Claus Biederstaedt
Claus Biederstaedt wurde am 28. Juni 1928 in Stargard, Pommern, geboren. Sein Vater, ein Musiklehrer, Dirigent und Organist, brachte ihm früh das Klavier- und Orgelspiel bei; außerdem sang der Junge im väterlichen Chor mit. Auch die musisch veranlagte Mutter übernahm wiederholt Solopartien bei verschiedenen Chorauftritten. Nach dem Wunsch des Vaters sollte Claus später Opernkapellmeister werden.
Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs wurde Biederstaedt im Alter von 16 Jahren mit den Jungen seiner Gymnasialklasse als Flakhelfer an die Ostfront einberufen. Dort war auch sein Vater, ein Reserveoffizier, stationiert. Alle seine Mitschüler kamen ums Leben; Biederstaedt konnte mit einem verletzten Kameraden Richtung Westen fliehen. Seine Mutter, ebenfalls auf der Flucht nach Westen unterwegs, hielt ihren einzigen Sohn für tot – und nahm sich aus Verzweiflung das Leben.
Nach Kriegsende zog Claus Biederstadt mit seinem Vater nach Hamburg. Er holte sein Abitur nach und sang nebenher im väterlichen Chor. Doch anstatt der ursprünglich geplanten Musikkarriere begann er ein Medizinstudium – welches er allerdings nach vier Semestern abbrach.
Durch einen Chorauftritt lernte Biederstaedt 1949 den Schauspieler Will Quadflieg kennen. Dieser holte den jungen Mann an die Schauspielschule des Deutschen Schauspielhauses Hamburg, wo neben Quadflieg auch Joseph Offenbach und Josef Dahmen zu seinen Lehrern gehörten.
Am Deutschen Schauspielhaus Hamburg spielte er nach dem Abschluss 1950 auch seine ersten größeren Bühnenrollen, etwa in "Der Gläserne Storch" an der Seite von Ruth Leuwerik und in "Die Ballade vom Eulenspiegel". Noch im gleichen Jahr ging Biederstaedt ans Wiesbadener Staatstheater, gefolgt von Engagements in ganz Deutschland.
Seine Filmdebüt gab der ehemalige Medizinstudent 1951 mit einer tragenden Rolle als Mediziner in dem Arztmelodram "Die große Versuchung" an der Seite von Ruth Leuwerik und Dieter Borsche – und gewann prompt den Deutschen Filmpreis als Bester Nachwuchsschauspieler. In den folgenden Jahren avancierte Biederstaedt zu einem der gefragtesten Schauspieler des deutschen Kinos, in Haupt- wie auch in größeren Nebenrollen. Dabei wurde er zwar meist auf den Typ des smarten "Sonnyboy" festgelegt, doch gelang es ihm stets, seinen Figuren eine gewisse Tiefe zu geben. So etwa als mittelloser Frauenschwarm in "Keine Angst vor Schwiegermüttern" (1954), als lebenslustiger Jurastudent in dem märchenhaften Drama "Der Himmel ist nie ausverkauft" (1955) oder als berühmter Trompeter in dem Heimatfilm "Die Christel von der Post" (1956). In dem Kleinstadt- und Zirkusfilm "Feuerwerk" (1954) stand er mit der damals 16-jährigen Romy Schneider vor der Kamera, der er nach eigener Aussage ihren ersten Filmkuss gab.
Für seine Rolle in Gottfried Reinhardts Familiendrama "Vor Sonnenuntergang" (1956), als uneigennütziger Enkel eines von Erbschleichern umgebenen Industriellen (Hans Albers), wurde Biederstaedt erneut für den Deutschen Filmpreis nominiert. Weitere wichtige Rollen hatte er als einer der "Drei Männer im Schnee" (1955), als jüngerer Bruder von Heinz Rühmann in "Charleys Tante" (1956), als leichtlebiger Reederssohn in "Scala - total verrückt" (1958) und als frisch geschiedener Schürzenjäger in "Am Sonntag will mein Süßer mit mir segeln gehn" (1961). Zwischen 1952 und 1965 wirkte Biederstaedt in mehr als 50 Kinoproduktionen mit, zuweilen drehte er fünf Filme pro Jahr.
