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Dokumentarfilm des Regisseurs Fatih Akin über das Schicksal des türkischen Dorfes Camburnu, Heimatort seiner Großeltern. Seit die Regierung oberhalb des Örtchens eine Mülldeponie bauen ließ, hat sich die Lebenssituation in Camburnu dramatisch verschlechtert. Über sechs Jahre hinweg dokumentierte Akin den unermüdlichen Kampf der Bewohner gegen eine drohende Umweltkatastrophe: Da beim Bau der Anlage grundlegende Sicherheitsstandards nicht eingehalten wurden, kommt es immer wieder zu Unfällen, die die Umgebung nachhaltig belasten. Die Luft ist verpestet und das Grundwasser verseucht – nicht zuletzt für die zahlreichen Teebauern der Gegend eine Katastrophe.
Während der Regenzeit spült das Wasser den Müll ins Dorf, Vogelschwärme und streunende Hunde werden durch die Deponie nach Camburnu gelockt. Der einstmals malerische Ort gleicht inzwischen einem Krisengebiet. Aber trotz der offensichtlichen Auswirkungen wird jeden Tag mehr Müll auf die Deponie gekarrt.
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Und sich im Vorgespräch zur Preview im Schauspielhaus Bochum anlässlich der Verleihung des Peter-Weiss-Preises am 29. November 2012 zu diesem für das Genre eher ungewöhnlichen Standpunkt bekannt: „Objektivität gibt es nicht. Ich habe aber auch der Gegenseite Raum gegeben, sich zu äußern.“ Dass diese sich dabei selbst diskreditiert hat mit Worten und überhaupt dem ganzen Auftritt vor Herve Dieus Kamera, spielt Fatih Akin natürlich in die Karten. Der ganz offen eingesteht, dass die mit seinem Film erhofften Veränderungen in Politik und Gesellschaft der Türkei nicht eingetreten sind. Im Gegenteil: Das Thema Umwelt spielt in der Heimat seiner Familie noch so gut wie keine Rolle.
Çamburnu ist ein kleines Bergdorf im Nordosten der Türkei. Dank des mild-feuchten Klimas des Schwarzen Meeres leben die Bewohner seit Generationen vom Teeanbau und von der Fischerei. Und, das zeigen die ersten beeindruckenden Bilder aus der Vogelperspektive, im Einklang mit einer erstaunlich üppigen Natur. Eine sattgrüne Idylle, welche wie die zuvor in Semih Kaplanoglus 2010 auf der Berlinale mit dem Goldenen Bären ausgezeichnetem Spielfilm „Bal – Honig“ gezeigte allen unseren mitteleuropäischen Vorstellungen von der Türkei widerspricht.
Sie ist gefährdet, als die Regierung den Beschluss fasst, direkt oberhalb des Dorfes in der Tagebaugrube einer stillgelegten Kupfermine eine Mülldeponie einzurichten, damit den zahlungskräftigen Schwarzmeer-Touristen der Anblick des Unrates erspart bleibt. Trotz der Proteste des Bürgermeisters, welcher der in Ankara regierenden Partei angehört, und der Dorfbewohner entsteht sieben Kilometer von der Küste entfernt eine Anlage, die wichtige Sicherheits- und Baustandards nicht erfüllt und fortan durch Unfälle und Havarien kontinuierlich die Umwelt verschmutzt. Die Luft wird verpestet, woran auch das anfängliche Versprühen von Parfümstoffen nichts ändert, Lecks in der Ummantelung verseuchen das Grundwasser und in der alljährlichen Regenzeit spült das Wasser den Müll die Abhänge herunter.
Abgesehen von Vogelschwärmen und streunenden Hunden, die das Dorf geradezu belagern, wird den Teebauern, deren Plantagen unterhalb der Deponie liegen, die Lebensgrundlage genommen: Sie können die stark verschmutzten Teeblätter nicht mehr verkaufen. Wenn sich dann einmal der Gouverneur aus Trabzon oder gar ein Minister aus der Hauptstadt nach Çamburnu verirrt, etwa nach dem für die Plantagen verheerenden Zusammensturz einer Klärbecken-Mauer, so verschwindet er rasch wieder in der bewachten Kolonne der Luxusfahrzeuge mit den getönten Scheiben...
Fatih Akin ist 2006 nach Çamburnu gekommen, um im Heimatdorf seiner Großeltern das Finale seines Spielfilms „Auf der anderen Seite“ zu drehen. Als er von der drohenden Umweltkatastrophe erfährt, entscheidet er sich, mit seinen Mitteln dagegen anzukämpfen. Fünf Jahre dokumentiert er zwischen 2007 und 2012 den Kampf des kleinen Dorfes gegen die mächtigen Institutionen, hält mit Hilfe des Dorffotografen und Ortschronisten Bünyamiun Seyrekbasan, der mit einer eigenen Kamera ausgestattet wird, auch die unweigerlichen Katastrophen fest, die das ehemalige Paradies immer wieder heimsuchen.
Durch Seyrekbasans ständige Präsenz vor Ort und seine Vertrautheit mit den Dorfbewohnern geht „Müll im Garten Eden“ weit über die Dokumentation eines Umweltskandals, wie er durchaus auch im ganzen Mittelmeerraum denkbar ist, hinaus als ein bemerkenswertes Porträt der türkischen Gesellschaft abseits der Metropolen - und ein bewegendes Plädoyer für Zivilcourage. Free-TV-Premiere war am 15. September 2014 im „Dritten“ des Norddeutschen Rundfunks.
Pitt Herrmann