Einen Monat lang vom 09. Februar bis 09. März 2017 bietet das Babylon Berlin mit der Reihe "DOK DDR umsonst" die Gelegenheit, sich knapp drei Jahrzehnte nach Mauerfall mit 180 DDR-Dokumentarfilmen aus 44 Jahren ein umfassendes Bild von der Innensicht der DDR und dem Blick der DDR auf die Welt zu machen.
Das hat es in dieser filmischen Breite bisher noch nicht gegeben. Der damals hohe künstlerische Anspruch an das Genre wird ein hohes Seherlebnis bieten. Um einem möglichst großen Zuschauerkreis den Zugang zu ermöglichen, ist der Eintritt frei.
Vier Regisseurstile sind, soweit nach Materiallage möglich, im Gesamtwerk zu sehen: Jürgen Böttcher, Volker Koepp, Winfried Junge sowie Walter Heynowski und Gerhard Scheumann als Studio H&S. Zudem zeigen Filme von Annelie Thorndike (zusammen mit ihrem Mann Andrew Thorndike), Gitta Nickel, Helke Misselwitz und Petra Tschörtner beispielhafte Filme von wichtigen DDR-Regisseurinnen. Entwicklungslinien lassen sich verfolgen, z.B. mit Karl Gass, bei dem Winfried Junge und Gitta Nickel gelernt haben. Mit Richard Cohn-Vossen, der als Regieassistent von Annelie und Andrew Throndike begann, ist auch ein Regisseur vertreten, dessen Karriere nach seiner Unterschrift unter dem Protestbrief gegen die Biermann-Ausbürgerung beendet war. Knapp drei Jahrzehnte nach Mauerfall ist im Jahr 2017 mit Distanz ein anderer Blick auf das DDR-Dokumentarfilmschaffen möglich. Dies wird und soll zu Diskussionen führen, ganz nach dem Motto von Regisseur und DEFA-Mitbegründer Kurt Maetzig, der die Wochenschau "Der Augenzeuge" mit dem Motto "Sie sehen selbst – Sie hören selbst – urteilen Sie selbst" startete.
Jürgen Böttcher alias Strawalde (geb. 08.07.1931 in Frankenberg/Sachsen) ist einer der wegweisenden DEFA-Dokumentarfilmer und bekannter Künstler. Von der bildenden Kunst kommend hat er mit der Kamera die Arbeits- und Alltagswelt quasi gemalt. Als einziger Dokumentarfilmemacher überhaupt drehte er auch Experimentalfilme ("Verwandlungen Teil 1-3", 1981). Jürgen Böttcher ist zur Eröffnung am 09.02. um 19.30 Uhr zu Gast, wo u.a. "Rangierer" läuft. Anlässlich der Berlinale findet am 09.02. zudem der AG DOK Empfang im Babylon statt.
Außerdem kommt Böttcher zum Gespräch am 21.02. um 20 Uhr. Innerhalb seines häufig mit englischen Untertiteln versehenen Gesamtwerks zu sehen sind auch seine zwei Studentenfilme "Dresden, wenige Jahre danach" (1958/59) sowie "Notwendige Lehrjahre" (1960). Letzterer ist sein Diplomfilm über einen Jugendwerkhof in Thüringen. Interessant wird ein Vergleich mit "Jugendwerkhof" (1982) von Roland Steiner sein.
Dokumentarfilmer sein bedeutet unterwegs sein. So verwundert es kaum, dass Koepp-Filme oft mit einer langen Kamerafahrt beginnen. Volker Koepp (geb. 22.06.1944 in Stettin), der filmische Alltagsforscher, nimmt seine Zuschauer mit auf die Reise, mit an den Ort des Geschehens, im Zug, Auto, Boot oder Pferdefuhrwerk – eine langsame Annäherung an den Alltag. Koepp, Meister des ruhigen Beobachtens, lässt seine porträtierten Menschen und deren Heimat sprechen. Insgesamt 25 Koepp-Filme sind Teil von "DOK DDR", neben seiner Wittstock-Langzeitbeobachtung u.a. auch seine zwei Studentenfilme "Wir haben schon eine ganze Stadt gebaut" (1968) und "Sommergäste bei Majakowski" (1967).
Winfried Junge (geb. 19.07.1935 in Berlin) ist berühmt wegen seiner längsten Langzeitdokumentation der Filmgeschichte (1961-2007) "Die Kinder von Golzow", ab 1978 drehte er zusammen mit seiner Frau Barbara Junge. Die "DOK DDR"-Reihe bietet dem Zuschauer die Gelegenheit, darüber hinaus zu blicken: Portraits über Jugendliche wie "Wenn jeder tanzen würde, wie er wollte, na!" oder "Studentinnen - Eindrücke von einer Technischen Hochschule", über technische Erfolge wie "Mit beiden Beinen im Himmel - Begegnung mit einem Flugkapitän" oder "Termin Spirale I" sowie seine Auslandsfilme über Syrien, Somalia und Libyen. Interessant ist besonders der verbotene Kurzfilm "Studentenfasching" über Robert Havemanns letzten öffentlichen Auftritt.
H&S – ein internationales, seinerzeit berühmtes Markenzeichen für politisches Filmschaffen. Fast drei Jahrzehnte (1965-1991) gingen Walter Heynowski (geb. am 20. November 1927 in Ingolstadt) und Gerhard Scheumann (1930-1998) eine 'künstlerische Ehe' ein. Ihr ökonomisch von der DEFA unabhängiges Studio H&S in der Kronenstraße in Berlin-Mitte wurde zum Markenartikel im Ausland. Der Blick auf das eigene Land interessierte H&S nur am Rande. Heynowski & Scheumann gehören zu den bekanntesten wie umstrittensten Dokumentarfilmregisseuren der DDR. Sie zeigten ihre Sicht der Wirklichkeit in einer moralischen Dimension, bezogen Stellung zu den großen politischen Fragen des Jahrhunderts, wie Vietnam, Chile und der Aufarbeitung des Nationalsozialismus. Ein Plakatmotiv von "DOK DDR" ist ein aktualisierter Nachdruck des polnischen Grafikers Andrzej Pągowski. In den 1980er Jahren entwarf er das Plakat der ersten H&S-Retrospektive in Warschau.
Quelle und das gesamte Programm: www.babylonberlin.de