Inhalt
Nach mehr als zehn Jahren kehrt Rona in ihre Heimat auf den entlegenen Orkneyinseln zurück. Während sie die einzigartige, raue Landschaft, in der sie aufgewachsen ist, wiederentdeckt, vermischen sich ihre Kindheitserinnerungen mit solchen aus der letzten, von Sucht geprägten Zeit. Ihr damaliger Aufbruch in die Stadt und die folgenden ausschweifenden Jahre in London mündeten in einen schmerzhaften Absturz. Doch nach und nach wird die Begegnung mit den verwunschenen, windgepeitschten Küsten der Inseln zu einer Chance auf ein neues Leben.
Nora Fingscheidts Adaption von Amy Liptrots autobiografischem Bestseller blickt in erschütternden Rückblenden auf die Abwärtsspirale, die Rona in London durchlebt, und auf ihre Zeit in einem strengen Entzugsprogramm. Im Zentrum des Films steht jedoch ihre Befreiung von persönlichen Dämonen durch die Verbindung mit der Natur der Heimat ihrer Kindheit.
Quelle: 74. Internationale Filmfestspiele Berlin (Katalog)
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Rona ertrinkt – in Bier und Schnaps. Indem sie kurz vor Zapfenstreich alle Reste der am Tresen und auf Tischen stehenden Gläser eines Londoner Pubs leert, bis sie der Türsteher Dave (David Garrick) unsanft vor die Tür befördert. Die 29-Jährige stammt ursprünglich aus dem Norden Schottlands und hat sich schon immer für die Natur der einzigartigen Landschaft, in der sie aufgewachsen ist, begeistert. Auf einer der entlegenen Orkney-Inseln bewirtschaften ihre Eltern eine Farm hauptsächlich für Schafe.
Rona hat während der Schulzeit Ferienjobs beim Vogelschutz absolviert und folgerichtig in London ihren Master in Biologie gemacht. Aber ihr ausschweifendes Leben in der aufregenden Themse-Metropole ist ihr nicht gut bekommen, Rona ist förmlich abgestürzt. Und nach zehn Jahren erstmals auf die nun allein von ihrer Mutter Annie bewohnte Farm zurückzukehren, um ihrem betagten, unter einer bipolaren Störung leidenden Vater, der in einer kargen Baracke haust, beim Ablammen und der Kennzeichnung der Neugeborenen zu helfen – und dann möglichst schnell wieder in die Großstadt zurückzukehren. Obwohl ihr der heftige Rückfall nach 90-tägiger Abstinenz in einer Therapiegruppe eine Warnung sein müsste.
Doch daraus wird erst einmal nichts. Rona, deren Eltern seit geraumer Zeit getrennt leben, fühlt sich bald wieder eins mit der rauen Natur der windumtosten Inseln. Erinnerungen an ihre Kindheit (Freya Evans als junge Rona), an ihre gläubige Mutter kehren zurück, werden allerdings immer wieder überlagert von geradezu alptraumartigen Rückblicken auf die Londoner Partynächte in einschlägigen Clubs. Gerade als sie nachts mitten im Steinkreis der archäologischen Ausgrabungsstätte „Ring of Brodgar“ steht, kommen schmerzhafte Erinnerungen an ihre große Liebe auf: Daynin hat immer wieder vergeblich versucht, mit ihren Alkoholexzessen fertig zu werden – und sich nun einer neue Freundin zugewandt.
Rona lernt Calum (Martin Gray) kennen, der den einzigen Laden auf der Insel führt, spricht mit Farmern und Naturschützern, die sie teilweise von früher kennt. Als es zu Weihnachten wetterbedingt weder Fähr- noch Flugverbindungen aufs britische „Festland“ gibt, kann sich Rona vorstellen, ein neues Leben zu beginnen in und mit der Natur. Besonders die für das Überleben der Menschheit bedeutsame Forschung zur Algenzucht weckt ihr Interesse…
„The Outrun“, das autobiografische Buch der Journalistin Amy Liptrot, die Auseinandersetzung mit ihrer Alkoholkrankheit sowie der Flora und Fauna ihrer Heimat, der Orkneyinseln vor der Nordküste Schottlands, stand wochenlang auf den britischen Bestsellerlisten und wurde 2016 mit dem Wainright Prize und 2017 mit dem PEN Ackerley Prize ausgezeichnet. Es wurde allein in Großbritannien über 110.000-mal verkauft und später in fünfzehn Sprachen übersetzt. In Deutschland ist „Nachtlichter“ 2017 im btb Verlag erschienen. Die Amy des Buches heißt im Film Rona – nach einer schottischen Insel, nicht bezogen auf die Schauspielerin Saoirse Ronan.
Die deutsche Regisseurin Nora Fingscheidt („Systemsprenger“) ist mit „The Outrun“ ein Film über die Möglichkeiten der Selbstheilung gelungen, der analog zur Buchvorlage Hoffnung machen soll. Er ist ganz auf die irische Hauptdarstellerin und Mitproduzentin Saoirse Ronan zugeschnitten, die auch aus dem Off Passagen der Vorlage vorträgt, die nicht unmittelbar in eine Filmhandlung zu integrieren sind – von geologischen Untersuchungen der Inselgruppe bis hin zur Lebensweise des vom Aussterben bedrohten Wachtelkönigs.
Neben dem Berliner Kameramann Yunus Roy Immer, dessen ungewöhnliche Perspektiven von bewusst eingeengtem Blickfeld bis hin zu grandiosen Natur- und Landschaftspanoramen erst auf der großen Kinoleinwand ihre suggestive Wirkung entfalten, gebührt dem im fränkischen Hof geborenen Editor Stephan Bechinger ein Großteil der Meriten: chronologisch erzählt wäre „The Outrun“ nur eine herkömmliche Geschichte mit essayistischem Einschlag.
Nora Fingscheidt im Studiocanal-Presseheft: „Ich fühle mich zu Figuren hingezogen, die ihre eigenen Kämpfe in sich tragen. Diese Figuren passen vielleicht nicht in die Gesellschaft, aber gleichzeitig gibt es keinen klaren Antagonismus von außen. Es ist ein Kampf mit ihren inneren Dämonen.“
Pitt Herrmann