlangten Studien und wird 25-jährig zum fränkischen Oberbergmeister, später zum Oberbergrat ernannt. Er gründet mit eigenen Mitteln eine Freie Bergschule zur Wissensvermittlung für Kinder aus armen Familien, ist aber nicht der Ansicht seiner Freunde Carl Ludwig von Willdenow und Reinhard von Haeften, sein Glück in der Heimat mit der Gründung einer Familie zu suchen. Alexander, befeuert nicht zuletzt von den Erzählungen Georg Forsters von Tahiti und anderen exotischen Schauplätzen, aber auch von der Französischen Revolution, blickt unzufrieden in seinen Spiegel, an dem er ein Porträt Leonardo da Vincis befestigt hat: „Da bin ich, Alexander von Humboldt.“
„Nur übermäßiger Selbstanspruch kann uns retten“ vertraut er seinem Bruder Wilhelm am Sterbebett ihrer Mutter an. Und lässt sich auch von Minister von Hardenberg (Jürgen Watzke) und Freiherr von Heinitz (Christoph Engel) nicht an die Berliner Akademie locken: Alexander verabschiedet sich vom öffentlichen Amt und reist nach Spanien, um das Königspaar um die Erlaubnis zur Besteigung des Chimborazo, der im spanischen Hoheitsgebiet liegt, zu bitten.
Inzwischen schreiben wir das Jahr 1802. Der nun 32-jährige Humboldt, sein Freund Bonpland, den er in Paris kennenlernte, als er dort seinen Bruder Wilhelm besuchte, und der einheimische Aristokrat und Freiheitskämpfer Carlos Montúfar werden mit kirchlichem Segen und einem großen Empfang auf der nahe Quito gelegenen Hazienda des Marqués De Selva Alegre verabschiedet. Alexander, der akribisch die Sprache der Indigenen lernt und zahlreiche Begriffe aufschreibt, und seine Mitstreiter sind trotz großer Strapazen und einiger Gefahren etwa bei der Überquerung eines reißenden Flusses unermüdlich mit botanischen Sammlungen und wissenschaftlichen Experimenten beschäftigt. So ermitteln sie den genauen Siedepunkt des Wassers in großer Höhe. Die Expedition übernachtet in Indiodörfern und Alexander, dem bereits ein gewisser Ruf vorauseilt, seit er unterwegs Geburtshilfe und medizinische Hilfe geleistet hat, interessiert sich stark für die Kultur der Einheimischen.
Die immer kleiner werdende, zuletzt mit dem Indigenen Pacho auf ein Quartett geschrumpfte Gruppe kämpft bis zur Erschöpfung gegen Kälte, Schnee und Eis – und mit Orientierungsproblemen in der dünnen, durch starke Sonneneinstrahlung vor allem auch für die Augen gefährlichen Höhenluft. Den Gipfel des Vulkans erreichen sie zwar nicht, müssen mit schweren Verletzungen in einer Höhe von 5540 Metern aufgeben, sind aber in Regionen vorgestoßen, die vor ihnen noch kein Mensch betreten hat…
„Ich versuche immer, hinter die Identität meiner Figuren und damit hinter das eigene Leben zu kommen“ hat Rainer Simon 1989 in Potsdam beim Werkstattgespräch der Defa-Betriebsakademie („Rebellen, Träumer und gewöhnliche Leute“) bekundet. In „Die Besteigung des Chimborazo“ stellt er Alexander von Humboldt als jungen Rebellen gegen das preußische Establishment vor, was man durchaus als Statement in eigener Sache verstehen kann: Fernweh und Abenteuerlust in historischem Gewand. Und mit enthnographischem Anspruch: der gut einhundertminütige, mit zahlreichen Laien besetzte Film ist originalsprachlich, spanische oder indigene, von den Einwohnern der Gemeinden La Moya-Calpi und Totorillas-Chorreva gesprochene Passagen sind nicht untertitelt.
Rainer Simon über seinen Dokufiction-Vorläufer in der DDR-Kulturzeitung „Sonntag“ (37/1989): „In einer Zeit, wo zu viel auf Anpassung hinausläuft, scheint es mir wichtig, junge Leute mit dieser Figur zu sagen: Laßt euch nicht eure Träume nehmen, versucht sie zu verwirklichen.“ Der 1988 mit großem Aufwand in der DDR, in Frankreich, Spanien und Ecuador gedrehten deutsch-deutschen Koproduktion mit Asocine Ecuador unter Federführung der Defa war leider kein Kassenerfolg beschert, denn der Uraufführung folgte wenige Wochen später der Mauerfall. Als der Film auf der 40. Berlinale gezeigt und später im ZDF erstausgestrahlt wurde, war die DDR bereits Vergangenheit. Die neue Freiheit nutzte Rainer Simon in den Jahren darauf zu zahlreichen südamerikanischen Dokumentarfilmen.
Pitt Herrmann