Jurek Becker

Drehbuch
Lódz, Polen Sieseby

Biografie

Jurek Becker wurde am 30. September 1937 (mutmaßliches Datum) in Łódź geboren. Er wuchs im jüdischen Ghetto seiner Heimatstadt auf, das 1939 von den Nazis eingerichtet worden war. Mit fünf Jahren wurde er zusammen mit seiner Mutter ins KZ Ravensbrück deportiert. Nach der Befreiung durch die Rote Armee wurden die beiden nach Sachsenhausen evakuiert, wo seine Mutter an Unterernährung starb. Nach Kriegsende führte ihn eine Suchorganisation wieder mit seinem Vater zusammen, der die Shoah getrennt von der Familie überlebt hatte, und die beiden gingen nach Berlin.

Vater und Sohn ließen sich im Ostteil der Stadt nieder, wo Jurek Becker Deutsch lernte und die Schule besuchte, die er 1955 mit dem Abitur abschloss. 1957 begann er ein Philosophiestudium an der Humboldt-Universität, die er 1960 wegen nonkonformen Verhaltens jedoch vorzeitig verlassen musste. Becker versuchte sein Glück zunächst als freier Schriftsteller, schrieb Texte für das Kabarett "Die Distel" und verlegte sich dann rasch auf das Schreiben für Film und Fernsehen. So verfasste er Drehbücher für DEFA-Kurzfilme ("Stacheltiere") und Fernsehkomödien, teils unter dem Pseudonym Georg Nikolaus. Das Drehbuch zu "Ohne Paß in fremden Betten" wurde 1964 seine erste Beteiligung an einer DEFA-Spielfilmproduktion.

Im Jahr darauf legte er der DEFA ein Drehbuch vor, das nicht angenommen wurde: In "Jakob der Lügner" beschrieb er, angelehnt an die persönliche Vergangenheit, das Leben in einem jüdischen Ghetto zur Zeit des Naziterrors. Die Titelfigur gibt vor, ein Radio zu besitzen und hält mit erfundenen Nachrichten zum Vormarsch der Roten Armee die Hoffnung der Ghettoinsassen am Leben. Nach der Ablehnung arbeitete Becker das Drehbuch zu seinem ersten Roman um, der unter demselben Namen 1969 erschien, mit dem Charles-Veillon-Preis und dem Heinrich-Mann-Preis ausgezeichnet und in zwölf Sprachen übersetzt wurde. Besonders hervorgehoben wurde von den zeitgenössischen Kritikern insbesondere Beckers Fähigkeit, das Komische im Ernsten darzustellen. 1974 wurde "Jakob der Lügner" als Koproduktion von DEFA und DDR-Fernsehen unter der Regie von Frank Beyer schließlich doch noch inszeniert. Wie zuvor der Roman wurde auch der Spielfilm äußerst positiv rezipiert, als erster DEFA-Film bei der Berlinale aufgeführt und sogar für einen Oscar nominiert.

Dass Jurek Beckers Stärken insbesondere darin liegen, den Spagat zwischen Anspruch und unterhaltsamer Erzählweise zu meistern, hatte sich zuvor bereits 1970 in "Meine Stunde Null" angedeutet. Der Film von Joachim Hasler, der gemeinsam mit Becker das Drehbuch verfasste, zeigt die auf wahren Tatsachen aus dem zweiten Weltkrieg beruhenden Erlebnisse eines antifaschistischen deutschen Soldaten als farbenfrohe Breitwandklamotte, im Mittelpunkt die einnehmende Präsenz Manfred Krugs. Die beiden Freunde Krug und Becker, die sich bereits seit den 1950er Jahren kannten, sollten in Zukunft noch häufiger kongenial zusammenarbeiten.

