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Alle Fotos (2)Biografie
Ulrich Maria Seidl, geboren am 24. November 1952 in Wien, Österreich, sollte nach dem Willen seiner Eltern Priester werden, studierte stattdessen jedoch Publizistik und Theaterwissenschaft in Wien und absolvierte anschließend ein Regiestudium an der Wiener Filmakademie. In seinem Abschlussfilm, der Dokumentation "Der Ball" (AT, 1982), beobachtet er die Vorbereitungen zu einem traditionellen Studentenball in seinem Heimatort Horn. Nach dem Studium arbeitete er für den ORF und ausländische Fernsehanstalten sowie als freischaffender Regisseur dokumentarischer Dramen.
Sein Langfilmdebüt gab Seidl 1990 mit "Good News: Von Kolporteuren, toten Hunden und anderen Wienern" (AT), über den trostlosen Alltag von Zeitungsverkäufern auf Wiens Straßen. Bereits bei diesem Film kultivierte er einen eigenwilligen filmischen Stil: Seidl arbeitet stets ohne jeden Off-Kommentar und ohne Interviews, sondern beobachtet seine Protagonisten in langen, ruhigen Einstellungen – und entgegen der "Regeln" des Dokumentarfilms inszeniert er die Personen auch in "typischen" Situationen ihres Alltags, ohne dass dies für den Zuschauer eindeutig als "Schauspiel" erkennbar ist. Bei der Viennale 1991 wurde "Good News" mit dem Wiener Filmpreis ausgezeichnet.
Sein nachfolgender Film "Mit Verlust ist zu rechnen" (AT, 1992), über die Beziehung zwischen einem alternden Witwer aus Österreich und einer alternden Witwe aus Tschechien, erhielt beim Amsterdam International Documentary Film Festival den Spezialpreis der Jury. Für einiges Aufsehen sorgte Seidl mit "Tierische Liebe" (AT, 1996), in dem er eine Reihe von einsamen Wiener Bürgern porträtiert, denen Hunde oder andere Haustiere wie Hasen als Ersatz für menschliche Ansprechpartner, Lebensgefährten oder auch Bettgenossen dienen. Deutlich in Richtung erkennbarer Inszenierung bewegte sich "Models" (AT, 1999), bei dem drei junge Wiener Fotomodelle (sowie deren Freunde und Mitarbeiter) sich selbst in vermeintlich typischen Situationen ihres Berufs- und Privatlebens "spielen". Der Film feierte im Panorama der Berlinale 1999 Premiere.
Mit "Hundstage" (AT/DE) legte Seidl 2001 seinen ersten eindeutigen Spielfilm vor, in dem Schauspieler fiktive Charaktere verkörpern. In mehreren Handlungssträngen erzählt der Film von den menschlichen Abgründen, die sich an einem brütend heißen Sommertag in einer idyllisch wirkenden Wiener Vorstadt auftun. "Hundstage" feierte bei den Filmfestspielen von Venedig Premiere, bekam sehr positive Kritiken und wurde mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet; weitere Festivalpreise sowie eine Nominierung für den Europäischen Filmpreis folgten.
"Jesus, Du weißt" (AT) folgte dann wieder Seidls dokumentarischem Ansatz: Er porträtiert darin sechs streng gläubige Katholiken, die regelmäßig Zwiesprache mit Gott oder Jesus halten und ihnen ihr gesamtes Herz ausschütten. Der Film erhielt bei der Viennale 2003 den Wiener Filmpreis sowie den Dokumentarfilmpreis beim Karlovy Vary Film Festival.
Ebenfalls 2003 gründete er die Ulrich Seidl Filmproduktion GmbH und realisierte mit ihr den Spielfilm "Import/Export", der 2007 im Wettbewerb von Cannes seine Weltpremiere feierte. Im Mittelpunkt des Dramas stehen ein junger, arbeitsloser und verschuldeter Mann aus Wien, der einen dubiosen Job bei seinem vulgären Stiefvater annimmt, und eine junge Mutter aus der Ukraine, die in Österreich Geld für ihren in der Heimat verbliebenen Sohn verdienen will. Auch dieser Film erhielt fast durchweg sehr positive Kritiken.
Danach nahm Seidl eine Filmtrilogie in Angriff: Der erste Teil, "Paradies: Liebe" (AT/DE/F), über eine einsame, alternde Frau, die als Sextouristin in Kenia auf die große Liebe hofft, feierte bei den Filmfestspielen von Cannes Premiere. Bereits im August des selben Jahres lief der zweite Teil, "Paradies: Glaube"(AT/DE/F), im Wettbewerb der Internationalen Filmfestspiele Venedig und erhielt dort den Spezialpreis der Jury. Zugleich sorgte das Drama über die einsame, streng religiöse Schwester der Protagonistin aus "Paradies: Liebe", die sich in ihrem Glauben auf erotische Weise zu Jesus hingezogen fühlt, auf Grund des Themas für eine Kontroverse.
"Paradies: Hoffnung" (AT/DE/F), der letzte Teil der Trilogie, lief 2013 im Wettbewerb der Berlinale. Im Mittelpunkt steht eine Teenagerin (die Tochter der Protagonistin aus "Paradies: Liebe"), die ihre Ferien in einem Diät-Camp verbringt und sich dort in einen 40 Jahre alten Arzt verliebt.
In den nächsten Jahren drehte Seidl wieder zwei Dokumentarfilme: Für "Im Keller" (AT 2014) besuchte er Menschen, die ihre ganz persönlichen Obsessionen in ihren Kellern ausleben. Die Szenen, in denen sich mehrere Männer in einem mit Nazi-Devotionalien geschmückten Keller in Marz (Österreich) treffen, sorgte für einen Skandal, da es sich bei zweien um Gemeinderatsmitglieder der ÖVP handelte; diese traten wenig später zurück. In "Safari" (AT 2018) ließ Seidl unterschiedlichste Menschen über ihre Leidenschaft als Großwildjäger erzählen. Daneben war Seidl auch als Produzent tätig, zum Beispiel bei dem Horrorfilm "Ich seh Ich seh" (AT 2014) und bei der satirischen Farce "Die Kinder der Toten" (AT 2019).
Im Wettbewerb des Filmfestivals von Cannes stellte Seidl im Mai 2022 den Spielfilm "Rimini" (AT/DE/FR/IT) vor, eine Charakter- und Milieustudie über einen abgehalfterten Schlagersänger (Michael Thomas), der sich mit Auftritten im winterlichen Rimini über Wasser hält. In der Fortsetzung "Sparta" (AT/DE/FR/IT 2022) erzählte Seidl die Geschichte von dessen Bruder (Georg Friedrich). Allerdings kam es noch vor der Premiere von "Sparta" zu einem Eklat, als Anfang September 2022 das Nachrichtenmagazin Der Spiegel Vorwürfe veröffentlichte, dass bei den Dreharbeiten in Rumänien minderjährige Laiendarsteller ausgenutzt und in verantwortungsloser Weise behandelt worden seien. Seidl widersprach dem Artikel vehement, dieser würde die Sachverhalte "zu einem in keiner Weise den Tatsachen entsprechenden Zerrbild" montieren. Dennoch wurde die Weltpremiere von "Sparta" beim Toronto International Film Festival (Kanada) abgesagt. Stattdessen fand sie beim Festival von San Sebastián (Spanien) statt, wo der Film ursprünglich als Europapremiere laufen sollte. Während "Rimini" im Oktober 2022 in den deutschen Kinos startete, blieb ein Start von "Sparta" zunächst offen. Schließlich glätteten sich die Wogen; im Mai 2023 kam "Sparta" in die Kinos.