Inhalt
Verfilmung des autobiografisch geprägten Romans von Charlotte Roche: Elizabeth Kiehl hat durch einen Autounfall nahezu ihre komplette Familie verloren – und zwar ausgerechnet, als diese sich auf dem Weg zu ihrer Hochzeit befand. Das daraus resultierende Trauma hat Elizabeth auch Jahre später noch nicht überwunden. Mit Besuchen bei einer Therapeutin versucht sie, ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen. Zugleich führt sie mit ihrem Mann, dem verständnisvollen Galeristen Georg, ein äußerst unkonventionelles und ausschweifendes Sexleben – denn einzig beim Sex scheint Elizabeth mit sich selbst und der Welt in Einklang zu kommen.
Kommentare
Sie haben diesen Film gesehen? Dann freuen wir uns auf Ihren Beitrag!
Jetzt anmelden oder registrieren und Kommentar schreiben.
Jedenfalls aus Elizabeths Sicht, die wenigstens beim Sex alle Probleme, mit denen sie sich durchs Leben schlägt, vergisst und deshalb allseits bereit ihre Beine breit macht und ihren Hintern ausstreckt – der Herr mags am liebsten wie sein Hund, wenn er denn einen hätte. An Problemen wären da zunächst die nächtlichen Träume ihrer kleinen Liza, die sich eine Hexe unter ihrem Hochbett einbildet, aber auch die eigenen Alpträume sind nicht zu verachten. Sie führen acht Jahre zurück, als Elizabeth bei einem schrecklichen Autounfall ihre drei jüngeren Geschwister, den neunjährigen Sebastian, den sechsjährigen Paul und die 17-jährige Sarah verloren hat. Nur ihre Mutter und Sarahs Freund Tim entkamen damals dem Inferno der durch einen ausbrechenden LKW verursachten Massenkarambolage. Sie waren auf dem Weg zu Elisabeths Hochzeit mit Lizas Vater, Stefan Loss, mit dem Hochzeitskleid auf dem Dachgepäckträger. An eine Trauung auf Sylt war nun nicht mehr zu denken und auch sonst hat es alles verändert...
Elizabeth ist mit dem in sich ruhenden, stets tiefenentspannten Georg glücklich, zumal es der altklugen Liza offenbar gefällt, dass gleich zwei Väter sich rührend um sie kümmern ohne jedes Platzhirsch-Röhren. Dennoch würde sie am liebsten ihre Therapeutin in die eigene großzügige Villa im Bauhaus-Stil einquartieren, schon um sich nicht immer der klaustrophobischen Enge des Fahrstuhls aussetzen zu müssen, welcher sie beinahe täglich in das im 13. Stock befindliche Behandlungszimmer der Frau Drescher befördert. Denn diese Besuche sind Teil ihres Lebens geworden, das auch nach acht Jahren noch immer bestimmt wird von Schuldgefühlen: war es doch ihr Hochzeitskleid, das keinen Platz im kleinen Inselflieger fand. Und von Rachegefühlen gegenüber den Sensationsreportern der Boulevardzeitung mit den vier Großbuchstaben im Titel, welche ihr bis hinein ans Klinikbett keine Ruhe gelassen haben.
Beinahe so häufig wie Frau Drescher erhält der Notar Dr. Norbert Bischof honorarpflichtigen Besuch seiner liebsten Klientin: Elizabeth lässt, von Todesahnungen gequält, ihr Testament laufend mit neuen Zusätzen versehen. Der Kontrollfreak möchte auch nach dem eigenen Ableben nichts dem Zufall überlassen. Doch – wo bleibt das Leben jetzt? Mit Liza, die endlich wieder Stockbrot am Lagerfeuer rösten will, mit dem geduldigen Georg, der viel Zeit für seine aufgeweckte Stieftochter aufbringt...
Sönke Wortmanns „Schoßgebete“ ist keine Literaturverfilmung im 1:1-Verhältnis. Produzent Oliver Berben hat als Drehbuch-Debütant durchaus versucht, eigene Schwerpunkte zu setzen. So spielt das Angebot des Sexshops, in dem die Verkäuferin das Ehepaar Kiehl schon als zur Familie gehörende Stammgäste adoptiert, keine Rolle und schon gar nicht die gewichtige der Romanvorlage. Dafür wird endlos geredet, zumeist von Lavinia Wilson, für die Maher Malehs Kamera offenbar wie ein Spiegel fungiert: die rund um die Uhr ichbezogene Elizabeth kreist ausschließlich um sich selbst. Die beiden Kerle in ihrem Leben dürfen dabei nur stumm zuhören wie die Therapeutin.
Dennoch kommt der Film naturgemäß um Charlotte Roches mehr oder minder autobiographischen Mittelpunkt nicht herum: bei Elizabeth und Georg dreht sich selbst bei Fadenwurm-Befall (Roland Wolf als verständnisvoller, aber resoluter Apotheker) alles nur um Sex, gern auch im Swinger-Club zu dritt (mit Isabelle Redfern als Prostituierte Grace). Um analen, nicht vaginalen. Was mit der Feminismus-Bewegung der 1970er Jahre zu tun hat, wie Elizabeth ihrer Therapeutin erläutert: „Es ist für mich sehr schwer, Sex zu haben, ohne an Alice Schwarzer zu denken.“ Das liest sich bei Charlotte Roche im Kontext ihres 2011 herausgekommenen Romans ja noch ganz amüsant, im Film wirkt eine solche Aussage in ihrer unfreiwilligen Komik deplatziert.
In kleinen Gastrollen sind Anne Will als investigative TV-Reporterin im Sündenbabel Sauna-Club und die Bochumer Schauspielerin Bettina Engelhardt als Klinikärztin Dr. Eva Schaller zu sehen. Sie komplettieren einen Cast, aus dem wohl nicht ganz ungewollt Lavinia Wilson herausragt, deren physiognomische Ähnlichkeit mit der Buchautorin Charlotte Roche der reine Zufall sein soll. Im Kino war die Normalversion für Zuschauer ab 16 Jahren zu sehen, ins Fernsehen kam am 8. September 2016 auf Arte eine leicht abgespeckte Fassung für Zuseher ab zwölf.
Pitt Herrmann