Zu Beginn der 1970er Jahre fokussierte sich Becker jedoch zunächst auf das Romanschreiben. Im 1973 erschienenen und durch seine Erlebnisse während der Studienzeit stark autobiographisch beeinflussten Titel "Irreführung der Behörden" setzte er sich mit den Absonderlichkeiten der Gremienentscheidungen des DDR-Films und –Fernsehens auseinander und wurde dafür mit dem Bremer Literaturpreis 1974 ausgezeichnet. Auf der anderen Seite wurde Becker in den Vorstand des Schriftstellerverbandes gewählt und 1975 mit dem Nationalpreis der DDR II. Klasse für Kunst und Literatur ausgezeichnet. 1976 folgte dann "Der Boxer", über die individuellen Nachwirkungen der KZ-Haft.

Beckers letzte Arbeit für die DEFA war erneut bei einem Frank-Beyer-Film: "Das Versteck", eine geistreiche Beziehungskomödie, zeigt Manfred Krug neben Jutta Hoffmann in einer Hauptrolle. Die Dreharbeiten erstreckten sich über die Jahre 1976 und 1977, trotzdem kam der Film erst 1978 in die ostdeutschen Kinos und startete mit nur wenigen Kopien, weil Krug die DDR nach Abschluss der Produktion in Richtung West-Berlin verlassen hatte. Auch Jurek Becker lag mit der DDR-Führung zu dieser Zeit über Kreuz. Nachdem er 1976 die Biermann-Petition unterzeichnet hatte, wurde er aus der SED ausgeschlossen, deren Mitglied er zu diesem Zeitpunkt fast zwanzig Jahre gewesen war. Als die Veröffentlichung des Romans "Schlaflose Tage" abgelehnt und Reiner Kunze aus dem Schriftstellerverband der DDR ausgeschlossen wurde, trat Becker 1977 aus dem Verband aus und kehrte Ostdeutschland den Rücken. Sein zunächst befristetes Ausreisevisum sollte schließlich bis zur Auflösung des Staates gültig sein.

Jurek Becker ging zunächst in die USA, wo er für längere Zeit als "writer in residence" am Oberlin College in Ohio wirken konnte. Im Anschluss war er als Dozent an der Gesamthochschule Essen tätig und fungierte als Stadtschreiber von Bergen-Enkheim (1982/83), bis er sich schließlich in Westberlin niederließ, seinem zukünftigen Lebens- und Schaffensmittelpunkt. Romane und Erzählungen wie "Nach der ersten Zukunft" (1980), "Aller Welt Freund" (1982) und "Bronsteins Kinder" (1986), die in dieser Zeit entstanden, wurden jedoch weiterhin nicht nur in der BRD, sondern auch in der DDR veröffentlicht. Becker war zudem als Drehbuchmitarbeiter gefragt, so bei Peter Lilienthals "David" (1979) und Thomas Braschs "Der Passagier – Welcome to Germany" (1988), die sich beide mit Schicksalen von Juden während der Nazizeit auseinandersetzen.

In eine ganz andere Richtung ging sein nächstes Projekt: Basierend auf einer Idee seines Freundes Manfred Krug und des Produzenten Otto Meißner schrieb Jurek Becker die Drehbücher der ersten drei Staffeln der Fernsehserie "Liebling Kreuzberg", die 1986 erstmals in der ARD ausgestrahlt wurde. Im Mittelpunkt stehen Alltagsfälle und Liebesleben des sympathisch-schnodderigen, mitunter leicht zynischen Kreuzberger Rechtsanwalt Robert Liebling. Der in der auf ihn maßgeschneiderten Rolle glänzend aufspielende Krug, der feinsinnige Dialogwitz und der enge Bezug der Serie zur realen Entwicklung der Stadt Berlin in den Wendejahren überzeugten sowohl Publikum als auch Kritik. 1987 erhielt der Autor zusammen mit Manfred Krug und Regisseur Heinz Schirk den Grimme-Preis mit Gold für die Episode "Der Beschützer", im Jahr darauf wurde die gesamte Serie mit dem Grimme-Preis mit Silber ausgezeichnet. Darüber hinaus wurde "Liebling Kreuzberg" der Telestar 1988 sowie der Bayerische Fernsehpreis 1990 verliehen.