Ab 1965 wandte Biederstaedt sich fast ausschließlich dem Fernsehen zu. Wie er 2018 der Süddeutschen Zeitung erzählte, hatte es ihn gestört, dass in seinen letzten Kinofilmen fast mehr gesungen als gesprochen wurde: "Da waren pro Film sieben Sänger beschäftigt, Roy Black, Rex Gildo oder Vivi Bach, und ich hatte gar keinen Text mehr zu sprechen."
Im Fernsehen spielte er zwar ebenfalls in einer Vielzahl leichter Unterhaltungsfilme, war aber auch in der Shakespeare-Adaption "Komödie der Irrungen" (1964) als Antipholus von Syrakus zu sehen und gehörte zum Ensemble von Jürgen Goslars "Mexikanische Revolution" (1968).
Als Kinoschauspieler trat er dagegen kaum noch in Erscheinung. Seine letzten Filme (nach einer fast zehnjährigen Pause) waren 1974 "Schwarzwaldfahrt aus Liebeskummer" und "Auch ich war nur ein mittelmäßiger Schüler", nun allerdings in väterlichen Parts.
Im Fernsehen sah man ihn unter anderem in der Hauptrolle der Serien "Ein Chirurg erinnert sich" (1972) und "Die unsterblichen Methoden des Franz Josef Wanninger" (1979-1982). Außerdem spielte er in zahlreichen Fernsehspielen mit und übernahm häufig Seriengastrollen. Zu seinem Abschied vom Fernsehen 1993 umfasste seine TV-Filmografie rund 70 Titel, die einzelnen Folgen bei Serien nicht mitgezählt (dann käme man auf etwa 170). Als Sprecher intonierte er unter anderem das berühmte Intro der Serie "Raumpatrouille Orion" (1966) und war der Off-Erzähler bei der TV-Adaption von Simmels "Es muß nicht immer Kaviar" sein (1977).
Ohnehin hatte Biederstaedt seit Ende der fünfziger Jahre eine besondere Karriere als Synchronsprecher. So lieh er wiederholt Marlon Brando, Rod Taylor, Peter O’Toole und Yves Montand seine Stimme – um nur ein paar wenige Namen zu nennen. Er war Peter Falks deutsche Stimme in "Columbo" (ab 1969) und ab "Detektiv Rockford – Anruf genügt" (1974) James Garners deutsche Standard-Synchronstimme. Garners Rolle in der Serie "Meine wilden Töchter" (2002-2005) war Biederstaedts letzte Synchronarbeit.
Hinzu kamen immer wieder auch erfolgreiche Bühnenrollen. Gelegentlich versuchte er sich auch als Theaterregisseur. So inszenierte er 1985 Zuckmayers "Des Teufels General" im Theater der Stadt Koblenz, 1988 (zu seinem 60. Geburtstag) den "Hauptmann von Köpenick" und 1993 (zu seinem 65. Geburtstag) Hauptmanns "Vor Sonnenuntergang" (jeweils auch Hauptrolle und Bearbeitung). Ein Evergreen seiner Bühnenkarriere war "Der Neurosenkavalier": Zusammen mit Karin Dor und Angélique Duvier stand er in dem Stück ab 1986 über 1000 Mal auf der Bühne, zuletzt 2008 in Essen.
Im selben Jahr musste Biederstaedt auf Grund einer Zungenkrebserkrankung sämtliche beruflichen Engagements aufgeben ("Das war im allerletzten Moment"). Durch zahlreiche Operationen konnte er die Krankheit zwar überwinden, verlor aber den größten Teil seiner Zunge. Mit diesem Schicksalsschlag haderte er jedoch nicht: "Ich bin dankbar, dass ich die goldenen Zeiten miterleben durfte", sagte er der SZ, "als es noch große Theater und Kinos gab und die Rahmenbedingungen für Schauspieler so gut waren."
Am 18. Juni 2020, wenige Tage vor seinem 92. Geburtstag, starb Claus Biederstaedt in Eichenau, Oberbayern.