Joachim von Vietinghoff
Joachim von Vietinghoff wurde am 8. Mai 1941 in Berlin geboren. Er stammt aus der baltischen Linie des westfälischen Adelsgeschlechts der Vietinghoffs. Von 1959 bis 1960 absolvierte er am Münchner Institut für Bildjournalismus eine Ausbildung zum Pressefotografen. Anschließend war er von 1961 bis 1966 als Bildjournalist für die Internationalen Presseagentur Keystone tätig (während dieser Zeitspanne leistete er 1964/65 seinen Wehrdienst ab).
Nach einer Aus- und Weiterbildung zum Produktionsleiter (1966) stieg Joachim von Vietinghoff ins Filmgeschäft ein. In München sammelte er praktische Erfahrungen als Aufnahme-, Produktions- und Herstellungsleiter bei Produktionen vor allem namhafter Regisseure des Neuen deutschen Films. So etwa bei Peter Fleischmanns "Jagdszenen aus Niederbayern" (1969, als Requisiteur), Roland Klicks "Supermarkt" (1974), Vojtěch Jasnýs "Ansichten eines Clowns" (1975), Peter Lilienthals "Es herrscht Ruhe im Land" (1975), Bernhard Sinkels "Lina Braake oder Die Interessen der Bank können nicht die Interessen sein, die Lina Braake hat" (1975), sowie Sinkels und Alf Brustellins "Berlinger" (1975) und "Der Mädchenkrieg" (1977).
Nach diesen lehrreichen Jahren, und nachdem er bereits 1969/70 bei Roland Galls "Wie ich ein Neger wurde" (1970, nach Ödön von Horváths "Jugend ohne Gott") erstmals als Produzent fungiert hatte, begann Joachim von Vietinghoff Mitte der 1970er Jahre, als Produzent zu arbeiten. Der erste Film der Von Vietinghoff Filmproduktion GmbH (damals noch Von Vietinghoff & Nikos Perakis Filmproduktion) war Nikos Perakis' "Bomber und Paganini" (1976) – die tragikomische Gaunergeschichte mit Mario Adorf und Tilo Prückner in den Hauptrollen avancierte zu einem Klassiker des deutschen Kinos der Siebzigerjahre.
Ein großer Erfolg war "David" (1979) von Peter Lilienthal, die Geschichte eines Rabbiner-Sohnes, der nach der Deportation seiner Eltern versucht, Nazi-Deutschland zu verlassen. Der Film wurde auf der Berlinale mit dem Goldenen Bär und beim Deutschen Filmpreis mit dem Filmband in Silber ausgezeichnet. In den nächsten Jahren produzierte Vietinghoff noch Lilienthals dokumentarisches Sandinisten-Drama "Der Aufstand" (1980, Filmband in Silber), die in New York spielende Milieustudie "Dear Mr. Wonderful" (1982) mit Joe Pesci als abgehalftertem Hollywoodstar, und das Gesellschaftsdrama "Das Autogramm" (1984) über die Unterdrückungspolitik und den Widerstand in Lateinamerika; auch dieser Film wurde mit dem Filmband in Silber ausgezeichnet. Parallel dazu entstanden Filme wie Luc Bondys Familiendrama "Die Ortliebschen Frauen" (1980), das parallel zu "Der Aufstand" ein Filmband in Silber gewann, und Thomas Braschs "Engel aus Eisen" (1981), der in den Wettbewerb von Cannes eingeladen wurde.
Weitere bedeutende Produktionen und Koproduktionen folgten. Zum Beispiel Helma Sanders-Brahms' Liebesgeschichte "Laputa" (1986, Jury-Preis bei Film Festival Montreal), Jeanine Meerapfels "Die Verliebten" (1987) und Thomas Braschs "Der Passagier - Welcome to Germany" (DE/CH/GB 1988) mit Tony Curtis als jüdischem Regisseur, der einen Dokumentarfilm über seine KZ-Erfahrungen und seine erzwungene Mitwirkung in einem Nazi-Propagandafilm dreht. Viel Beachtung fand insbesondere Béla Tarrs poetisches Drama "Satanstango" (HU/DE/CH 1994), das als Meilenstein in der Geschichte des Berlinale-Forums gilt. Auch Tarrs "Die Werckmeisterschen Harmonien" (HU/DE/FR 2000) lief im Forum der Berlinale.
Daneben produzierte Vietinghoff unter anderem Dominik Grafs bitterböse, mit dem Grimme-Preis ausgezeichnete Arzt-Satire "Doktor Knock" (DE/AT 1997), sowie Lars Kraumes Langfilmdebüt "Dunckel" (1998) und dessen Mediensatire "Viktor Vogel - Commercial Man" (2001). Béla Tarrs Simenon-Verfilmung "Der Mann aus London" (FR/HU/DE 2007) feierte im Wettbewerb von Cannes Premiere.
Von 1983 bis 2001 war Joachim von Vietinghoff Mitglied des beratenden Auswahlgremiums für den Wettbewerb der Berlinale. Ab 1995 lehrte er als Dozent an verschiedenen Hochschulen und Instituten, darunter die Deutsche Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb) und die Hochschule Magdeburg-Stendal. Im Jahr 2001 widmete ihm die Deutsche Kinemathek Berlin die Ausstellung "Bilder, Stories, Filme: der Produzent Joachim von Vietinghoff", die von einer umfangreichen Retrospektive seiner Filme begleitet wurde. Im gleichen Jahre wurde er mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse geehrt. 2010 wurde er für vier Jahre in den Vorstand der Deutschen Filmakademie berufen.
Als Produzent trat Vietinghoff ab den 2010er Jahren seltener in Erscheinung. Die Tatort-Folge "Mauerpark" (2011, Regie: Heiko Schier), Oliver Ziegenbalgs "Russendisko" (2012) und Annekatrin Hendels Dokumentarfilm "Familie Brasch" (2018) gehören zu seinen prominentesten Produktionen dieser Ära.
2012 gründete er mit Hans W. Geißendörfer und dem Medienunternehmer Andreas Vogel die Schätze des Deutschen Films GmbH, die auf dem Video-on-Demand-Portal alleskino.de deutsche Spiel- und Dokumentarfilme anbietet. 2014 rief er das Veranstaltungsformat 'Kino trifft Kunst X Kunst trifft Kino' ins Leben, das unter anderem in der Grafikstiftung Neo Rauch Aschersleben gastierte (2017). Auch sonst war Vietinghoff immer wieder als Kurator tätig, etwa 2019 bei der Filmreihe "Ihr Völker der Welt, schaut auf diese Stadt", bei der anlässlich des 30-jährigen Mauerfall-Jubiläums sechs Filme an fünf geschichtsträchtigen Orten gezeigt wurden.