Biografie
Karin Schöning wurde am 24. Januar 1944 in Doberlug-Kirchhain geboren und absolvierte nach ihrem Schulabschluss eine zweijährige Ausbildung als Filmkopier-Facharbeiterin. "Dort haben wir in zwei Jahren alles gelernt", erzählte sie 2020 in einem Werkstattgespräch mit Werner Busch, "von der Entwicklung über Kopierung, Lichtbestimmung, finale Prüfung und vieles mehr, einmal durch alle Abteilungen. Das war ein Beruf, den es nur in der DDR gab und um den uns viele Westler beneidet haben". Danach erhielt Schöning eine Stelle als Kopiererin für das DDR-Fernsehen.
Ab 1969 war sie bei der DEFA angestellt, ab 1974 als eigenständig schneidende Assistentin im DEFA-Studio für Dokumentarfilme. Meist wirkte sie in dieser Funktion an kurzen und mittellangen Filmen mit populärwissenschaftlichen oder parteipolitischen Inhalten mit, die als Vorprogramm in den Kinos liefen. Zum Beispiel "Nach dem Richtfest" (DDR 1978), über den Aufbau des Palasts der Republik in Berlin, "Die KPD. Eine Dokumentation zum 60. Jahrestag der Kommunistischen Partei" (DDR 1979) oder "Auferstanden aus Ruinen" (DDR 1979). Zugleich war Schöning an Filmen beteiligt, die die ideologischen Maßgaben subtil umgingen, etwa "Rosenthaler Straße 51" (DDR 1976, Regie: Günter Kotte und Heiner Sylvester), das naturalistische Porträt eines Chors von "Arbeiterveteranen" und ihres sozialen Umfelds.
Parallel zu ihrer Arbeit absolvierte Schöning ein Fernstudium in den Fächern Filmschnitt und Dramaturgie an der Filmhochschule Potsdam-Babelsberg. 1980 folgte beim DEFA-Dokumentarfilmstudio die Beförderung zur Schnittmeisterin, wo sie bald zum Kernteam gehörte. "In den 1970ern und 1980ern habe ich sehr viele kurze Reportagen und Beiträge montiert", so Schöning zu Busch, "und über diese Arbeit einen freieren Zugang zum Material gewonnen".
1985 begann Karin Schöning mit der Arbeit an ihrem ersten Langfilm: "flüstern & SCHREIEN" (Regie: Dieter Schumann), ein dokumentarischer "Rockreport" über die Underground-Musikszene der DDR, deren Protagonist*innen teilweise über die Musik ihre Kritik am System transportierten. Der Film kam nach dreijähriger Arbeit im Oktober 1988 mit großem Erfolg in die DDR-Kinos; seine Kraft bezog er nicht zuletzt auch aus Schönings Schnitt, bei dem sie sehr heterogenes Material (und zum Teil auch Outtakes) zu einem ebenso atmosphärischen wie mitreißenden Ganzen montierte.
Mit der Wende und dem nahenden Ende der DEFA wechselte Karin Schöning ganz zum Bereich des abendfüllenden Dokumentarfilms. Ein Klassiker wurde "Leipzig im Herbst“ (1989), ein spontan gedrehter Film über die friedliche Revolution in der DDR im Herbst 1989; hier arbeitete Schöning erstmals mit dem Regisseur Gerd Kroske zusammen – der Beginn einer Jahrzehnte währenden, "freundschaftlich-künstlerischen Komplizenschaft in Sachen Dokumentarfilm", wie Kroske es 2020 in einer Laudatio auf Schöning formulierte. Zu den gemeinsamen Filmen gehören unter anderem: "Kehrein, Kehraus" (1996) und "Kehraus, wieder" (2006), eine berührende Langzeitbeobachtung (begonnen 1990 mit "Kehraus") über den sozialen Abstieg dreier ehemaliger Leipziger Straßenkehrer; "Der Boxprinz“ (2000), über den Boxer Norbert Grupe, der sich "Prinz Wilhelm von Homburg" nannte und durch seinen skandalträchtigen Boxstil sowie kriminelle Verwicklungen zu zweifelhaftem Ruhm kam (berühmt wurde hier vor allem eine umstrittene Szene, in der der Boxer und Zuhälter Stefan Hentschel auf St. Pauli vor laufender Kamera einen "störenden" Passanten schlägt und danach ungerührt weiterspricht); und "Heino Jaeger - look before you kuck" (2012), über das bewegte Leben des Malers, Kabarettisten und Kult-Radiomoderators Heino Jaeger.
Thomas Heise engagierte Schöning als Editorin bei "Eisenzeit" (1992), über die Schicksale einer Gruppe von Menschen aus Eisenhüttenstadt, "Barluschke" (1997), einem Porträt des Spions Berthold Barluschke, und "Kinder. Wie die Zeit vergeht" (2007, zusammen mit Trevor Hall), dem dritten Teil seiner "Neustadt-Trilogie". Für die Montage dieses Films waren Schöning und Hall beim Kölner Festival Filmplus 2009 für den Schnitt Preis nominiert.
Eine weitere bedeutende Kollaboration verband Karin Schöning mit Heinz Brinkmann. Zwischen 1979 und 1989 realisierte sie mit ihm eine ganze Reihe kurzer und mittellanger Dokumentationen; nach der Wende folgten mehrere abendfüllende Kino-Dokumentarfilme, darunter "Komm in den Garten" (1991), der die Lebenswege dreier Freunde aus Berlin schildert und dabei auch das Scheitern des Sozialismus in der DDR aufzeigt, "Insellicht - Usedomer Bilder" (2005) und "Fallwurf Böhme - Die wundersamen Wege eines Linkshänders" (2012), über das Schicksal des DDR-Sportlers Wolfgang Böhme, der vom SED-Regime zunächst aufgebaut, dann aber fallen gelassen wurde.
Auch Schönings bislang letzte Arbeiten als Editorin waren Filme von Gerd Kroske und Heinz Brinkmann: Kroskes "Striche ziehen" (2014) erzählte die Geschichte einer dramatisch gescheiterten Kunstaktion von Ex-DDR-Punkern im Jahr 1986; Brinkmanns "Bis zur letzten Runde" (2020, TV) zeichnete ein filmisches ein Porträt des weltbekannten Boxtrainers Ulli Wegner.
Daneben arbeitete Karin Schöning im Lauf der Jahrzehnte mit einer Vielzahl anderer Regisseur*innen zusammen; ihre Filmografie umfasst mehr als 50 Filme.
Im Herbst 2020 wurde Karin Schöning bei 'Edimotion' (vormals Filmplus), dem Kölner Festival für Filmschnitt und Montagekunst, mit einem Preis für ihr Lebenswerk geehrt. In der Begründung hieß es: "Ihre Montage setzt feinfühlig erzählerische Akzente und tariert die oft sehr private Welt der Protagonist*innen mit dem großen - und kleineren - Zeitgeschehen um sie herum aus. In ihrer Arbeit als Schnittmeisterin hat sie durch ihr Gespür für Menschen und ihr großes Interesse an Gesellschaft und Politik über Jahrzehnte viele wichtige filmische Dokumente der deutschen Geschichte entscheidend mitgestaltet".
Karin Schöning lebt in Berlin.