Am Abend des 23. November 2023 wurden im Rahmen einer feierlichen Zeremonie im neuen Karlstorbahnhof Heidelberg die Gewinnerfilme des 72. Internationalen Filmfestivals Mannheim-Heidelberg geehrt.
Die prämierten Filme handeln, bei aller erzählerischen und ästhetischen Unterschiedlichkeit, von Protagonist*innen, die sich gegen widrige Lebensrealitäten, Gesellschafts- und Machtstrukturen behaupten müssen und dabei eine tief humane Botschaft vermitteln. Der mit 30.000 Euro dotierte Hauptpreis, der International Newcomer Award, geht an "In Flames" des pakistanischen Regisseurs Zarrar Kahn, der die Auszeichnung persönlich entgegennahm. "In Flames" ist ein Gesellschaftsporträt mit Nervenkitzel, in dem eine junge Studentin gegen die patriarchalen Machtstrukturen in Pakistan und die Dämonen ihrer eigenen Familiengeschichte kämpft.
Insgesamt konkurrierten im Wettbewerb 16 Erst- und Zweitfilme von herausragenden internationalen Regietalenten um sechs Preise. Fünf Preise werden von vier Jurys vergeben. Hinzu kommt der vom Publikum gekürte Gewinnerfilm, der den Audience Award erhält. Sämtliche Wettbewerbsfilme sind bis zum 26. November noch einmal zu erleben.
Angesichts voller Kinosäle, zahlreich besuchter Festival-Lounges und des durchweg begeisterten Feedbacks der internationalen Gäste zieht Festivalleiter Dr. Sascha Keilholz eine äußerst positive Zwischenbilanz und dankte allen Jurys für ihre engagierte Arbeit.
Die Gewinnerfilme und die Begründungen der Jurys im Detail:
INTERNATIONALE JURY
Jury-Mitglieder: Elisa Schlott, Denis Dercourt, Goran Stolevski
International Newcomer Award - Beste Regie (30.000 Euro, gestiftet von der Manfred Lautenschläger-Stiftung):
"In Flames"
Regie: Zarrar Kahn (Pakistan, Kanada)
Die Begründung der Jury: "Unser Preis geht an einen Filmemacher, dem es gelingt, das Genre zu wechseln und mit ihm zu spielen, während er gleichzeitig die Verbindung sowohl zu seinem Publikum als auch zu seiner Protagonistin während des gesamten Films aufrechterhält. Die Hauptfigur ist eine junge Frau, die sowohl mutig als auch zerbrechlich sein darf. Sie wird durch ein wunderbares Schauspieldebüt zum Leben erweckt, das die Inszenierung ergänzt. Der Gewinner ist 'In Flames'."
Rainer Werner Fassbinder Award – Bestes Drehbuch (15.000 Euro)
"The Sweet East"
Drehbuch: Nick Pinkerton (USA)
Die Begründung der Jury: "Der Rainer Werner Fassbinder Preis geht an eine formverändernde, unendlich überraschende Odyssee, bei der man nie weiß, was als nächstes kommt. Es ist eine einzigartige Geschichte, die eine ganze Reihe von Milieus im heutigen Amerika erkundet, und zwar unbeirrt, mit seltener Kühnheit und einer großzügigen Dosis rabenschwarzen Humors. Der Preis geht an 'The Sweet East'."
Lobende Erwähnung
"Touched"
Regie: Claudia Rorarius (Deutschland)
Die Begründung der Jury: "Unsere besondere Erwähnung geht an ein furchtloses und bemerkenswertes Werk, das die Sexualität zweier verletzlicher, isolierter Menschen erforscht, und zwar mit einzigartigem Einfühlungsvermögen und Detailreichtum. Unsere lobende Erwähnung geht an 'Touched'."
