Alfred Vohrer
Alfred Adolf Vohrer, geboren am 29. Dezember 1914 in Stuttgart, entdeckte bereits als Schüler sein Interesse für darstellende Künste. Nach dem Realschulabschluss nahm er Schauspiel- und Gesangsunterricht, stand mit kleinen Ensembles auf der Bühne und sang Operettenpartien. Ende der 1930er Jahre berief man ihn ins Ensemble des Württembergischen Staatstheaters in Stuttgart. Doch mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde seine Schauspielkarriere jäh unterbrochen: Vohrer wurde zum Wehrdienst eingezogen und an die Front in Russland abkommandiert. Dort verlor er 1941 seinen rechten Arm – seine Schauspielkarriere war damit endgültig beendet.
Unverzagt wechselte Vohrer ins Filmgeschäft: Er begann als Volontär bei der Ufa zu arbeiten und sammelte in den letzen Kriegsjahren als Assistent der Regisseure Harald Braun und Alfred Braun praktische Erfahrungen. Da nach Kriegsende in Deutschland zunächst kaum Filme produziert wurden, wechselte Vohrer erneut das Metier und arbeitete beim Rundfunk – mit schnellem Erfolg: Von 1946 bis 1948 war er Oberspielleiter bei Radio Stuttgart. Vor allem seine Produktion des Hörspiels "Der Hauptmann von Köpenick" nach Carl Zuckmayer fand große Beachtung. Mit seinen Hörspiel-Erfahrungen kehrte er 1949 ins Filmgeschäft zurück: Als Synchronregisseur arbeitete er zunächst für die MPEA, die Sammelfirma aller US-Verleiher in den drei West-Zonen, und für die Bavaria Film; 1953 wurde er Teilhaber der von Ernst G. Techow gegründeten Synchronfirma "Ultra-Film GmbH" mit Sitz in Berlin (West) und München; ab 1982 war er Co-Geschäftsführer der Nachfolge-Firma "Ultrasynchron Vohrer & Wolf GmbH". Allein in den 1950er Jahren zeichnete Vohrer für die Synchronisation von rund 1000 Filmen verantwortlich, darunter zahlreiche Klassiker wie "From Here to Eternity" ("Verdammt in alle Ewigkeit", USA 1954), "The Man with the Golden Arm" ("Der Mann mit dem goldenen Arm", USA 1956), und "Les Quatre Cents Coups" ("Sie küssten und sie schlugen ihn", F 1959).
Nachdem sein erstes eigenes Filmregie-Projekt, das Drama "Zum Leben verdammt", Mitte der 1950er Jahre nicht zu Stande kam, ließ Vohrer sich thematisch vom Erfolg amerikanischer und deutscher "Halbstarkenfilme" wie "The Blackboard Jungle" ("Die Saat der Gewalt", USA 1955), "Die Halbstarken" (1956) und "Endstation Liebe" (1957) inspirieren: Sein Filmregie-Debüt "Schmutziger Engel" (1958), produziert von der Ultra-Film, handelte von einer Schülerin, die ihren neuen Lehrer aus enttäuschter Liebe der sexuellen Belästigung beschuldigt. Auch Vohrers folgende Filme "Meine 99 Bräute" (1958), "Verbrechen nach Schulschluß" (1959) und "Mit 17 weint man nicht" (1960) gehören zum damals populären Genre des "Jugendproblemfilms".
Nachdem Vohrer für den Produzenten Artur Brauner das erfolgreiche Sozial- und Ehedrama "Bis daß das Geld euch scheidet" (1960) inszeniert hatte, engagierte der Erfolgsproduzent Horst Wendlandt ihn für ein gänzlich anderes Genre: Die Edgar-Wallace-Verfilmung "Die toten Augen von London" (1961). Der Kriminalthriller erhielt positive Kritiken, war ein großer Kassenhit und etablierte Vohrer endgültig als publikumswirksamen Erfolgsregisseur. Bis 1968 inszenierte er dreizehn weitere Edgar-Wallace-Krimis, darunter die Klassiker "Der Zinker" (1963), "Der Hexer" (1964), "Neues vom Hexer" (1965) und "Der Bucklige von Soho" (1966), den ersten Farbfilm der Reihe. Dank dieser Erfolge galt (und gilt) Vohrer gemeinsam mit dem Regisseur Jürgen Roland als der große Krimi-Spezialist jener Jahre. Neben den Wallace-Adaptionen inszenierte er die Kriminalfilme "Ein Alibi zerbricht" (1963), "Wartezimmer zum Jenseits" (1964) mit Götz George, "Sieben Tage Frist" (1969) und "Perrak" (1970).
