Unter dem Titel "Das Gesicht hinter der Maske" zeigt das Zeughauskino im Deutschen Historischen Museum in Berlin von 12. Juli bis 30. September 2018 eine große Retrospektive mit Werken des Schauspielers Peter Lorre.
Peter Lorre verkörperte den berühmtesten Kindermörder der Filmgeschichte in Fritz Langs "M", brillierte für Bertolt Brecht auf der Bühne und wurde in Hollywood zu einer Ikone des Bösen. Im Laufe seiner Karriere hat der "Jahrhundertschauspieler" (Brigitte Mayr, Michael Omasta) in mehr als 80 Kinofilmen mitgespielt, von denen im Zeughauskino knapp die Hälfte zu sehen sind, ausschließlich als analoge Filmkopien aus deutschen, europäischen und amerikanischen Archiven. Damit ist die Filmreihe "Das Gesicht hinter der Maske. Hommage an den Schauspieler Peter Lorre" die bislang umfangreichste Retrospektive, die in Deutschland gezeigt wurde.
Geboren wurde Lorre 1904 als László Löwenstein in der heutigen Slowakei. Zum Theater zog es ihn bereits Mitte der 1920er Jahre in Wien, eine von der Familie angestrebte Sparkassenlaufbahn brach er dafür ab. Seine größten Erfolge erlebte Lorre aber in Berlin. Auf den Bühnen des Großen Schauspielhauses, der Volksbühne und des Theaters am Schiffbauerdamm wurde er gefeiert, nicht nur bei Inszenierungen von Brecht, der ihn als einen beispielhaften Schauspieler seines epischen Theaters schätzte. Im Rahmen der Retrospektive zeigen wir am 10. August mit "Mann ist Mann" (D 1931) die einzigen Filmaufnahmen einer Brecht-Inszenierung aus der Weimarer Republik, mit Lorre in der Hauptrolle.
Nach zwei kleinen Auftritten in österreichischen Stummfilmen – von denen wir den einzig erhaltenen "Die verschwundene Frau" (A 1929, R: Karl Leiter) am 10. August in der restaurierten Fassung zeigen – schuf Lorre mit seiner ersten Tonfilmrolle als Kindermörder in Fritz Langs "M" (13.7. und 12.09.) die Blaupause für seine gesamte Kino-Karriere, eine Darstellung "so unsterblich, dass er selbst ihrem Schatten nie wieder entkommen konnte" (Christoph Huber). Fortan war Lorre auf die Rolle des Bösen festgelegt, bei Hitchcock, mit dem er "The Man Who Knew Too Much" (GB 1934, 31.07.) und "Secret Agent" (GB 1936, 22.08.) drehte, aber vor allem in Hollywood, wohin ihn sein Exil nach der Flucht vor den Nationalsozialisten führte: Als verrückter Wissenschaftler in "Mad Love" (USA 1935, R: Karl Freund; 24.08.), als Raskolnikow in der Dostojewski-Verfilmung "Crime and Punishment" (USA 1935, R: Josef von Sternberg; 04.08. und 12.08.), als Psychopath in "Stranger on the Third Floor" (USA 1940, R: Boris Ingster; 13.07.) oder in seiner einzigen Nazi-Rolle in Uniform in "The Cross of Lorraine" (USA 1943, R: Tay Garnett; 23.09.).
Eröffnet wird die von Frederik Lang kuratierte Retrospektive am 12. Juli mit Privataufnahmen von Lorre aus dem Brecht-Nachlass und dem bitteren B-Picture-Meisterwerk "The Face Behind the Mask" (USA 1941, R: Robert Florey). Es ist eine seltene Hauptrolle für Lorre, in der er einen jüdischen Emigranten spielt, der bei einem Brand so furchtbar entstellt wird, dass er nirgends mehr Arbeit findet – außer in Gangsterkreisen.
