Benjamin Heisenberg

Darsteller, Regie, Drehbuch, Schnitt
Tübingen

Beobachtungspuzzle

Benjamin Heisenberg über "Schläfer"


Was war die Ausgangsidee von "Schläfer"?

Heisenberg: Eine der Ausgangsideen, also ein Kulminationspunkt, war der 11. September. Genauer gesagt: die Sicherheitsgesetze, die daraufhin verabschiedet worden sind und über die ich nicht sehr glücklich war. Ich habe mir gedacht: Was muss einer Gesellschaft passiert sein, damit solche Gesetze verabschiedet werden. Die lösen ja keine Probleme, sondern geben dies lediglich vor, schränken aber zugleich viele Persönlichkeitsrechte ein. Im Handstreich! Mir ging es darum, eine Geschichte zu finden, in der solche Fragen an das Individuum gestellt werden, in der sich das Politische mit dem Privaten verschränkt.

Im Presseheft heißt es, dass der Film sich mit der aktuellen Verunsicherung der Gesellschaft beschäftige. Welche Auswirkungen hat das in Bezug auf mögliche "Leerstellen" im Drehbuch und bei der Kameraarbeit?

Heisenberg: Je unschärfer, also je weiter gefasst das Thema ist, das sich also zu einer Art von Puzzle zusammensetzt, desto schärfer muss jede einzelne Ebene sein, damit man durch diese Ebenen einen Blick aufs Ganze erhält. Ich male gewissermaßen ein Bild. Je unschärfer ich male, desto leichter fällt es auseinander. Deshalb musste ich bestimmte Dinge sehr genau recherchieren und auch beim Casting und bei der Ausstattung sehr genau auf die Figuren hinarbeiten.

Kann man "Schläfer" auch als Paranoia-Thriller betrachten? Der Verfassungsschutz scheint ja viel mehr über die Personen zu wissen, als aktuell je bekannt wird. Warum wird Johannes angeworben? Sind bestimmte Dispositionen seiner Persönlichkeit schon vorher bekannt?

Heisenberg: Er wird angesprochen, weil er ein künftiger Kollege am Institut ist und relativ neu in diese Situation hinein kommt. Vielleicht auch, weil der Verfassungsschutz weiß, dass er einen starken Ehrgeiz hat. Er ist also gut motivierbar. Geheimdienste suchen ja immer nach psychologischen Ansatzpunkten bei den Menschen, die sie kontaktieren.

Das Thema stellt sich, weil in einer Szene plötzlich klar wird, dass auch Beate aktenkundig ist und Johannes vom Mehrwissen des Verfassungsschutzes insofern profitiert, als ihm dieses Wissen in der Liebesgeschichte nützt.

Heisenberg: Es ist eine bekannte Strategie von Geheimdiensten, dass sie Leute mit Wissen ködern. Dadurch bekommen diese Leute dann tatsächliche Macht. Durch den gegenseitigen Austausch von Informationen entsteht ein wechselseitiges Abhängigkeitsverhältnis, d.h., der Verfassungsschutz wird dadurch auch bis zu einem gewissen Grad korrumpierbar. Der Verfassungsschutz kommt aus einer Machtposition, begibt sich aber insofern in eine Abhängigkeitsposition, als er auch den Erzählungen unehrlicher Informanten ausgeliefert bleibt. Johannes wird mit Mehrwissen geködert, generiert aber selbst auch Mehrwissen und kann dadurch die Situation zugunsten seiner niederen emotionalen Zwecke nutzen.

Sind seine Zwecke so niedrig?

Heisenberg: Naja, ich würde spontan sagen, dass Johannes" Verrat demjenigen Farids nicht gleichgestellt werden kann.

Der Film erinnert formal an Antonionis "Blow up", weil es ihm gelingt, das Prozesshafte der Alltagswahrnehmung aufzuzeigen. Es braucht bloß diesen einen Impuls, die Unschuldsvermutung einmal außer Kraft zu setzen – und plötzlich kippt der Alltag ins Mysteriöse.

Heisenberg: Deshalb haben wir diese Momente der Köderung ganz an den Anfang gestellt. Ich finde übrigens, dass einem so etwas auch im eigenen Alltag ganz häufig passiert. Dass man Menschen aufgrund von Informationen Dritter einschätzt. Wenn man gesagt bekommt, der, den man gleich kennen lernt, sei wahnsinnig jähzornig, dann entstehen Erwartungen und man interpretiert viele Verhaltensweisen auf den Jähzorn hin. In meinem Film geht es aber nicht um etwas Privates, sondern die Information ist explizit politisch.

Einige Vorgänge, etwa die Intrigen am Institut, bleiben im Dunkeln. Soll der Zuschauer diese Leerstellen psychologisch aufdröseln oder die Kontingenz des Ganzen akzeptieren lernen?