Zugleich bewies Vohrer immer wieder ein Gespür auch für andere Genres: Mit "Unter Geiern" (BRD/F 1964), "Old Surehand" (1965) und "Winnetou und sein Freund Old Firehand" (BRD/YU 1966) drehte er drei erfolgreiche Western nach Karl May; für Artur Brauners CCC-Film übernahm er die Regie bei der Krimikomödie "Lange Beine – Lange Finger" (1966) und für Luggi Waldleitners Roxy-Film bei den Sexkomödien "Herzblatt oder wie sag' ich's meiner Tochter?" (1969) und "Das gelbe Haus am Pinnasberg" (1970). Vor allem Letztere waren jedoch bei Kritik und Publikum deutlich weniger erfolgreich als seine Krimis und Western.
Ebenfalls für die Roxy Film drehte er zwischen 1971 und 1974 eine Reihe von Filmen nach den Bestsellern von Johannes Mario Simmel, fast durchweg mit großem Publikumszuspruch: So etwa "Und Jimmy ging zum Regenbogen" (1971), "Liebe ist nur ein Wort" (1971), für den Malte Thorsten 1972 den Bundesfilmpreis als Bester Nachwuchsschauspieler erhielt, und "Alle Menschen werden Brüder", für den Klaus Schwarzkopf mit dem Bundesfilmpreis als Bester Nebendarsteller ausgezeichnet wurde.
Inhaltlich frei nach der Puschkin-Novelle "Der Schneesturm", aber stilistisch eher vom Tonfall der Simmel-Filme geprägt, drehte Vohrer die melodramatische Liebesgeschichte "Und der Regen verwischt jede Spur" (1972), über die tragische Liebe zwischen einer deutschen Industriellentochter und einem französischen Studenten. Bei dem Remake der Kästner-Adaption "Drei Männer im Schnee" (1974) setzte er, mit mäßigem Erfolg, weniger auf Charakterkomik, denn auf Klamauk. Auch mit dem Konsalik-Krimi "Wer stirbt schon gerne unter Palmen" (1974), dem Episodenfilm "Verbrechen nach Schulschluß" (1975; Drehbuch: Herbert Reinecker) und den Ganghofer-Remakes "Der Edelweißkönig" (1975) und "Das Schweigen im Walde" (1976) konnte Vohrer nicht an seine früheren Erfolge anknüpfen. Sein Krimi "Anita Drögemöller und die Ruhe an der Ruhr" (1976), bei dem er die Geschichte eines Callgirls mit Gesellschaftskritik zu verbinden versuchte, erhielt teils wohlwollende Kritiken.
"Ob ein Film erfolgreich ist oder nicht, entscheidet sich für meine Begriffe an der Kinokasse – egal ob er künstlerisch wertvoll ist oder ob er künstlerisch nicht wertvoll ist", hatte Vohrer 1965 in einem Interview gesagt. Zugleich äußerte er im Lauf der Jahre immer wieder den Wunsch, neben der reinen Unterhaltungsware einmal einen inhaltlich ambitionierteren Stoff zu verfilmen. Dieses Ziel konnte er sich mit einem seiner letzten Kinofilme erfüllen: Basierend auf dem Roman von Hans Fallada, der wiederum auf wahren Ereignissen beruht, erzählte "Jeder stirbt für sich allein" (1975) von einem Berliner Arbeiter-Ehepaar, das während des Zweiten Weltkriegs auf seine eigene Art Widerstand gegen die Nazis leistet – und dieses Engagement mit dem Leben bezahlt. Der Film mit Hildegard Knef und Carl Raddatz in den Hauptrollen gilt Kritikern und Filmhistoriken als eine seiner besten Arbeiten.
Noch bevor Vohrer 1976 aufhörte für das Kino zu arbeiten, hatte er sich bereits als Fernsehregisseur etabliert. Ab 1975 drehte er bis zu seinem Tod zahlreiche Folgen der Krimiserien "Derrick" und "Der Alte". Dabei kam oftmals seine Erfahrung als versierter Spannungsspezialist zum Tragen: Einige seiner Folgen gehören zu den besten der beiden Serien. Daneben inszenierte er TV-Specials für Gustl Bayrhammer ("Weiß-blaue Geschichten", 1983 und 1985), Manfred Krug ("Krumme Touren", 1983/84) und Günter Strack ("Hessische Geschichten", 1985) sowie mittellange Episodenfilme nach Drehbüchern von Herbert Reinecker: "Liebe bleibt nicht ohne Schmerzen" (1980), "Liebe hat ihre Zeit" (1981), "Väter" (1981/82), "Rendezvous der Damen" (1982) und "Der Lehrer und andere Geschichten" (1984). Seine größte Fernseherfolge waren jedoch seine Folgen für die überaus populären Serien "Das Traumschiff" (1982/83) und "Die Schwarzwaldklinik" (1984/85).
Kurz vor Drehbeginn zu einer neuen Folge von "Der Alte" starb Alfred Vohrer in der Nacht zum 3. Februar 1986 in seiner (Stamm-)Suite im Münchner Hotel Königshof an Herzversagen. Er wurde auf dem Waldfriedhof Dahlem in seiner Wahlheimat Berlin beigesetzt.
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