An den Titel dieses wegweisenden Films ist die Retrospektive angelehnt, denn sie wirft auch einen Blick hinter die "Maske des Bösen". Sie führt die Vielgestalt vor Augen, die Lorres Schauspielkunst jenseits seiner Rollen als Mörder, Spitzel, Gauner, Nazi, Gangster oder verrückter Wissenschaftler eigen ist. Bereits im Weimarer Kino gibt es in Komödien wie "Die Koffer des Herrn O. F." (D 1931, R: Alexander Granowsky; 25.08. und 16.09.) oder "Was Frauen träumen" (D 1933, R: Géza von Bolváry; 12.07. und 28.09.) warme und feinhumorige Darbietungen zu entdecken, später folgen beeindruckende Leistungen der Darstellungs- und Improvisationskunst in unbekannteren Filmen wie "The Mask of Dimitrios" (USA 1944, R: Jean Negulesco; 25.07.) oder "I was an Adventuress" (USA 1940, R: Gregory Ratoff; 24.07.) an der Seite von Erich von Stroheim.
Mitte der 1940er Jahre weist Lorres Œuvre eine besondere Dichte und Vielfalt auf, mit Klassikern wie "The Maltese Falcon" (USA 1941, R/B: John Huston; 26.07. und 15.08.), "Casablanca" (USA 1943, R: Michael Curtiz), "Arsenic and Old Lace" (USA 1944, R: Frank Capra; 16.09. und 30.09.) und unbekannten Perlen wie "Hotel Berlin" (USA 1945, R: Peter Godfrey; 09.08.), "The Beast With Five Fingers" (USA 1946, R: Robert Florey; 24.08.), "Black Angel" (USA 1946, R: Roy William Neill; 15.09.) oder "Three Strangers" (USA 1946, R: Jean Negulesco; 17.08.).
Doch wenig später ist der Schauspieler immer weniger gefragt, er wird von den Studios ausgemustert. Pleite und von Hollywood frustriert, versucht Lorre 1950 einen Neuanfang in der Nachkriegsbundesrepublik. Es entsteht die meisterhafte und solitär gebliebene Regiearbeit "Der Verlorene" (1951, 21.07. und 21.09.), deren bitteres Scheitern an den Zeitumständen tiefe Spuren bei Lorre hinterlässt und ihn zurück nach Hollywood führt. Im Spätwerk dominiert schließlich ein mal gebrochener, mal selbstironischer Darsteller, der nur noch selten bereit ist, den Umfang seines Repertoires preiszugeben, in Filmen wie der Jules-Verne-Verfilmung "20,000 Leagues Under the Sea" (USA 1954, R: Richard Fleischer; 22.07.), dem Ninotschka-Musical-Remake "Silk Stockings" (USA 1957, R: Rouben Mamoulian; 26.08.) oder der Horrorkomödie "The Raven" (USA 1963, R: Roger Corman; 14.07.).
1984 drehten Harun Farocki und Felix Hofmann für den WDR den Beitrag "Peter Lorre – Das doppelte Gesicht" (19.07. und 05.09.). Im Nachlass des 2014 verstorbenen Filmemachers Farocki fand sich kürzlich eine Arbeitskopie mit einem für "Das doppelte Gesicht" gedrehten, aber nicht verwendeten Interview, das mit der Schauspielerin Gisela Trowe geführt wurde. Trowe spielt in "Der Verlorene" eine Prostituierte, die als einzige in der von Lorre verkörperten Hauptfigur Dr. Rothe den "Totmacher" erkennt. Das Filmmaterial wurde vom Harun Farocki Institut digitalisiert und wird in unserer Retrospektive erstmals öffentlich gezeigt.
Begleitend zu der vom Hauptstadtkulturfonds geförderten Retrospektive erscheint im Wiener Verlag Synema die Publikation:
"Das Gesicht hinter der Maske. Hommage an den Schauspieler Peter Lorre"
Frederik Lang, Brigitte Mayr, Michael Omasta (Red.)
Mit Beiträgen von Christoph Fuchs, Stefanie Mathilde Frank, Gerd Gemünden, Felix Hofmann, Frederik Lang, Brigitte Mayr, Peter Nau, Michael Omasta, Volker Pantenburg, Elisabeth Streit.
SYNEMA-Publikationen (Wien) 2018
Broschur, 96 Seiten, 40 Fotos
ISBN 978-3-901644-77-1, Preis: € 14.-
Zu bestellen über den Buchhandel oder direkt bei office@synema.at
Quelle: www.dhm.de/zeughauskino