Fremder Freund
Fremde Freunde
Raimund Gerz, epd Film, Nr. 12, 02.12.2003
Alles scheint zu sein wie zuvor. Yunes (Navid Akhavan), der jemenitische Student, hat sich mit seiner deutschen Freundin Nora versöhnt; der Bart, durch den er sich äußerlich als Mitglied einer muslimischen Gemeinschaft zu erkennen gab, ist wieder ab. Man feiert ausgelassen bis tief in die Nacht. Tatsächlich ist nichts, wie es war. Am nächsten Morgen ist Yunes spurlos und für immer verschwunden. Die Nachforschungen, die sein Freund und Mitbewohner Chris (Antonio Wannek) anstellt, werfen neue Fragen auf. Die Ereignisse um den 11. September 2001 lassen Yunes" Verschwinden plötzlich in einem neuen Licht erscheinen ...
"Alles könnte anders sein, als man denkt", war die Idee, die den ehemaligen Journalisten und Fernsehproduzenten Elmar Fischer bei der Inszenierung seines Films leitete, sowie die Frage "Wie nah kann man sich sein, ohne fremd zu bleiben?" Dieser Frage geht seine Hauptfigur Chris, den mit Yunes eine innige, nahezu homoerotische Beziehung verband, nach. Der Film rekonstruiert in einer verschachtelten Montage von Zeitebenen die Geschichte der beiden jungen Männer, ihr Kennenlernen auf einem Markt, ihre Freundschaften zu Julia (Mina Tander) und Nora (Mavie Hörbiger), das Scheitern von Yunes" Beziehung. Chris reflektiert im Rückblick die Veränderungen im Verhalten seines Freundes, seine zunehmende Distanz zu Frauen, besonders zu Chris" Freundin, die er nur noch indirekt anspricht, seine strenge Religiosität, sein überstürzt angetretenes Praktikum in Pakistan, von dem er nach Wochen völlig verändert zurückkehrt.
"Fremde Freunde" ist ein vielschichtiger Film. Er ist inspiriert von den Berichten über die Terroristen-WG um Mohammed Atta in Hamburg-Harburg, wo sich Ungeheuerliches unter dem Deckmantel alltäglicher Normalität zusammenbraute. Er registriert aber auch, wie der 11. September die Wahrnehmung anderer Kulturen verändert hat und vordem Alltägliches plötzlich fremd und verdächtig erscheinen lässt. Oder sind die Zusammenhänge, die Chris und die anderen Freunde von Yunes herstellen, vielleicht ihrerseits nur Produkt einer Paranoia im Gefolge der Anschläge? Schließlich ergeben die Recherchen keinen stichhaltigen Hinweis auf eine Tatbeteiligung von Yunes.
Der Film hält diese existenziellen Irritationen in zum Teil nervösen Bildern (Kamera: Florian Emmerich) fest, die atmosphärisch auch durch die O-Töne verdichtet werden. Elmar Fischers Debüt wurde mit dem FIRST STEPS Award 2003 als bester abendfüllender Spielfilm ausgezeichnet.