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Dokumentarfilm über den Liedermacher Hans-Eckardt Wenzel, der seine Karriere Anfang der 1980er Jahre in der DDR begann und seit der Wiedervereinigung auch in Westdeutschland Erfolge feiern kann. Der Film begleitet den Sänger bei öffentlichen Auftritten und Konzerten, zeigt aber auch den Privatmann Wenzel. Neben ihm selbst kommen auch zahlreiche Weggefährt*innen, Freund*innen und Kolleg*innen zu Wort, darunter Konstantin Wecker und Nora Guthrie, die Tochter des US-amerikanischen Singer-Songwriters Woody Guthrie, dessen unveröffentlichte Texte Wenzel einst bearbeiten durfte.
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Das könnte die Dokumentation des einstigen Defa-Dokumentaristen Lew Hohmann ändern, die am 4. Oktober 2023 im „Dritten“ des Rundfunks Berlin-Brandenburg erstausgestrahlt worden ist. Weil sich prominente Wegbegleiter wie der West-Kollege Konstantin Wecker („Er ist poetisch. Er gefällt mir wegen seiner grundanarchischen Einstellung. Da sind wir zwei uns sehr ähnlich“), der Filmemacher Andreas Dresen („Es macht Spaß ihm zuzugucken, ich seh‘ den gerne …mit seiner kräftigen Stimme und dem wilden Haar“), der Schriftsteller und Dramatiker Christoph Hein („Mein bester Freund“) und die Politikerin Antje Vollmer als absolute Fans des politisch-engagierten undogmatischen Linken outen, der schon zu DDR-Zeiten Klartext gesungen hat in deutscher Sprache.
Seine stets humorvoll-ironischen, bisweilen arg spöttischen, aber immer wieder auch zart-poetischen Lieder kommen, so seine Schwester Claudia Wenzel, deshalb so authentisch ‘rüber, weil sie auf persönlichen Erlebnissen beruhen. Ihr Bruder sei ein Melancholiker und gleichzeitig ein Anarchist, der sich all‘ die Jahre selbst treu geblieben ist, selbst in der schlimmen Corona-Zeit, in der er etwa in Leipzig vor zweihundert mit großen Zwischenräumen platzierten Zuhörern auftreten musste, statt vor sechshundert. Darunter auch ganz junge Schauspielstudenten, die seine menschelnden Texte als zeitlos aktuell empfinden.
„Ich brauche das Gefühl, gebraucht zu werden“: Jährlicher Höhepunkt ist Wenzels „Woodstock des Nordens“ genanntes sommerliches Festival „Kamp Open Air“ auf der Hafenwiese mit Blick auf die Insel Usedom. Das Grundstück sollte an einen Investor verkauft werden – ausgerechnet zur Zeit der zweiten Corona-Welle 2020. Ins Netz gestellte Benefiz-Konzerte und Crowdfunding brachten die notwendigen 200.000 Euro für die westdeutsche Erbengemeinschaft zusammen, sodass das von einem gemeinnützigen Verein betriebene Festival unweit der Peene-Mündung gerettet werden konnte.
Wenzels Wittenberger Klassenkamerad Reiner Haseloff, Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, und Nora Guthrie, die Tochter der amerikanischen Folklegende Woody Guthrie hat ihm im Februar 2003 den Ritterschlag als erster Deutscher bei einem Tribute-Konzert in der wöchentlichen Radioshow „Grand Ole Opry“ in Nashville verschafft, erweitern den Blick nicht nur auf den Musiker, sondern vor allem auf den Menschen Hans-Eckardt Wenzel. Der an der Berliner Humboldt-Universität zugleich mit Wolf Biermann bei Wolfgang Heise studierte, den er seinen „akademischen Ziehvater“ nennt.
„Karl’s Enkel“ nannte sich damals eine Musik-Theater-Gruppe an der Ost-Berliner Uni, die in politischen Revuen im Stil der 1920er Jahre die bestehenden Verhältnisse im real existierenden Sozialismus kritisierte – im FDJ-Blauhemd der Singebewegung und mit Wenzel als Hauptautor. Das Deppen-Apostroph hat es übrigens bis in seinen DDR-Künstlerausweis geschafft. Die „Enkel“ wurden 1982 abgelöst durch das nicht weniger subversive Clowns-Duo „Meh&Weh“ mit dem späteren Theater-Intendanten Steffen Mensching. Als es Ende der 1980er Jahre mit ihrem satirischen Programm „DaDaeR“ nach zahlreichen Sanktionen und Verboten zu Ende ging, zog sich Wenzel vom SED-Staat zurück und „flüchtete“ mit einer FDJ-Gruppe zum Soli-Einsatz in eine Klinik in Nicaragua.
Die Idee zur mit einigen historischen Adlershofer TV-Schnipseln und Privataufnahmen bereicherten Dokumentation entstand, als Lew Hohmann einen Film über Christoph Hein drehte und entdeckte, dass der Schriftsteller und der Liedermacher eng miteinander befreundet sind. Der Filmtitel nimmt Bezug auf das im Oktober 2007 erschienene Studioalbum „Glaubt nie, was ich singe“.
Pitt Herrmann