FIPRESCI Jury
Jurymitglieder: Nataliia Serebriakova, Michael Ranze, Roberto Tirapelle
FIPRESCI Award
"Animal"
Regie: Sofia Exarchou (Griechenland, Österreich, Rumänien, Zypern, Bulgarien)
Die Begründung der Jury: "Der zweite Film dieser Regisseurin ist ein fesselndes Werk. Das Thema ist im Kino wenig bekannt und verdient Anerkennung für seine Fähigkeit, Empathie zwischen den Charakteren zu schaffen und für die Aspekte der Ausbeutung hinter den glänzenden Kulissen. Wir verleihen unseren Preis an Sofia Exarchous zweiten Film 'Animal'. Außerdem möchten wir erwähnen, dass alle Schauspielerinnen und Schauspieler eine großartige Leistung zeigen."
Ökumenische Jury
Jurymitglieder: Lotta Lundberg, András Petrik, Markus Leniger
Ecumenical Award (2.500 Euro)
"An Endless Sunday"
Regie: Alain Parroni (Italien, Deutschland)
Die Begründung der Jury: "Drei auf sich gestellte Jugendliche auf der verzweifelten Suche nach Zuneigung begeben sich auf einen wilden Trip durch die Ewige Stadt. Der Film ist Roadmovie und Coming-of-Age-Story zugleich. Die Teenager stellen sich instinktiv die wichtigen Fragen über den Sinn des Lebens. Orientierungslosigkeit und Frustration treiben sie zu einem echten Warnschuss. Visuelle Anspielungen auf archaisch-biblische Bilder geben dem Film eine mehrschichtige Bedeutung. Mit der Geburt in der Schlussszene öffnen sich neue Perspektiven für die Drei. 'Ich bin erst 16, hilf mir!' Der Ecumenical Award geht an 'An Endless Sunday' von Alain Parroni."
Junge Jury
Jurymitglieder: Yasmin Renani, Joseph Holten, Tristan Horn
Student Award (5.000 Euro)
"Without Air"
Regie: Katalin Moldovai (Ungarn)
Die Begründung der Jury: "Wir fühlen uns sehr geehrt, die Möglichkeit zu haben, einen der 16 fantastischen Filme als Junge Jury auszeichnen zu dürfen. Die Entscheidung war nicht einfach, da wir viel großartige Filmkunst gesehen haben, jedoch haben wir uns für einen Film entschieden, der besonders eine junge Perspektive, aber auch wichtige gesellschaftliche Konflikte zeigt. Anhand eines Falls wird die Unverzichtbarkeit von universellen demokratischen Werten verdeutlicht. Die Geschichte des Filmes zeigt leider auch, wie Menschen unter sozialem und finanziellem Druck diese Überzeugungen vernachlässigen oder gar aufgeben. Filme dieser Art könnten in bestimmten Ländern heute so nicht nochmal produziert werden. Daher ist der Film schon nach kurzer Zeit historisch und ein Appell, in jedem gesellschaftlichen Kontext für die Freiheit der Lehre, im Kontext der Schule aber auch der Uni, einzustehen - trotz Gegenwind einer lauten Minderheit oder eigener Bequemlichkeit. Der Preis der Jungen Jury geht an 'Without Air'."
Das Publikum
Audience Award (5.000 Euro)
"Upon Entry"
Regie: Alejandro Rojas, Juan Sebastián Vásquez (Spanien)
Der Publikumspreis geht in diesem Jahr an einen Film, der die Zuschauer*innen mit in den beklemmenden Transitbereich eines US-Flughafens nimmt. Ein junges Paar, er aus Venezuela, sie aus Barcelona, möchte nach Miami auswandern und droht unter dem Druck der Fragen der Einwanderungsbehörde zu zerbrechen. Ein virtuoses Kammerspiel, das in 77 mitreißenden Minuten ein unmenschliches Einwanderungssystem und den Preis der Sicherheit offenlegt.
Das 72. IFFMH findet vom 16. bis 26. November statt.
Die Namensformen "Fassbinder", "Rainer Werner Fassbinder" und "RWF" (als Wort und Bildmarke) sind registrierte Marken der Rainer Werner Fassbinder Foundation, Berlin.
Quelle: www.iffmh.de