Märkische Forschungen

DDR 1981/1982 Spielfilm

Abschweifungen zum Thema


Klaus Wischnewski, Film und Fernsehen, Berlin/DDR, Nr. 5, 1982


Unter den Titel seiner Erzählung "Märkische Forschungen" (1978) setzte Günter de Bruyn: "Für Freunde der Literaturgeschichte". Das hatte die leise, gelassene Ironie, die ein Wesenszug und Vorteil des Buches ist. Eine Ironie, die weder aus kühler Distanz kommt noch solche bezweckt, sondern den "Sachbereich" des Geschehens durchlässig macht für Verallgemeinerung und Assoziation der Leser-Erfahrung. Der solide Schriftsteller schreibt nur über das, was er direkt oder indirekt kennt, erfahren (nicht: gehört) hat. Der Sachverstand bestimmt den "Sachbereich". Aber das ist nur das Material, Bedingung, um über das Leben – das eigene und das der Zeitgenossen – und die Zeit schreiben zu können, sie "festzuhalten" und zu bewegen. Die guten, die dauerhafteren Geschichten sind die, wo dieses Wechselverhältnis stimmt, Sie sind durch das Sach-Besondere interessant, durch vielfältige Bezüglichkeiten (individuelle und gesellschaftliche) aufregend – und sie machen Spaß, bereiten Genuß durch den objektivierenden Blick, die befreiende Souveränität, die sich durch den Umgang mit Material, Problematik und allen Mitteln der Kunst auf den Leser übertragen. (…)

Was für Schriftsteller erwiesen ist, gilt für Regisseure nicht minder. Die freie, weil innere Entscheidung für einen Stoff hat zur Voraussetzung die Beziehung zur Sache als Material und die Initialzündung, gerade und unbedingt mit diesem Stoff Eigenes mitteilen zu können. Daraus erst entsteht die Beherrschung des Materials und der Mittel – von Drehbuch und Besetzung bis zum Schnitt und: die objektivierende Souveränität des Realismus. Daß das alles etwas mit Weltanschauung, Weltbeziehung und Lebenserfahrung, mit Liebe zum Leben, zu den Menschen, mit Sinnlichkeit zu tun hat, daß Training und Perfektion des Handwerks also eine Sache der Moral sind, versteht sich von selbst. Sollte sich von selbst verstehen.


Diese Abschweifungen sind provoziert von der beharrlichen, sich treu bleibenden und deshalb ständig korrigierenden Regisseur-Entwicklung des Roland Gräf. (Und von den mageren Partien des DEFA-Jahres 1981.) "Märkische Forschungen" ist für mich Gräfs kräftigster Film – durch die Erzählsubstanz und -struktur, die in sich geschlossen und zugleich offen ist für Weiterdenken, durch die charakterliche und assoziative Potenz des Figurenensembles und der Dialoge, also durch die gesellschaftliche und individuelle Relevanz. Noch deutlicher ist durchgesetzt: Sachlichkeit der Wirklichkeitsbeobachtung bedarf des schauspielerischen Ausspielens des individuellen Figuren-Rechts, um realistische Kunst-Wirklichkeit zu schaffen. Der spiel-versessene und kluge, vitalmassige und differenzierende Kurt Böwe hat hier als Professor Menzel – der durchaus als mieser Langweiler denkbar wäre, wenn man polemisch denunzieren statt spielerisch Leben entdecken wollte – seine bisher beste Filmrolle gefunden und gestaltet. Dieser Menzel ist mehr als ein hohler, selbstzufriedener Karrierist, er ist eine Zeitfigur, imponierend, sympathisch, gefährlich.

Der Film ist eine der schnellsten (ohne "Glück im Hinterhaus"-Verspätung) und glücklichsten Adaptionen von DDR-Prosa. Die Erzählung erlaubt dem Film fast Vollständigkeit, Ton und Klima, leise Ironie und unverkrampfte Souveränität sind genau getroffen, es wird Leben erzählt, nicht Problem-Polemik getrieben. Es gibt eine höchst kräftig-individuelle Besetzung, die zugleich eine spannungsvolle Ensembleleistung ergibt.

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