Inhalt
Episoden aus dem Leben Karl Liebknechts zwischen 1914 und 1916. Als einziger SPD-Abgeordneter stimmt er im Reichstag gegen Kriegsanleihen. Zum Kriegsdienst gezwungen, leistet er, ungeachtet der Repressalien, denen seine Familie in Berlin ausgesetzt ist, an der Front in Frankreich Aufklärungsarbeit. Illegal tritt er auf Großkundgebungen zum 1. Mai 1916 in Jena und Berlin auf, wird verhaftet und des Landesverrats angeklagt. Vor Gericht bleibt er seiner Überzeugung treu und klagt seine Ankläger als Feindes des Volkes an.
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Der mit Druckaufträgen nach Deutschland und in die Schweiz entsandte Kurier Lenins hat es nach großen Schwierigkeiten auf dem Weg von Moskau nach Berlin offenbar gerade noch bis in die Wohnung des SPD-Reichstagsabgeordneten geschafft: Nachdem „Doktor Katz“, diesen Spitznamen Veras hat er nun für alle Zeiten, das Puppenbein fachmännisch umwickelt hat, kann er sich nicht mehr um die vierbeinigen Hausgenossen kümmern, obwohl er Veterinär von Beruf ist – der völlig erschöpfte Frolow schläft im Sessel ein. Und der später eintreffende Karl Liebknecht legt ein schalldämmendes Kissen auf den Telefonhörer...
Auf so ungewöhnliche Weise, mit einem Blick in das Privatleben und auf den Menschen Karl Liebknecht, beginnt ein aufwändiger Defa-Film über die Ikone des Spartakus-Führers und KPD-Gründers, der, noch in Schwarz-Weiß gedreht, am 10. September 1965 in die Kinos beider deutscher Staaten kam – im „Totalvision“ genannten Breitwandformat. Günter Reisch, der sich als Regieassistent Kurt Maetzigs bei dessen Mitte der 1950er Jahre entstandenen Thälmann-Filmen empfohlen hatte, setzte mit „Solange Leben in mir ist“ ein Projekt des 1963 bei einem Autounfall ums Leben gekommenen Regisseurs Slatan Dudow fort. Am Drehbuch mitbeteiligt waren die Autoren der Thälmann-Filme, Martin Tschesno-Hell und Willi Bredel, sowie Liebknechts Witwe Sophie, welche aber noch vor der Premiere verstarb.
Die von vornherein auf einen Mehrteiler angelegte Produktion, offenbar aus Kostengründen konnte erst sieben Jahre später mit dem gleichen Team immerhin ein zweiter Film, „Trotz alledem!“, realisiert werden, war vom SED-Politbüro als „bedeutende nationale Aufgabe“ eingestuft und entsprechend ausgestattet worden: Sechs Millionen Mark standen allein für den ersten Film zur Verfügung, der an Originalschauplätzen in Berlin, Leipzig und Jena gedreht wurde. Der einst so verkehrsreiche und nun wüste, von der Mauer durchzogene Potsdamer Platz und der nach dem Krieg nicht wieder in historischer Form rekonstruierte Plenarsaal des hinter der Mauer unerreichbaren Reichstagsgebäudes wurden in den Babelsberger Ateliers nachgebaut, wofür extra eine neue Halle in Tragluftkonstruktion errichtet werden sollte, was dann aber nicht so wie gewünscht klappte.
In einer, so Günter Reisch später, „episch-dramatischen Mischform“ erzählt der Film zentrale Episoden aus dem Leben Karl Liebknechts in den Jahren 1914 bis 1916 mit dem Ziel, die Bedeutung der Geschichte für die Gegenwart herauszuarbeiten. Damit reiht sich dieses Projekt ein in das von der Defa sorgsam gepflegte Genre des biographischen Films mit einem beachtlichen Volumen von rund vierzig zwischen 1949 und 1989 entstandenen Produktionen. Dabei wurde wie auch in beiden Liebknecht-Biopics größter Wert auf historische Authentizität gelegt: Was Horst E. Brandt vor seine Kamera bekam, stammte aus zahlreichen militärhistorischen Museen des ganzen Ostblocks. Und den Ausstattern dienten 10.000 historische Fotografien als Grundlage für die Sets.
„Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!“: Für „Solange Leben in mir ist“, noch mehr aber für den weitaus unmittelbarer der Einheitspartei-Propaganda verpflichteten Nachfolger „Trotz alledem!“ gilt dieser Ausspruch als Motto. Karl Liebknecht hat sich im Parlament vehement gegen den ersten Kriegstreiber, den Essener Unternehmer Krupp, und die anderen kapitalistischen „Händler mit dem Tod“ zur Wehr gesetzt und sich damit zusehends in seiner Fraktion isoliert. Als er gerade an einer Hochzeitsfeier der Proletarierfamilie Schreiner teilnimmt, ihre Geschichte erzählt Günter Reisch paradigmatisch in zeitlicher Parallelität zu den (partei-) politischen Ereignissen, verkündet ein Extrablatt vom „Mord in Sarajewo“. Der Erste Weltkrieg steht bevor und Krupp fährt Schampus auf, als er dem Kaiser und der Generalität die Reichweite seiner neuen Kanonen vorführt.
Die Kriegswirtschaft wittert das große Geschäft, der Kaiser erhofft den Sieg über einen geschwächten Erzfeind, und die konservativen Politiker setzten die Welle des Hurra-Patriotismus in Gang, der sich bald auch die Sozialdemokratie nicht mehr erwehren kann. Unter dem Helm mit der Pickelhaube verkündet der Kaiser, er kenne nun keine Parteien mehr, sondern nur noch Deutsche. Liebknecht, der als Wortführer der zahlenmäßig unterlegenen Linken in seiner Fraktion vergeblich gegen die Bewilligung der ersten Kriegsanleihe kämpft, unterwirft sich ein letztes Mal der Parteidisziplin.
Als einziger der 110 Reichstagsabgeordneten der SPD verweigert er später weiteren Kriegsanleihen seine Zustimmung – und wird auch in den eigenen Reihen als vaterlandsloser Geselle beschimpft. Seine ganze Familie ist Repressionen ausgesetzt: Sophie erhält im Geschäft keine Milch mehr und muss sich auf der Straße unflätiger Annäherungsversuche des Hauptmanns von Preuss erwehren, einem Agent provocateur der Rechten. Tochter Vera wird von den anderen Klassenkameraden in der letzten Bankreihe isoliert – und Karl selbst in die Schützengräben Flanderns verbannt. Doch es gibt auch einige Aufrechte wie den Musikprofessor Wendler - und in der Partei, in der Industriearbeiterschaft Berlins, gehen die Diskussionen weiter.
Sie erhalten neuen Auftrieb durch die aus der Haft entlassene Rosa Luxemburg, die zusammen mit den jungen Spartakisten, welche sich um Liebknecht geschart haben, den 1. Mai 1916 wieder zum Kampftag der Arbeiter machen wollen: Am Potsdamer Platz strömen Tausende zusammen, um ihren bei allem bürgerlichen Habitus charismatischen Führer zu hören. Liebknecht hat kaum ein paar Sätze gesprochen, als er verhaftet und des Landesverrats angeklagt wird. Auch vor Gericht lässt er sich nicht beugen, nennt die Kriegsgewinnler in Wirtschaft, Staat und Gesellschaft beim Namen und wird für Jahre eingekerkert.
„Solange Leben in mir ist“ wurde 1966 gleich mit vier DDR-Nationalpreisen (II. Klasse) für Michael Tschesno-Hell, Horst E. Brandt, Günter Reisch und Horst Schulze ausgezeichnet. Der Ostdeutsche Rundfunk Brandenburg (ORB) sorgte am 13. Januar 1994 für die TV-Erstausstrahlung.
Pitt Herrmann