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Martha ist Berlinerin, Jahrgang 1910. Hinter ihr liegt ein schweres Leben: 1945 Trümmerfrau blieb sie zuletzt bis 1978 bei einem volkseigenen Tiefbaubetrieb. Daneben ist sie auch Mutter und Großmutter.
Der Film zeigt Marthas letzte Arbeitstage auf der Rummelsburger Kippe, wo sie am Förderband bei Wind und Wetter Bauschutt sortiert und lässt sie aus ihrem schweren und erfüllten Leben erzählen.
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Martha gehört zu den letzten Trümmerfrauen, welche die total zerstörte „Reichshauptstadt“ in den 1940er und 1950er im wahren Wortsinn mit den eigenen Händen wiederaufgebaut hat. Sie ist 1951 mit einer kleinen, aber seinerzeit sehr modernen und offenbar immer noch sehr schönen Wohnung an der Karl-Marx-Allee belohnt worden, im monumentalen sowjetischen Zuckerbäckerstil erbaut an der damaligen Stalinallee: Eineinhalb Zimmer, Balkon mit Blick auf die Weberwiese, 39 Mark Miete. Jürgen Böttcher, der Martha dort besucht hat, bestätigt ihre Einschätzung im Pausengespräch mit der Brigade beim Kaffee in der Baracke. „Zu nah dürfen se mir nicht kommen, dann is Feierabend“: Martha, die einzige Frau weit und breit, kann sich als 68-Jährige deutliche Worte leisten. Ihren Kollegen sieht man dagegen die Scheu vor der Kamera an, auch als Probleme angesprochen werden. Wie der Stillstand an der Sortieranlage durch Materialermüdung und der Reparaturstau durch Fachkräfte-Mangel in der Werkstatt.
Ihre Abschiedslage fällt nicht ohne jede Menge gute Ratschläge der „Erzieherin“ für die Brigade und mit Bier und Schnaps feucht-fröhlich aus, Alkohol am Arbeitsplatz ist selbst vor der Defa-Kamera kein Tabu. Der junge Spund, der jetzt an ihrem Rüttler steht, sitzt auch mit in der Runde. Deren erstes Gesprächsthema ist, ob Martha nun in den Westen fährt, wo sie offenbar Verwandte hat. „Doch nicht in das verseuchte Land“ gibt sie nachdrücklich zu verstehen. Sie fühlt sich wohl an der Karl-Marx-Allee, will es genießen, ohne Schichtdienst frei über ihre Zeit verfügen zu können. „Es war hart seit 1945“: Als sie mit dem Filmteam allein in der Baubude der Rummelsburger Kippe zurückbleibt, weil die anderen wieder ihre Arbeit aufnehmen müssen, erzählt Martha von ihrem Leben, vom zerbombten Berlin, von ihrer Arbeit als Trümmerfrau ohne jede maschinelle Unterstützung, von ihren Kindern, die es glücklicherweise zu etwas gebracht haben, sodass sie ganz unbeschwert „noch ein paar schöne Jahre“ verleben möchte.
Angelika Arnold hat in den 56-minütigen Farbfilm, der ursprünglich den Arbeitstitel „Trümmerfrauen“ trug, schwarz-weiße Originalaufnahmen vom zerbombten Berlin 1945 und von der Schwerstarbeit der Trümmerfrauen in den Folgejahren hineingeschnitten. Dazu kommen Fotos aus Marthas Familienalbum. Danach befragt, ob es ihr als einziger Frau nicht manchmal einsam war in der Brigade, gesteht sie, schon immer am liebsten mit Männern gearbeitet zu haben. „Martha“ ist heute ein ziemlich ungeschminktes Zeitdokument aus der Arbeitswelt des Arbeiter- und Bauernstaates. Mit großer Sympathie nicht nur für Martha, sondern auch für alle ihre erheblich jüngeren Kollegen in deren ganzer Unbeholfenheit, sich vor der Kamera ausdrücken zu müssen. Die haben ihr (halbes) Arbeitsleben schließlich noch vor sich.
Pitt Herrmann