Heisenberg: Ich finde es wichtig, dass man als Zuschauer die vielen Puzzleteilchen zusammensetzt, um näher an die Figuren und ihre Psychologie zu gelangen. Das hat auch sehr viel damit zu tun, wie ich das Leben betrachte. Es gibt immer wieder Situationen, in denen ich Menschen beobachte und Kleinigkeiten mitbekomme. Dann wird man abgelenkt oder es passiert etwas Neues. Am Ende setzt sich das Bild der Person aus Bruchstücken von Erlebnissen zusammen. So ist es auch in "Schläfer": da gibt es positive Dinge, aber auch ganz perfide Seiten der Figuren. Anders als im klassischen Hollywood-Kino werden diese Informationen aber nicht passgenau miteinander verleimt, bis nichts Störendes mehr übrig bleibt. Bei mir fügt sich manches in die Passung, anderes bleibt alleine stehen. Letzteres kann man auf die Figuren oder auf die Geschichte beziehen – ein relativ "offener", aber realistischer Ansatz, wie ich finde. Mir ist zudem ganz wichtig, dass sich Handlungen nicht eindeutig motivieren lassen, sondern dass sich die Möglichkeit ergibt, dass eine Aktion das Resultat mehrerer sich überlagernder, vielleicht auch widersprechender Motive ist. So kann man nie genau sagen, warum jetzt etwas geschieht.

Das Denunziantentum hat eine lange Tradition in Deutschland. Es gibt eine Reihe von Filmen, in denen die Motivation der Denunzianten aber seltsam unbestimmt bleibt. "Schläfer" zeigt jedoch deutlich, worin der Reiz besteht, mit der Macht zu kungeln.

Heisenberg: Mich hat tatsächlich beschäftigt, worin der Unterschied zwischen einem autoritären System und einem demokratischen System bestehen könnte. Ich denke, wir sind heute genauso anfällig für Bespitzelung und Denunziation wie zu DDR- oder NS-Zeiten, weil es noch immer diese Schlupflöcher gibt, durch die das Misstrauen gegenüber Mitbürgern ins Leben findet. Die Frage ist doch immer: Gibt es etwas in dieser Black Box des Gegenübers, was sich mir nicht erschlossen hat? Ereignisse wie 9/11 oder damals auch die RAF-Geschichte liefern Anlässe, diese Frage virulent werden zu lassen.

In "Schläfer" taucht an mehreren Stellen das Motiv des Betens auf. Ist das eine Art Lackmustest? Der aktuelle Umgang mit Muslimen läuft ja auch auf die Frage hinaus: "Wie hältst Du es mit der Religion?"

Heisenberg: Sagen wir mal so: Johannes versucht zu beten. Er guckt, ob ihm dies Heilung verschafft. Er hat ja bemerkt, dass das Ritual seiner Großmutter "geholfen" hat. Bei ihm ist das eher eine Frage als eine Antwort. Ein Eingeständnis der eigenen Hilflosigkeit. Nach dem Gebet gibt es ein paar Sekunden Schweigen. Da passiert nichts. Insofern bleibt "Schläfer" doch recht rational. Es gibt an anderer Stelle auch dieses Gespräch zwischen Johannes und Farid, in dem er gefragt wird, ob er bete. Da fragt Farid zurück, was das denn ändern würde? Und Johannes antwortet: "Na, nichts!"

Es ist auch eine ziemlich hilflose Frage, weil Johannes ja über gar kein Sensorium verfügt, um eine ernsthafte Antwort zu werten. Er könnte sie nur zur Kenntnis nehmen.

Heisenberg: Deshalb löst Johannes danach auch den Kontakt zum Verfassungsschutz. Das ist nur konsequent. Das ist ein Punkt, den der Film macht: Man sollte Urteile nur aufgrund eigener Beobachtungen fällen.

Die Kamera in "Schläfer" führte Reinhold Vorschneider, der auch mit Angela Schanelec arbeitet und mit Rudolf Thome einige Filme gemacht hat. Gibt es da Zusammenhänge?



Heisenberg: "Marseille" und "Mein langsames Leben" waren die Gründe, warum ich Reinhold Vorschneider angefragt habe. Ich fand diese beiden Filme großartig fotografiert. Mich hat auch seine Arbeitsweise interessiert, das Suchen nach Blicken in Räume, den Einsatz des Lichts. Diese Fragen berühren ja auch das Thema von "Schläfer", nämlich "Beobachtung": Wie beobachtet man jemanden, aus welchem Winkel, wann wird geschnitten, wann nicht? Was ist die Kameraperspektive einer Beobachtung, und was ist diejenige einer Filmerzählung? Wir haben uns wiederholt für Gegenlicht oder auch für stark perspektivische Einstellungen entschieden, die klassischerweise nicht der Erzählung dienen. Wenn man einen Menschen beobachtet, hat man selbst ja eine Distanz und einen Sehwinkel. Da kann man auch nicht beliebig hin- und herspringen. Dadurch wird auch der Beobachterstandpunkt des Zuschauers thematisiert.

In der zentralen Verratsszene, wenn Johannes Farid das Alibi verweigert, stehen sich die Beamtin und Johannes im Halbdunkel gegenüber. Man erkennt die Darsteller nicht, sondern muss die Szene über die Akustik auflösen. Das ist doch sehr "schanelesk", oder?

Heisenberg: Diese Szene hatte ich mir schon früh überlegt. Ich wollte, dass Johannes buchstäblich im Dunkel verschwindet, weil er nicht länger selbstbestimmt auftreten kann. Die Frau sieht man noch stark konturiert, aber Johannes ist sozusagen zu einem Schatten geworden. Auch in seiner Selbstwahrnehmung. Er ist nicht länger ein freier Geist, um es mal etwas pathetisch zu formulieren, sondern ein Produkt seiner Emotionen und der daraus resultierenden Verwicklungen.

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