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Regisseur Oskar Röhler erzählt in diesem Film die Geschichte dreier höchst ungleicher Brüder: Da wäre der Politiker und Familienvater Werner, hinter dessen Heile-Welt-Fassade sich ein völlig zerrüttetes Familienleben verbirgt; dann gibt es da noch den sexsüchtigen Voyeur und Bibliothekar Hans-Jörg. Und natürlich Agnes – sie war früher ein Mann und arbeitet nun als Tänzerin. Das Leben der drei Geschwister wurde im Guten wie im Schlechten von ihrem exzentrischen Vater geprägt, dem sie in tiefer Hassliebe verbunden sind.
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Hans-Jörg ist die kleinbürgerlich-spießige Variante. Der schüchterne, alkoholkranke Hilfsbibliothekar an einer Universitätsbibliothek kommt kaum noch dazu, sich auf seine Arbeit zu konzentrieren, weil er vor lauter junger, hübscher Studentinnen nur noch Beine und Busen sieht und den Objekten seiner notabene unerfüllten Begierde bis hin aufs Klo nachsteigt.
Über den Umweg einer Selbsthilfegruppe für Sexsüchtige um Hannes freundet er sich ausgerechnet mit Manni Moneto, einem Pornoproduzenten, an. Als Hans-Jörg auf dem Damenklo der Unibibliothek als Spanner entlarvt wird, kommt er bei Manni unter – und dreht gleich seinen ersten, notabene dümmlichen Film. Doch dabei trifft er endlich auf eine Frau, die es ernst mit ihm zu meinen scheint: Die schöne Desiree.
Dritter im Bruder-Bunde ist Agnes (Martin Weiß glänzt in seiner ersten Hauptrolle), ursprünglich männlichen Geschlechts mit Namen Martin, verheiratet mit einer ungemein verständnisvollen Frau und Vater eines kleinen Sohnes. Aus Liebe zu Henry, einem New Yorker Modeschöpfer, verließ er Frau und Kind, ließ sich operieren und in „Agnes“ verwandeln, doch der folgenschwere operative Eingriff hatte auf die Beziehung nicht den gewünschten Einfluss.
Rasch wieder solo, ist Agnes durch und durch unglücklich, jobbt als transsexuelle Tänzerin in Kölner Nachtbars und sehnt sich nach Anerkennung – und Liebe. Zeitweise findet Agnes sie, nachdem er von seinem neuen Freund Rudi kurzerhand aus der gemeinsamen Wohnung geworfen wird, in der älteren Freundin Roxy.
Vater Günther Tschirner, ein versoffener Patriarch und langmähniges Alt-1968er-Fossil, der nur in betrunkenem Zustand in der Lage ist, von seiner Gattin zu sprechen, lebt in seiner renovierungsbedürftigen 1950er Jahre- Stadtvilla inzwischen mit einem Mann zusammen: Heinz (Ralph Herforth) übernimmt in dieser Beziehung die Hausfrauen-Rolle. Kommt er mit seinen Söhnen zusammen, wird das Thema Vergangenheit tunlichst vermieden, um den schönen Schein zu wahren. Allerdings belässt es Oskar Roehler, wie mehrfach in diesem Film, bei vagen Andeutungen, hier über das Thema Kindesmissbrauch.
Als Henry mit skurrilem Hofstaat zu Besuch in Köln ist, trifft Agnes ihn auf der Domplatte. Es kommt zu einer kurzen, melodramatischen „Kaffeerunde“ bei Roxy. Agnes gibt ihn frei im Bewusstsein, schwer erkrankt zu sein. Sie stirbt wenig später an den Spätfolgen der Geschlechtsumwandlungs-Operation – in den Armen von Roxy. Hans-Jörg erschießt derweil im Affekt den Vater und flüchtet zusammen mit Desiree über die polnische Grenze – mit Ziel Bagdad...
Im Hause des Politikers Werner ist inzwischen Frieden eingekehrt – die Ruhe nach dem Sturm samt Kettensägen-Massaker im Cannabis-Feld. Der Sohn ist verschwunden, die Eltern finden über die gemeinsame Sorge um den nach Prag zu einem Konzert Entwichenen wieder zusammen – und zum kitschigen Kleinbürgerglück zurück.
Dem 45-jährigen Berliner Oskar Roehler ist mit „Agnes und seine Brüder“ ein Film gelungen, der beim Publikum aufgrund manch harter Szenen nicht unumstritten gewesen ist. Die Mischung aus situationskomischem Familienepos, sozialkritischem Melodram und bisweilen gar anarchischer Satire erinnert stark an Fassbinders „In einem Jahr mit 13 Monden“, auch was ihre Radikalität betrifft. Oskar Roehler im X-Verleih-Presseheft: „Ein Meilenstein, da habe ich mich einfach bedient, weil ich die Geschichte so toll fand.“ In Fassbinders Film spielt Volker Spengler einen Transsexuellen, der sich wegen eines Mannes, von dem er dann aber wieder verlassen wird, einer Geschlechtsumwandlung unterzieht.
Ästhetisch ist Roehler mit „Agnes und seine Brüder“ jedoch einen entscheidenden Schritt weiter gegangen: So setzt er in der Schilderung seiner Geschichten völlig unterschiedliche Stilmittel ein – mit einem auch in den kleineren Rollen erlesenen Ensemble. So spielt Til Schweiger den „Beschützer“ einer der Objekte von Hans-Jörgs sexueller Begierde.
Pitt Herrmann