1990 zeichneten Werner Masten, Regisseur der zweiten, dritten und vierten Staffel der Anwaltsserie, Manfred Krug und Jurek Becker dann gemeinsam für "Neuner" verantwortlich, diesmal keine Fernsehproduktion, sondern ein Kinospielfilm. Doch obwohl Beckers Drehbuch 1991 beim Deutschen Filmpreis mit einem Filmband in Gold ausgezeichnet wurde, blieb der Film über den titelgebenden Wende-Spekulanten Neuner an den Kinokassen hinter den Erwartungen zurück. Auch die Verfilmung von Beckers Roman "Bronsteins Kinder" (1991) unter Regie von Jerzy Kawalerowicz kam beim Publikum nicht an. Die Kritik lobte die schauspielerischen Leistungen, bemängelte aber die allzu belehrende Haltung des nach Beckers Drehbuch verfassten Films.

1992 wurde Becker mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet und veröffentlichte mit "Amanda herzlos" sein erstes literarisches Werk nach längerer Pause. Der Roman, der zugleich sein letzter wurde, beschreibt den tristen Alltag der späten DDR. Ost-West-Kontraste griff 1994 dann auch die kongeniale Becker-Krug-Masten-Satire "Wir sind auch nur ein Volk" auf: In der neunteiligen ARD-Miniserie nach Beckers Drehbuch spielt Krug einen gerissenen arbeitslosen Ostberliner, der zum vermeintlich authentischen Untersuchungsgegenstand des westdeutschen Schriftstellers Steinheim (Dietrich Mattausch) wird. Durch Mastens zuspitzende Regie wird deutlich, dass auch Realität erst inszeniert werden muss. Jurek Beckers letztes Drehbuch wurde 1995 wie einst sein größter Erfolg von Frank Beyer verfilmt, und wie "Jakob der Lügner" erzählt auch der Fernsehfilm "Wenn alle Deutschen schlafen" eine Geschichte aus einem jüdischen Ghetto in Polen, diesmal aus der Sicht von Kindern, die ihre Spielsachen aus der alten Straße holen wollen.

1996 erschien schließlich noch der Band "Ende des Größenwahns", der Aufsätze und Vorträge Beckers aus den Jahren 1971 bis 1995 enthält.

Der Schriftsteller, der aus erster Ehe zwei Söhne hatte, lebte zuletzt mit seiner zweiten Frau Christine und ihrem gemeinsamen Sohn Jonathan im Westberliner Stadtteil Kreuzberg. Am 14. März 1997 erlag Jurek Becker in seinem Landhaus im schleswig-holsteinischen Sieseby mit 59 Jahren einem langen Krebsleiden. Posthum erschienen mehrere Sammelbände mit Briefen, Postkarten und Aufsätzen, die teils von Christine Becker herausgegeben wurden. Die Berliner Akademie der Künste erwarb 2001 den künstlerischen Nachlass Jurek Beckers, der 18.000 Blatt umfasst und Briefwechsel mit literarischen Kollegen wie Günter Grass, Heinrich Böll und Christa Wolf, insbesondere aber mit Manfred Krug enthält, ebenso Manuskripte, Drehbücher und Romane.

 

FILMOGRAFIE

1999
  • Vorlage
1994/1995
  • Drehbuch
  • Vorlage
1990
  • Drehbuch
1990/1991
  • Drehbuch
  • Vorlage
1987/1988
  • Drehbuch-Mitarbeit
1988
  • Vorlage
1982
  • Vorlage
1979/1980
  • Vorlage
1978/1979
  • Drehbuch-Mitarbeit
1977/1978
  • Szenarium
1974
  • Szenarium
  • Vorlage
1969/1970
  • Drehbuch