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Der Film porträtiert die Tunesierin Olfa, Mutter von vier Töchtern, von denen die beiden älteren sich eines Tages der Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) anschlossen, scheinbar ohne jede Vorwarnung. Olfa, die mit den beiden jüngsten Töchtern alleine zurückbleibt, ist verzweifelt, hilflos und voller Schuldgefühle. Mit einer Kombination aus Dokumentation und Re-Enactment-Szenen beleuchtet der Film den Familienkonflikt und versucht den Ursachen für die Entscheidung auf den Grund zu gehen, wobei die beiden abwesenden Töchter und in einigen Szenen auch Olfa selbst von professionellen Schauspielerinnen verkörpert werden.
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Tränen auch bei Olfas beiden jüngeren Töchtern Eya und Tayssir, die sich selbst spielen, während die Schauspielerinnen Ichraq Matar und Nour Karoui die beiden älteren Töchter Ghofrane und Rahma darstellen. Letztere sind, scheinbar aus heiterem Himmel, 2016 nach Libyen gereist, wo sie sich der zum Islamischen Staat (IS) zählenden Terrororganisation Daesh anschlossen. Was ihre alleinerziehende Mutter noch im gleichen Jahr publik machte: Olfa trug Männerkleidung und absolvierte Krafttraining, um ihre Familie vor zudringlichen Männern, welche sogar versuchten, die Wohnungstür einzutreten, zu beschützen.
Andererseits offenbart Olfa ein konservatives Weltbild, das selbst im heutigen Tunesien obsolet erscheinen muss: Die vierfache Mutter findet alles Körperliche obszön, sodass es versteckt werden muss. Und schon gar nicht in die Öffentlichkeit sozialer Medien gehört. Sie schlug Ghofrane, als diese sich die Haare färbte und die Beine enthaarte. Was den Widerspruch der Schauspielerin Hend Sabri provoziert: Der Körper einer Frau sei keineswegs das Eigentum des Ehemannes und Olfas Töchter hätten ein Recht auf Selbstbestimmung, auch was ihre Selbstdarstellung im Internet betreffe.
„In dem Film kann ich offen sprechen“: Tayssir und ihre Schwester sprechen in verblüffender Ehrlichkeit am Set, einem recht heruntergekommenen Hotel in Tunis, über ihren permanent schimpfenden und immer wieder auch gewalttätigen Vater – und ihren kaum besseren Stiefvater. Was den alle Männerrollen verkörpernden Schauspieler Majd Mastoura dazu bringt, sich einigen nachgestellten Szenen zunächst zu verweigern. Es sind Olfas jüngere, selbstbewusste Töchter, die von der allmählichen Wandlung ihrer Schwester Ghofrane erzählen. Die sich nach dem Auftritt eines Predigers in einem Zelt auf dem Marktplatz einen Hijab zulegte, später sogar wie ihre Schwester Rahma nur noch mit dem Gesichtsschleier Niqab auf die Straße ging.
Die patriarchalen Machtstrukturen spielen eine weit größere Rolle als religiöse und moralische Traditionen in diesem nur in wenigen Räumen besagten Hotels gedrehten Kammerspiel, das mit den Hamrouni-Frauen auf Spurensuche geht nach den Gründen einer zunächst unerklärlichen Radikalisierung. Kaouther Ben Hania hat sich konzeptuell eigenen Angaben nach an Lars von Triers „Dogville“ orientiert.
Die Regisseurin im Rapid Eye-Presseheft: „Ich wollte ein Brechtsches Element in meinem Film, dass es ermöglicht, eine Szene zu spielen und gleichzeitig zu reflektieren. Ich wollte, dass man über das, was gespielt wurde von Momenten des Handelns zu Momenten der Reflexion gehen konnte. Die Grenzen sollten verschwimmen, denn wir verbringen unsere Zeit mit Schauspielen im Leben und – noch stärker – vor der Kamera. Seit meinen Anfängen habe ich die schwierige Beziehung zwischen Fiktion und Dokumentarfilm immer genossen. Es ist ein roter Faden, der sich durch alle meine Filme zieht.“
Pitt Herrmann